„Die massenhafte Veröffentlichung von vertraulichen US-Regierungsdokumenten vor wenigen Tagen zeige, dass Sicherheitslücken im Internet bestünden, erklärte der Minister am Dienstag auf dem IT-Gipfel in Dresden.“ Das meldet die Nachrichtenagentur AP. Entweder hat der Redakteur keine Ahnung, den Minister falsch zitiert, oder der Minister hat keine Ahnung. Nichts davon kann man ausschließen.
Aber um es klarzustellen: Das Internet hat mit den Sicherheitsproblemen der US-Regierungsdokumenten nichts zu tun. Wenn die US-Regierung ihre Dokumente sicher halten will, muss sie das tun, das kann nicht dem Internet angelastet werden. Schon zu Papierzeiten war es üblich, dass Kuriere abgefangen, geheime Berichte widerrechtlich kopiert und anderes Schindluder getrieben wurde. Für eine Wikileaks-ähnliche Veröffentlichung hätte es allerdings einer eigenen Druckerei bedurft. Wenn wir aus den WikiLeaks-Vorgängen etwas lernen wollen, dann folgendes:
- Informationen sind frei verfügbar. Freier, als wir es im Papieruniversum gewohnt sind, weil die Verbreitung und die Herstellung von Kopien kein Kostenfaktor mehr sind.
- Wer Informationen von ihrer Freiheit befreien möchte, muss sich Mühe geben. Eben weil es leichter ist, mittels USB-Stick Kopien anzufertigen (einfacher und schneller als Schreibmaschinenseiten abzuschreiben oder abzukopieren), muss die Sicherheit bei der Lagerung und beim Transport erhöht werden.
- Das Internet ist neutral. Ein bit ist ein bit ist ein bit ist ein bit. Unabhängig davon, ob es Teil eines Dokuments ist, das jemand verteilen oder als geheim eingestuft sehen möchte.
Letztlich sollten vielleicht die – angeblich – demokratisch legitimierten Dokumentbesitzer ihre eigenen Ansprüche prüfen. Wer nichts zu verbergen hat, braucht auch nichts zu fürchten, heißt es ständig, wenn Online-Überwachung und andere „Sicherheitsmaßnahmen“ debattiert werden. Warum haben dann aber so viele Behörden Angst vor der Veröffentlichung ihrer Verträge, internen Anweisungen u.a.? Warum tagen Ausschüsse im Geheimen und kümmern sich nicht um Vernunft und Sachverstand, sondern nur noch um Parteienraison?
Der neue „default“-Wert für jedes Dokument, dessen Entstehung direkt oder indirekt von Steuern finanziert wird oder Steuerzahler direkt oder indirekt betrifft, sollte „public“ sein. Jeder Bescheid, jeder Vertrag der öffentlichen Hand, jede Genehmigung muss online einsehbar sein, das schafft Transparenz. Der betroffene Bürger (weil eben schützenswerte Minderheit in dem Vorgang) kann jederzeit verlangen, dass sein Name bzw. identifizierende Angaben entfernt werden; die Behörde bzw. die durch Steuergelder finanzierte Einrichtung hat dieses Recht nicht. Wer verantwortlich handelt, verantwortungsvoll Dokumente aufsetzt und begründete Entscheidungen trifft, braucht diese auch nicht geheimzuhalten, sondern kann und muss dazu stehen.
Jedes Dokument, das nicht veröffentlicht wird, muss dafür ein relevantes Interesse nachweisen können, d.h. ich als Bürger kann die Veröffentlichung jederzeit verlangen, und ein oder zwei Richter bestätigen dann – nach Einsicht in das betreffende Dokument! – entweder, dass das Dokument tatsächlich frei zugänglich zu sein hat, oder dass das Dokument zu Recht unter Verschluss bleibt. Nach fünf Jahren wird jedes solcherart verschlossene Dokument automatisch gemeinfrei, wenn seine Sperrung nicht verlängert wird, was wiederum von einem Richter (einem anderen!) ggf. zu bestätigen ist. Kein Dokument darf länger als 25 Jahre vor der Öffentlichkeit verborgen werden.
So schnell bin ich von ministerieller Ahnungslosigkeit zur Vision (oder besser „Utopie“ im Wortsinn?) einer transparenten Republik gelangt. Aber das eine hat mit dem anderen tatsächlich zu tun. Denn die wachsenden Dokumentberge verbreitern nur die gefühlte Kluft zwischen Regierenden/Obrigkeit und Regierten/Ohnmächtigen. Dass Letztere immer weniger Toleranz für das Tun ersterer aufbringen, ist nur konsequent.