Und wieder steht ein neues Jahr vor der Tür. Ein Jahr, dem die Nummer 2016 zugeordnet wurde. Heuer ist es ein sehr farbenfroher Kalender geworden. Beim Stolpern über alte Fundstücke schlich sich ein Gedanke aus dem Hinterkopf nach vorne: Warum nicht einen Kalender mit Bildern machen, die beim Betrachter ebenfalls Erinnerungen oder Gedanken auslösen können … und falls nicht, wenigstens hübsch und interessant anzuschauen sind. Dass solch ein Unterfangen immer zweischneidig ausgehen kann, habe ich diesmal wörtlich genommen und mit den Formen und Farben experimentiert.
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Die Monate
Die Auswahl der Motive ist natürlich rein subjektiv, biografisch gefärbt und nicht repräsentativ.
Januar: Das letzte Einhorn
„Es gibt niemals ein glückliches Ende. Denn es endet nichts.“ (Schmendrick, der Zauberer)
Peter S. Beagles Fabel „Das letzte EInhorn“ gelangt 1982 als Zeichentrickfilm (gezeichnet in Japan) in die Kinos. Die poetische Kraft überdeckt die technischen Unzulänglichkeiten, und die Musik wird zu einem Ohrwurm für Jahrzehnte.
Februar: Der digitale Papierkorb
„Möchten Sie die Objekte im Papierkorb wirklich endgültig löschen?“
Der virtuelle Papierkorb symbolisiert den größten Paradigmenwechsel der Digitalisierung des Alltags: das Nicht-Endgültige. „Löschen“ bedeutet nicht „weg“, sondern alles ist immer genauso gut wiederherstellbar. Aktionen am Computer können stets zurückgenommen werden. Entscheidungen sind unverbindlich – die Rücknahme ist nur einen Mausklick oder Tastendruck („Strg Z“) entfernt. Das Herumprobieren ist konsequenzlos. So füllt sich der virtuelle Papierkorb mit zahllosen Versuchen und Experimenten, und die Menge an produzierten Daten wächst seit Jahren exponenziell.
März: Der VW-Käfer
„Warum sprichst du mit dem Auto? Die Leute wundern sich schon.“ — „Hör nicht auf ihn, Herbie. Fahr einfach.“ (aus „Herbie groß in Fahrt“, 1974)
Von Ende 1938 bis Sommer 2003 wurde der VW Käfer hergestellt. Die 330.000 „KdF- Sparer“ erhielten ihre Fahrzeuge jedoch nicht. Im Januar 1946 begann die reguläre Serienproduktion. 1955 symbolisierte der einmillionste Käfer das deutsche Wirtschaftswunder. Als erschwingliches, sparsames und robustes Gebrauchsauto war der „Käfer“ bald auf der ganzen Welt beliebt. Nach fast 12 Millionenen Exemplaren wurde die Produktion 1974 in Wolfsburg eingestellt, ab 1978 wurde der Käfer nur noch in Mexiko gebaut. Insgesamt wurden 21,5 Millionen „Käfer“ verkauft – damit war das erste Volkswagen-Modell das erfolgreichste Automobil der Welt. Erst 2002 wurde dieser Rekord vom „Golf“ aus dem gleichen Hause übertroffen.
April: Die Titanic
„Die Pumpen kaufen euch Zeit, vielleicht Minuten. Ab diesem Moment – egal, was wir tun – wird die Titanic sinken.“ — „Aber dieses Schiff ist unsinkbar!“ (aus „Titanic“, 1997)
Am 10. April 1912 startet das „größte Schiff der Welt“ zu seiner Jungfernfahrt von Southampton nach New York. Da die Titanic auch Post befördert, wurde sie als „RMS“ (Royal Mail Ship/Steamer) geführt. Am 14. April sinkt sie nach der Kollision mit einem Eisberg und gilt seither als Fanal für technologischen Größenwahn. Mehrfach wurde die Katastophe verfilmt, zuletzt löste das Epos von James Cameron 1997 eine globale Titanic-Manie aus.
Mai: Das Smiley
Lächle – und die Welt lacht mit dir. (Alltagsweisheit)
Im Dezember 1963 zeichnet Harvey Ball zwei Punkte und einen gebogenen Strich in einen gelben Kreis – die Versicherungsgesellscha State Mutual Life Assurance Cos. of America will mit diesen Anstecknadeln das Betriebsklima heben. 1996 meldet der französische Journalist Franklin Loufrani ein Geschmacksmuster auf das stilisierte Lächeln an. Inzwischen ist Loufrani Einkommensmillionär und hält Nutzungsrechte für das Smiley in über 80 Ländern. Am 19. September 1982 schlägt Scott E. Fahlman nach ironischen Missverständnissen und Witzen vor, aus ASCII-Zeichen das Signet eines seitwärts nachgebildeten Lachens zu benutzen – inzwischen gibt es Smileys und Emoticons (seitliche Gesichter aus Buchstaben) für nahezu jede Gefühlsregung von :-) (lachen) bis :‘( (weinen).
