So, jetzt hab ich endlich auch mal »Stirb langsam 4.0« gesehen. Aufgrund meiner Beschäftigung mit Computern im Film hätte ich das schon lange tun sollen, aber bislang hatte sich das nicht ergeben. Und wenn ich die Sachlage genau betrachte, hätte es meiner Ausarbeitung zum Thema auch nicht viel hinzugefügt. Die Verwendung von Computern rangiert zwischen »The Net« (1995) und »Bourne Identity« (2002).
Als Action-Film bietet »Stirb langsam 4.0« solide und spannende Unterhaltung. Eine meiner Lieblingsbeschreibungen lautet »Man fühlt sich nicht unter Niveau unterhalten« (dank an Frank für diese tolle Formulierung). Der Film ist flott, angemessen witzig, ein wenig brutal, überlebensgroß und in sich flüssig und stimmig. Was teilt er uns aber über Computer mit?
Die Möglichkeiten gleichen denen in »The Net«:
Beeindruckend sind die Möglichkeiten, die fähige Hacker oder Cracker mit den modernen Datennetzen haben: einen Flughafen stilllegen, einen Börsencrash verursachen, jemanden verschwinden lassen oder jemandem eine andere Identität verpassen.« [Computer im Kino, Seite 63f]
Nur Setting-Computer
Während »The Net« allerdings die persönliche Story von Angela Bennett erzählt, geht »Stirb langsam 4.0« darüber weit hinaus: Nicht mehr die persönliche Ohnmacht gegenüber identitätsbestimmenden Datenbanken, sondern die Abhängigkeit des gesamten öffentlichen Lebens von Computern und Datennetzen werden thematisiert. Natürlich in unterhaltsamer Form und schön anschaulich … und überwältigend anzuschauen. Doch wie »The Net« ist auch in »Stirb langsam 4.0« keine positive Begründung für die Computernutzung vorhanden. Computer sind einfach eine Gegebenheit und können manipuliert werden. Bei »The Net« schrieb ich:
All diese Datennetze werden von einer Firma angezapft und für ihre eigenen Zwecke missbraucht. »The Net« thematisiert keine positive Auswirkung der Datenberge und -netze, sondern zeigt ausschließlich, wie diese aus niederen Beweggründen manipuliert und missbraucht werden. [Computer im Kino, Seite 64]
Abgesehen von dem Filmbezug (»von einer Firma«) gilt diese Beobachtung auch für »Stirb langsam 4.0«. Andererseits habe ich »The Net« als Beispiel für »Objekt-Computer« beschrieben, während ich »Stirb langsam 4.0« eher in der »Setting-Computer«-Kategorie einordnen würde. Mein Hauptargument ist ganz schlicht, dass es keinen personengebundenen Computer gibt (mal abgesehen von dem PDA, den Matthew Farrell verwendet), sondern jeder Computer entweder einer Institution gehört oder zumindest nicht einer bestimmten Person zugeordnet werden kann. Das ist im Sinne der Story auch folgerichtig, denn es geht ja um die allumfassende Steuerung durch Computer und nicht um ein bestimmtes Gerät oder eine bestimmte Information auf einem Gerät, sondern um Computernetze allgemein. Daher ist es auch für die Protagonisten irrelevant, welchen Computer sie verwenden (ob nun eigene oder fremde), solange diese Zugang zu den benötigten Netzen oder Daten gewähren – und das tun sie natürlich alle.
Passive Gute, aktive Böse
Die »Guten« bedienen keine Computer, sondern starren meist nur entgeistert, wenn sie ausfallen (z.B. in der Verkehrsleitzentrale); oder Computer dienen als Hintergrundkulisse beispielsweise in den FBI-Büros und anderen Einrichtungen. Hauptsächlich bedienen nur die »Bösen« Computer. Der einzige »Gute«, der Computer tatsächlich für die Story bedient und benutzt, ist Matthew Farrell. Für die »Guten« bestehen Computer und Computernetze einfach und sorgen dafür, dass alles funktioniert; erst wenn etwas nicht mehr funktioniert, werden Computer thematisiert. Die in den ersten Filmminuten gezeigten Hacker stehen auf dem schmalen Grat zwischen »Gut« und »Böse«. Sie verfügen über die Fähigkeiten, die die »Bösen« benötigen, nutzen diese aber nicht selbst aus, sondern betrachten es als sportliche Herausforderung. Erst im Kontext wird ihr Tun durch den Missbrauch zu etwas »Schlechtem«, wobei es Matthew Farrell als einzigem vergönnt ist, sich bewusst der guten Seite zuzuwenden.
