Wenn die Inhaber einer SEO-Agentur ein Buch über SEO veröffentlichen, befürchtet man eine „Wir sind die besten, heuert uns an“-getriebene Beschreibung. Doch Andre Alpar, Markus Koczy und Maik Metzen von AKM3 widerstehen der Marketingversuchung und legen ein lesenswertes, umfangreiches Ratgeberbuch vor. Es eignet sich vor allem gut als Einstieg, Überblick über die vielen Facetten des Themas „Suchmaschinenoptimierung“ und gibt viele nützliche Denkanregungen. Wie der Titel „SEO – Strategie, Taktik und Technik“ verspricht, werden genau diese Bereiche ausführlich beschrieben.
Die Hintergründe und Funktionsweisen von Suchmaschinen – allen voran Google mit einem Marktanteil in Europa von über 90% – liefern ein gutes Verständnis für die beschriebenen Maßnahmen. Im Prinzip beschreibt das Buch alles, was man wissen muss, um erfolgreich in einer Suchmaschine gefunden zu werden. Die Crux ist natürlich die Umsetzung für die eigene Webseite – dabei trennt sich dann die Spreu vom Weizen. Dabei wendet sich das Buch vorwiegend an Unternehmen, die Webshops oder Content-Webseiten betreiben; private Einpersonen-Webseiten werden nur wenige Anregungen im nötigen Umfang umsetzen können.
Hat man die Grundlagen der Suchmaschinen, die Nutzer und deren Suchmaschinen-Nutzung verstanden (Kapitel 2 und 3) führt Kapitel 4 beide Bereiche als „SEO verstehen“ zusammen. Mit der Keyword-Strategie und -Recherche (Kapitel 5) legt der Webseitenbetreiber die Grundlagen für seinen Erfolg – oder sein Scheitern. Denn auf der Keyword-Strategie basieren die Optimierungen auf der eigenen Webseite (Kapitel 6) und des Inhalts (Kapitel 7). Sowohl Betreiber von Webshops als auch von Content-Webseiten erhalten dabei zahlreiche Hinweise zur Verbesserung der Findbarkeit. Auch die Offpage-Optimierung in Form von Link-Marketing (Kapitel 8) basiert auf der Keyword-Strategie.
Weitere Kapitel beschreiben Optimierungen jenseits von Links, Soziale Medien, nützliche Tools, Erfolgsmessung, die „Universal Search“ von Google sowie Internationalisierungsstrategien. Die Kombination von Suchmaschinenwerbung (SEA) und -optimierung (SEO) und der Ausblick auf Weiterentwicklungen beim Suchen und Finden bilden den Abschluss nach über 500 Seiten.
SEO-Basis: die Keyword-Strategie
Bereits meine Zusammenfassung verdeutlicht, dass mit der geeigneten Keyword-Strategie das Thema SEO steht oder fällt. Praxistauglich wird zwischen kurzen, mittleren und langen Keywords bzw. Keyword-Phrasen unterschieden. Geeignete Tools und Möglichkeiten, um passende Keywords für seine Webseite zu recherchieren und die Arbeit zu organisieren, helfen dabei, selbst schnell konkret loszulegen. Auch viele Aspekte des Projektmanagements und der Arbeitsorganisation finden Beachtung, und praktische Hinweise senken die Einstiegshürden.
Bei der Umsetzung der Keyword-Strategie sind vor allem die unterschiedlichen Aufwände zur Optimierung und der potenzielle Nutzen entscheidend. Für kurze Keywords ist eine Top-Platzierung aufgrund des hohen Suchaufkommens mit einem hohen Erfolgspotenzial verbunden – allerdings sind diese Keywords hart umkämpft, und ein Erfolg oft aufwändig und nur langfristig zu erreichen. Schneller und erfolgversprechender sind daher die sogenannten „long tail“-Keywords. Diese sind oft weniger stark umkämpft, und daher bestehen gute Chancen, rasch eine gute Platzierung zu erreichen. Allerdings ist das Suchvolumen für solche speziellen Anfragen oftmals sehr gering, vielleicht einige hundert im Monat oder gar Jahr.