Juni: Die Coca-Cola-Flasche
„Coca Cola steht sinnbildlich für das Beste und Schlechteste der westlichen Zivilisation.“ — Mark Pendergrast
John Stith Pemberton erfindet 1886 „Coca Cola“. Der Name leitet sich aus den ursprünglichen Zutaten Kokabla und Kolanuss ab, und das Getränk wird zunächst als Medizin verkauft. Der Apothekengroßhändler Asa Griggs Candler erwirbt für 2.300 US- Dollar die Rechte und gründet 1892 die Coca-Cola Company. Ab 1905 wird Coca Cola als Erfrischungsgetränk beworben. Ein Grund für den Erfolg liegt in der intensiven Werbung, 1912 beträgt der Etat bereits eine Million Dollar. 1931 erscheint erstmals der Coca-Cola-Weihnachtsmann und prägt seitdem das Erscheinungsbild von „Santa Claus“. Die klassisch geformte Flasche wird 1915 patentiert.
Juli: Die Sonnenbrille (RayBan)
„Mit meiner Sonnenbrille auf der Nase bin ich Jack Nicholson. Ohne sie bin ich fett und 60.“ — Jack Nicholson
1929 wird Bausch & Lomb mit der Entwicklung einer Fliegerbrille beauftragt, die Übelkeit und Kopfschmerzen lindern sollte. 1936 entsteht ein erster Prototyp mit Plastikgestell und grünen Gläsern. Mit ihrer markanten Form werden Ray-Ban-Sonnenbrillen in den 1950ern und 1960ern populär, und zahlreiche Nachahmer bringen ähnliche Modelle auf den Markt. Mit enormer Fernseh- und Filmpräsenz (ca. 60 „Auftritte“ jährlich in Filmen und Serien von 1982 bis 1987) erobert Ray Ban in den 1980ern massive Marktanteile zurück und löst ein Revival der klassischen Modelle „Aviator“ und „Wayfarer“ aus.
August: Die Raumstation („2001 – Odyssee im Weltraum“)
„Um den Realismus zu übertreffen, muss man schon on location drehen.“ — Arthur C. Clarke
Am 22. April 1965 wurde „ Journey beyond the Stars“ als Stanley Kubricks nächster Film angekündigt. Drei Jahre und aufwändige Dreharbeiten später erschien „2001 – Odyssee im Weltraum“. Mit seinen Bildern und Tönen vom Leben an Bord eines Raumschiffes prägt der Film für Jahrzehnte die Vorstellung vom Weltall. Die enigmatische Mystik, stoische Unaufgeregtheit und perfekte Tricktechnik entfalten bis heute einen besonderen Sog.
mehr zu „2001 – Odyssee im Weltraum“ auf zanjero.de:
2001 – mein Kalender 2001
2001 – Wenn der Raum zwischen den Szenen zur Odyssee wird
September: Tubular Bells
„Alles auf Tubular Bells wurde beim ersten Take aufgenommen. Es war toll, so spontan.“ — Mike Oldfield
Mit seiner ersten Veröffentlichung als 20-Jähriger setzt Mike Oldfield 1973 einen Markstein in der Musikgeschichte und verschafft dem neuen Label „Virgin Records“ einen erfolgeichen Start. Seine „Tubular Bells“ verbinden Rockmusik mit Folk, klassischer Musik, Blues und Rock zu einem Klanggewebe. Seitdem folgen weitere Instrumentalalben sowie moderne Variationen und Weiterentwicklungen der „Tubular Bells“.
Oktober: Die Friedenstaube
„All we are saying: Please, give peace a chance.“ — The Beatles
Bereits in vorbiblischen Zeiten gilt die Taube als Zeichen des Friedens – obwohl das Verhalten der Vögel nicht wirklich als friedfertig gelten kann. Die Bibel berichtet, wie eine Taube Noah durch das Überbringen eines Olivenzweigs die frohe Kunde vom Ende der Sintflut bringt. 1949 entwirft Pablo Picasso eine Friedenstaube für den Pariser Friedenskongress und erhält 1955 dafür den Weltfriedenspreis. Der finnische Grafiker Mika Launis zeichnet 1974 das Symbol der Friedensbewegung, das vor allem in den 1980ern als politisches Symbol dient.
