Schalt ruhig ein. Der Monitor flimmert auf. Es ist kein echtes Flimmern, es tut nur so.
Schau nach, wem du wichtig bist. Ein Kasino, von dem du noch nie gehört hast. Ein medizinisches Produkt, das du glaubst, nicht zu benötigen. Eine Nachricht, dass sich ein Termin verschiebt.
Finde heraus, was es Neues gibt. Es gibt nichts Neues, nur Altes in anderer Verpackung. Steht alles schon bei Shakespeare. Doch heute wollen viele davon leben. Also erzählt niemand mehr die ganzen Stücke. Jeder pickt sich ein winziges Detail heraus. Daraus macht er dann etwas Neues. Behauptet er.
Denk an den Witz. Sie: „Kommst du endlich ins Bett?“ Er: „Nein, da hat noch jemand was Falsches im Internet geschrieben.“
Denk nicht daran, was gestern war. Was morgen wird. Nur was gerade ist. Was ist gerade? Was „ist“ tatsächlich?
Ein Baum ist umgefallen. Es muss stimmen, du hast es in der Zeitung gelesen. Du liest Zeitung?
Eine Mitteilung auf dem Anrufbeantworter regt dich immer noch auf. Du weißt nicht genau warum. Du könntest zurückrufen. Du willst aber nicht. Du willst dich darüber ärgern.
Denk an einen anderen Witz. Einen, den du nicht lustig findest. Dir fällt keiner ein. Selbst die lustigen hast du vergessen. Du schreibst nur wichtige Dinge auf, keine Witze. Nur Dinge, die du nicht vergessen willst.
Es gibt kein wahres Leben im falschen. Noch so ein blöder Spruch, der deine Stimmung runterzieht. Was ist schon wahr? Nur das, was nicht falsch ist. Aber wie kann etwas falsch sein, wenn es sich wahr anfühlt.
Du warst noch nie in einem Kampf. Das ist wahr. Aber es fühlt sich falsch an. Allerdings nicht wirklich falsch. Geht das?
Eine Freundin erzählt, sie müsse zur Beerdigung ihrer Oma. Sie hat nicht erzählt, dass ihre Oma gestorben ist. Ihre Oma ist nur ein zusätzlicher Termin geworden. Du denkst an Sterbeszenen im Kino. Du willst mitfühlend sein.
Plötzlich lachst du auf. Dir fällt ein, warum du dich gestern gestritten hast. Du hast vergessen, dass dein Gegner ja Recht hat – jedenfalls aus seiner Sicht. Das schließt nicht aus, dass deine Sicht trotzdem richtig ist. Du scheiterst daran, es zu erklären. Erkenntnis, Freude, Enttäuschen. Auflegen.
Dir juckt etwas am Knie.
Der Monitor tut immer noch so, als würde er flimmern. Du hast noch nichts geschafft. Du weißt nicht mehr, was du tun wolltest.
Holzhacken. Spazieren gehen. Vögel füttern. Einen Hund streicheln. Einen fremden, einen großen Hund. Von einer Brücke springen. Nicht von einer hohen. Einfach für einen Augenblick fliegen.
Sich verlieben. Du hast davon gelesen. Du brauchst keine Liebe. Was ist das überhaupt? Du hast schon so viel gelesen. Den Rest hast du gesehen. Im Fernseher. Du kennst alle Emotionen. Hast alle Gefühle erlitten. Alle Situationen erlebt. Alle Gemeinheiten gefühlt. Alle Freuden gemeistert.
Wozu das alles noch mal? Du kennst es doch schon. Es wird Zeit für etwas Neues. Etwas, das nicht bei Shakespeare steht. Doch du findest auf dem Monitor nichts Neues. Nur Altes in neuem Gewand. Sogar deine Antworten kennst du schon. Keine Frage kann dich überraschen.
Nur eine irritiert dich. Wer bist du?
Du versteckst dich hinter deinem Namen. Hinter der Simulation von dir. Du bist nicht verantwortlich für dein Alter, für deine Haar- oder Augenfarbe. Alles, was du bist, hast du mitbekommen. Oder bist du mehr? Wieviel mehr? In Prozent.
Was passiert mit der Seele, wenn der Körper nur noch eine Hülle ist? Treibt sich deine Seele gerade hinter dem Bildschirm herum? Du wünschst, sie wäre bei dir.
Alles ist nur eine Simulation von Realität. Pseudo-Philosophie lehnst du ab. Zu Recht. Hast du eine bessere Erklärung?
Gestern bist du gestolpert. War das real oder simuliert? Der Schmerz fühlte sich real an. Doch du kannst ihn nicht beschreiben. Das macht ihn weniger echt. Leider.
Vorige Woche hattest du einen originellen Gedanken. Einen wirklich originellen! Gestern hast du ihn in einem Text gelesen. Es gibt nichts Neues.
Du hangelst dich von Deja vu zu Deja vu. Du hast den Absprung in die Realität verpasst.
Eine Frau sucht mit ihrem Hund nach Toten in einem Katastrophengebiet. Beim Lesen wischst du verstohlen eine Träne weg. Du kennst das Gefühl. Du kennst die Geschichte. Du wärst gern hilfsbereit. Die Frau hat ihren Job aufgegeben.
Du weißt, was dir gefällt. Und was nicht. Du hast deine Prinzipien. Und kennst ihre Ausnahmen.
Flimmernde Monitore machen dich kaputt. Aber dieser hilft, die Miete zu bezahlen. Du musst einfach nur anfangen zu arbeiten.
Arbeit. Am Computer. Du schubst Nullen und Einsen umher. Davon wächst kein Baum. Davon wird kein Tier gefüttert. Kein Nachwuchs gezeugt. Es entsteht nichts. Nur wieder Nullen und Einsen. Aber du bekommst Geld für diese nicht-existierenden Nullen und Einsen.
Deine Bank behauptet, dass du Geld besitzt. Du hast es nie gesehen. Nur die Zahl auf einem Stück Papier. Das ist lächerlich. Die Bank verringert die Zahl. Dafür gibt es keine Briefe vom Vermieter mehr. Du bekommst Brot, wenn du die Zahl auf dem Zettel verringern lässt.
Das ist lächerlich. Jemand steht auf dem Feld. Erntet Getreide. Drischt es. Mahlt es. Backt Brot. Alles was du gibst: Deine Zahl wird etwas kleiner. Du gibst nichts von dir. Die Plastikkarte erhältst du zurück.
Das andere Knie juckt aus Solidarität auch.
Du möchtest schreien. Deine Knie anschreien. Den Monitor anbrüllen. Die Realität niederkreischen. Dich selbst heiserkreischen. Heiser. Stumm. Und taub. Vor allem taub. Das Rauschen lähmt dich. Schon dein ganzes Leben. In dem Rauschen wird alles zu Rauschen.
Alle sagen, du bist ein Zahnrad in einer Maschine. Doch du weißt es besser. Du bist kein Zahnrad. Du bist ein Schrei, den das Rauschen verschluckt. Du wärst gern ein Zahnrad. Dann würde jemand merken, wenn du fehlst.
Du drehst das Radio an. Die Gedanken verscheuchen. Der Monitor flimmert.
Du suchst Trost. Du weißt nicht wofür. Du findest keinen. Wie solltest du auch.
Vergiss nicht auszuschalten.