Hacker erhalten so insgesamt den Nimbus des Bedrohlichen, indem ihre Fähigkeiten in den Zusammenhang mit Machtmissbrauch gestellt werden. Die kritischen Untertöne, dass der Oberschurke Thomas Gabriel einst für die »Guten« (die Regierung) arbeitete und dort Sicherheitsverbesserungen anmahnte, relativeren das Bild nur unwesentlich. Denn zu viel Wissen oder zu große Fähigkeiten bedeuten immer Macht, und Macht ist verführerisch … Anakin Skywalker kennt das Syndrom.
John McClane als Vertreter der alten Generation kann mit Computern nicht viel anfangen. Daher ist es für das Publikum praktisch, dass ihm andere ständig wichtige Dinge und Zusammenhänge erklären müssen. Der junge Hacker Matthew Farrell (Justin Long aus den »I am a Mac«-Werbespots) wird ihm zur Seite gestellt, sodass die raue Realität und die abstrakte Cyberwelt als Duo durch den Film hetzen, um das Schlimmste zu verhindern. Erst durch die Kombination der Fähigkeiten beider gelingt dies.
Wir haben uns eben dran gewöhnt …
Das Bemerkenswerteste an »Stirb langsam 4.0« ist nur die Tatsache, wie schnell wir uns (als Gesellschaft und als Publikum) damit abgefunden haben, von Computern, Computernetzen und Technologie abhängig zu sein. Daher sind die Bildschirmansichten in »Stirb langsam 4.0« realiter, sie entsprechen zwar keinen Mainstream-Systemen (wie Windows oder Mac oder KDE/Gnome) sind aber wie in »Antitrust/Start up« dicht genug an der Realität, um leicht verstanden zu werden. Die Monitoransichten beeindrucken nicht, sondern vermitteln immer erkennbar Informationen für die Story (z.B. dass etwas heruntergeladen oder eine Passworteingabe benötigt wird) oder unterstreichen die Aussagen der Protagonisten (z.B. dass jemand Zugang zu bestimmten Informationen besitzt oder dass ein Download läuft).
Übrigens ist in »Stirb langsam 4.0« wieder ganz einfach der Gute auszumachen: Matthew Farrell arbeitet zu Beginn an einem Mac-Monitor. Aber im Gegensatz zu »Hackers« (1998), wo die persönliche Computerausstattung für die Protagonisten ein wichtiges Identifikationselement bildete, definieren sich die Hacker in »Stirb langsam 4.0« ausschließlich über ihre Fähigkeiten. Matthew Farrell arbeitet im Lauf des Films souverän an mindestens drei verschiedenen Computern, wobei er nicht thematisiert, ob ihm einer gehört oder fremd ist.
Gleiches gilt für die Schurken, wobei besonders auffallend ist, dass der Oberschurke Thomas Gabriel (Timothy Olyphant) zwar von allen als das große Computergenie beschrieben wird, aber selbst keinen Computer bedient. Er transzendiert Computer, Computernetze und Daten bereits vollständig und benötigt nur noch Handlanger, die für ihn die konkrete Arbeit erledigen. Genau wie wir als Gesellschaft.
Schematische Zusammenfassung
Abschließend ergänze ich die Tabelle auf Seite 112 zu Setting-Computern um »Stirb langsam 4.0«:
Computer: Steuerung der Infrastruktur
Vernetzung: essenziell
Präsentation: geringe Distanz Signifikant–Signifikat
»Bediener«: Hacker
Focalizer: John McClane
Publikumswissen: auf Stand von John McClane
Kurzfazit: Kampf gegen Schurken, die Computer/-netze missbrauchen
narrative Bedeutung: essenziell
Zusätzliche Kategorie: filmästhetische Bedeutung: nachrangig
Fernab von der Thematik „Computer im Film“ reicht die Beschreibung „Man fühlt sich nicht unter Niveau unterhalten“ vollkommen für den Film „Stirb langsam 4.0“. Aber auch, was die Computerdarstellung angeht, ist der Film recht klischeebehaftet.
Beim Satz „Denn zu viel Wissen oder zu große Fähigkeiten bedeuten immer Macht, und Macht ist verführerisch … Anakin Skywalker kennt das Syndrom.“ musste ich wirklich schmunzeln. Dies ist die erste von mir gelesene Analyse, die ich von Dir gelesen habe. Bin daher gespannt, was die anderen so zutage bringen.
Bestens
Erik