November: Orson Welles
„Unsere Lieder werden alle verstummen. Aber was heißt das schon? Fahrt fort zu singen!“ — Orson Welles
Orson Welles (1915–1985) prägt in den USA Radio, Theater, Kino und Fernsehen des 20. Jahrhunderts – und arbeitete zeitlebens an seinem eigenen Mythos.
mehr zu Orson Welles bei zanjero.de:
Orson Welles (1915–1985): meine Kurz-Doku
Orson Welles: Aus Freude am Spaß
Orson Welles: mein Kalender 2002
Dezember: Der Ring (aus „Herr der Ringe“)
„Ein Ring sie zu knechten, sie alle zu finden, ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden.“ (Ring-Inschrift)
1954 bis 1955 erscheint die Fantasy-Trilogie „Der Herr der Ringe“ von J.R.R. Tolkien als erwachsene Fortsetzung zu seinem Kinderbuch „Der kleine Hobbit“. Der Gesamtwälzer wird zu einem der erfolgreichsten Bücher des 20. Jahrhunderts und popkulturellen Phänomen. Doch erst im neuen Jahrtausend erscheint die Kinoversion von Peter Jackson in drei Teilen (2001 bis 2003).
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Die Gestaltung
Woher die Idee der dualistischen Teilung kam, lässt sich nicht mehr reproduzieren. Jedenfalls gefiel sie mir, vor allem bricht sie die Statik der Zahlentafeln und bietet vielfältige Möglichkeiten, mit Farben zu experimentieren. Während die Titelseite mit einer einfachen Invertierung an der Trennlinie auskommt, verwende ich in den meisten Monaten eine weitere Farbe, was interessante Farbeffekte und -verschiebungen ermöglicht. Das steigert die Dynamik und Spannung innerhalb des Bildes, ohne zu aufdringlich oder effektheischerisch zu geraten. Beispielsweise entsteht bei der Raumstation durch die Verdrehung von Weiß, Schwarz und Orange eine sehr schöne optische Irritation, die das Bild jedoch nicht entstellt, sondern eher verstärkt.
Die Erstellung war prinzipiell einfach, komplex wurde es erst in der konkreten Ausführung:
- Bild erstellen oder finden (in möglichst hoher Qualität); da jedes Bild letztlich nur aus Flächen besteht, schieden Motive, die Mehrfarbigkeit benötigen, kategorisch aus
- Helligkeitsverteilung des Bildes mit Graphic Converter ausbalancieren, um im nächsten Schritt eine gute Vektorisierung als Schwarz-Weiß-Bild zu erzielen
- das Bild mit Inkscape vektorisieren (die Funktion in Illustrator habe ich bis heute nicht gefunden ;-)
- das vektorisierte Bild in Illustrator laden und diagonal zerschneiden
- die beiden Hälften passgenau zusammensetzen
- die beiden Hälften entsprechend einfärben; mit den farbigen Hintergrundebenen ergaben sich mitunter fast ein Dutzend Bildebenen, was den bild-logistischen Aufwand stellenweise ins Absurde trieb (insbesondere bei dem visuellen Gag mit der Sonnenbrille, die auf der Trennlinie aufsitzt)
- das fertige Bild in InDesign platzieren
Für die Schrift habe ich die Hypatia Sans Pro gewählt. Diese hat schöne klare Zahlen und eine tolle Bandbreite an Schrift-Varianzen für Hervorhebungen. Das besondere Schmankerl waren sehr angenehme Ligaturen. In ihrer geometrischen Grundanmutung, die durch einige Individualitäten harmonisiert werden, passt sie sehr schön zu dem sehr direkt-grafischen Stil des Kalenders.
Für die Druckproduktion (wer ein gedrucktes Exemplar erhalten durfte, wird es vielleicht bemerken) habe ich noch einen partiellen Mattlack obendrauf gelegt: Die Monatsnamen und die Zahlen sind dadurch unaufdringlich betont und hervorgehoben. Die meisten werden dies allenfalls unbewusst wahrnehmen, aber ich fand diese Druckmöglichkeit reizvoll.
Die zwinkernde Micky Maus auf dem Titel ist daher letztlich mehr als nur ein Symbol. Sie erinnert daran, dass man weder die Auswahl ernst nehmen noch die Augen verschließen soll – schließlich gibt es 2016 viel zu entdecken und vielleicht auch einiges auf neue Weise zu sehen.