So begleitet die Berücksichtigung wirtschaftlicher Aspekte die Darstellung und Strategieempfehlungen. Das bekannte AIDA-Modell (Attention – Interest – Desire – Action) dient als Orientierung für die Beurteilung. Die ersten beiden Interessensituationen bedienen vorwiegend informationelle Suchen, die meist weniger hart umkämpft sind, allerdings auch deutlich weniger wirtschaftliche Wirkung (im Sinn von anschließender Transaktion) haben. Die anderen beiden Interessensituationen dagegen lassen auf ein konkretes Kaufinteresse schließen und sind dadurch gerade für eCommerce-Unternehmen sehr wichtig und daher heiß begehrt.
Dass das AIDA-Modell nur eine idealisierte und inzwischen fragwürdige Verallgemeinerung darstellt, thematisieren die Autoren nicht. Für die dargestellten Zwecke mag das akzeptabel sein, da es vorwiegend die Unterscheidung der Sucher-Intention verdeutlicht, aber für einen nachhaltigen Marketingansatz ist AIDA zu grobschlächtig.
Dabei kann Google inzwischen anhand zahlreicher ergänzender Faktoren erkennen, welche Intention (Informationsinteresse oder Kaufabsicht) ein Sucher verfolgt, sodass gar nicht unbedingt „kaufen“ in der Suchmaske vorkommen muss. Googles Interpretationskompetenz bezüglich der Intention hat Auswirkungen auf die zahlreichen Darstellungsmöglichkeiten der Suchergebnisseite:
- Faktenbox („Knowledge Graph“)
- bezahlte Suchergebnisse
- organische Suchergebnisse
- Bilder, Videos und andere Sonderfälle
- News
- etc.
Mit dem Versuch, alle Varianten darzustellen, verlieren sich die Autoren in nur scheinbar relevanten Details. Zumal der Druck in Graustufen bei einigen Screenshots bzw. Illustrationen die Aussagekraft mindert bzw. die Bilder offenbar für den Farbdruck vorgesehen waren.
Schwachstellen des Buches
Das Lektorat ist eine Katastrophe! Ich kann mich an kein einziges Fachbuch erinnern, das von einer solchen Fehlermenge geplagt war: Trennungsfehler, Fehlschreibungen, Wortwiederholungen, falsche Satzgrammatik, fehlende Satz- bzw. Layoutauszeichnungen, falsche oder fehlende Leerzeichen. Einmal wird sogar eine längere Passage wortwörtlich in einem anderen Kapitel wiederholt. Ein wahrnehmbarer Fehler pro Seite ist statistisch nicht akzeptabel – vor allem nicht in dieser Preisklasse von Büchern. Das schmälert die inhaltlichen Qualitäten zwar objektiv nicht, aber subjektiv entsteht die Wahrnehmung minderer Qualität.
Eine Frage stellte sich mir quer durch das ganze Buch: Warum heißt es „das SEO“, wenn SEO doch die Abkürzung von „Suchmaschinenoptimierung“ ist – sollte es nicht „die SEO“ heißen?
Die größte inhaltliche Schwäche ist dem Umfang des Themas geschuldet. Dadurch sind an vielen Stellen die Handlungs- und Strategieempfehlungen bzw. -hinweise allgemein formuliert. Beispiel (Seite 516): „Wenn hier [im SEA] die Keywords mit geringen Kosten pro Conversion erschlossen sind und darüber hinaus weiterer Traffic gewonnen werden soll, dann ist dies nur über höhere Kosten pro Conversion möglich.“ Ah ja. Hätte man hier außerdem nicht auch das deutsche Wort „Konversion“ verwenden können?
