Weil es mir gerade einfällt. Immer wieder wird von »Wiedervereinigung« gesprochen. Doch dieser Begriff scheint mir die falsche Wahl zu sein.
Vor zwanzig Jahren soll es ein Ereignis namens Wiedervereinigung gegeben haben. Behaupten Journalisten und andere Meinungsbesitzer und -verbreiter. Das Wort ist jedoch weder zutreffend noch so neutral, wie es gern benutzt wird.
Wiedervereinigung … damit assoziiert man die Zusammenführung von zwei getrennten Einheiten zu einer neuen (zurück zu einer alten). Doch die DDR hat lediglich den „Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland“ erklärt. Da wurde nichts vereinigt. Ein Teil hat sich einem größeren Teil angeschlossen.
Dieser Beitritt war nicht einmal ordentlich legitimiert. Lediglich Repräsentanten des Volkes hatten ihn stellvertretend für „ihr“ Volk beschlossen. Die Wahlkultur in der DDR wird von selbsternannten Ahnunghabenden regelmäßig als zumindest fragwürdig charakterisiert. Doch jetzt sollte ein Gremium, das von einem Volk, das an zumindest fragwürdige Wahlvorgänge gewohnt war, gewählt worden war, stellvertretend und verbindlich für dieses entscheiden, dass das Land nicht länger als eigenständiges Land bestehen soll? Jeder vertritt halt die Meinung, die ihm am besten gefällt.
Wie immer wieder süffisant angemerkt wird, hat Deutschland keine Verfassung, sondern nur ein Grundgesetz (mit Verfassungscharakter). Im Fall einer echten Vereinigung gibt es Verträge (Eheverträge, Bündnisverträge, eben irgendwelche Verträge, die beide Seiten aneinander binden). Warum gibt es im Fall der Wieder-Vereinigung keinen Vertrag, sondern nur die einseitige Erklärung, dass man dem Geltungsbereich beitritt?
Wäre es eine echte Wiedervereinigung ohne neue vertragliche Basis, dann müsste alles so sein wie vor der Trennung (wir erinnern uns: das wären die Verhältnisse der 1940er Jahre). Dem ist aber nicht so. Es gibt das Recht der einen Seite (Grundgesetz) und Repräsentanten der anderen Seite, die sagen, dass ihr Land ab einem bestimmten Datum unter das gleiche Recht fällt. Ist das eine Vereinigung? Wo ist da die Gleichberechtigung, in dem Sinne, dass zwei Partner eine neue Einheit bilden?
Und wieso haben weder die neuen noch die alten Bürger, die im Geltungsbereich des Grundgesetzes leben, die Chance erhalten, über eine solch frappierende Änderung tatsächlich abzustimmen? Wieso entscheiden immer nur Repräsentanten?
Es fehlt also an allen Ecken und Enden an einer angemessenen Basis, den Vorgang als »Wiedervereinigung« zu klassifizieren. Eine solche hätte außerdem – darin sind sich alle einig, die etwas intensiver darüber nachgedacht haben; blöderweise waren es aber Repräsentanten und nicht Denker, die darüber entschieden – eine deutlich bessere Vorbereitung erfordert: in wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und staatsrechtlicher Hinsicht.
Mein Appell geht daher an alle, die noch ihre Sinne beisammen und ein Gespür für korrekten Wortgebrauch haben, das Wort Wiedervereinigung einfach zu vermeiden. So wie die USA statt vom Terrorakt immer nur neutral vom „Nine Eleven“ sprechen, sollten wir vielleicht einfach ganz neutral vom Oktober 1990 sprechen. Dann weiß auch jeder, was gemeint ist und man macht sich nicht der einseitigen Geschichtsinterpretation schuldig.
Bevor das jemand in den falschen Hals bekommt: Ich argumentiere nicht gegen den Tatbestand, dass zwei Länder zu einem neuen (wieder) zusammengefügt wurden. Ich kritisiere erstens die Wortwahl und zweitens die Umstände bzw. Begleitumstände.