Natürlich ist das Thema komplex und vielseitig. Aber praktische Beispiele hätten vieles anschaulicher gemacht. Beispielsweise hätte man das Vorgehen von einem prototypischen Webshop A und einem anderen Webshop B vorstellen können, das hätte das Verständnis an vielen Stellen erleichtert. Im Prinzip vermittelt das Buch alles, was es zu bedenken gilt, und gibt sanfte Empfehlungen für Entscheidungsfindungen. Abgesehen von technischen Grundlagen wird selten etwas absolut empfohlen (das muss man von Fall zu Fall entscheiden), nur zu vermeidende Ansätze werden klar als solche benannt. Gerade als Unterstützung für eigene Vorhaben und Entscheidungen hätten gut konstruierte Beispiele nützliche Anschauung geliefert:
- Technischer Einsatz
- Personaleinsatz
- entstehende Kosten
- erzielte Platzierungen
- Zeithorizonte
- erzielte Umsätze
- vor allem Motivationen, Abwägungen und Entscheidungsfindungen
Oder ich hätte mir gewünscht, dass der Verzicht auf solche Beispiele proaktiv begründet wird. Denn gerade Webseitenbetreiber mit geringer Erfahrung haben häufig wenig Verständnis für die Materie und welches „Fass ohne Boden“ sie da öffnen. Nunja, vielleicht ist ja das der indirekte, leise Marketingansatz – dann ist es löblich, dass er nicht „in your face“ geschieht, sondern quasi als Leerstelle.
Und dass die letzten Seiten komplett unbedruckt und leer bleiben, ist ungewohnt und etwas enttäuschend. Ein Index oder Checklisten oder Literatur- oder Web-Empfehlungen hätten die Lektüre gut abgerundet.
Fazit
Lesen! Die Dicke des Buches ist dem Thema angemessen, und die erste Hälfte ist ein inspirierender und realistischer Schnelleinstieg für SEO-Aspiranten.
Gibt es bereits eine SEO-Abteilung oder einen -Verantwortlichen, so sind deren Tun und Ansätze besser verständlich und man kann mit diesen effektiver zusammenarbeiten. Gibt es solche (noch) nicht, dann erhält man gute Empfehlungen, um zumindest in technischer Hinsicht gute Grundlagen zu legen und eine Keyword-Strategie zu entwickeln. Für alle Fortgeschrittenen sind die vorgestellten Tools und zahlreichen Aspekte sehr hilfreich und anregend.
Auf der abstrakten Ebene gefällt mir vor allem, dass die Webseitenbetreiber zur Fokussierung und Ehrlichkeit angehalten werden. Mit sogenannten „black hat“-Maßnahmen richtet man langfristig mehr Schaden an als Nutzen. Aus der Unternehmensstrategie lässt sich der Fokus ableiten, auf dem die Keyword-Strategie basiert. Durch wirtschaftliche Effekte (Kosten ./. Erfolgspotenzial) ist ein stetes Fokussieren auf geeignete Bereiche nötig. Das Optimieren auf irrelevante Bereiche kostet nicht nur Geld, sondern wird auch von den Suchmaschinennutzern und Webseitenbesuchern missbilligt und letztlich von Google abgestraft. SEO kann somit nur als ganzheitlicher, abteilungsübergreifender Ansatz funktionieren und findet nicht im stillen Kämmerlein einer Einzelperson statt, sondern hat Auswirkungen auf alle Bereiche eines Unternehmens.
Weitere Infos
Kurzvorstellung des Buchs bei AKM3
Einige praktische Tipps zu SEO, vor allem für redaktionelle Inhalte, gebe ich in meinem Beitrag „Optimieren für die Suchmaschine“. Das Lesen dieses und ähnlicher Beiträge im Netz kann jedoch allenfalls ein kleiner Start sein und die Lektüre eines solchen umfassenden Buches, dessen Autoren erkennbar über jahrelange praktische Erfahrungen verfügen, nicht ersetzen.
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Vielen Dank für diesen interessanten Artikel. Immer wieder ein sehr spannend sich mit dem Thema zu beschäftigen
Wenn ich einem Beitrag hier gelesen habe, war ich auf einmal sehr süchtig und wollte etwas mehr darüber wissen. Habe ohne Zweifel entschieden auch das Buch zu Bestellen und so mich ein bisschen mehr über diese Thematik zu beschäftigen