Die Probleme unseres Bundeswulff

Unser Bundespräsident hat keine „Kreditaffäre“, sondern eine Glaubwürdigkeitsaffäre oder Integritätsaffäre. Es geht nicht um das, was er tat, sondern darum, was er für ein Mensch ist. Darin sind sich inzwischen fast alle einig: Ihm fehlen die Würde, die Integrität und Glaubwürdigkeit und inzwischen auch das persönliche Prestige, um das Amt des Bundespräsidenten auszufüllen. Aber selbst wenn er jetzt zurücktritt, wird er das Amt weiter beschädigen.

Bundespräsident ist das höchste Amt im Staate. Was tut ein ehemaliger Bundespräsident? Er hält gelegentlich eine Rede, schreibt einen Essay, äußert sich zu aktuellen Themen. Er nimmt aber nicht aktiv am politischen und wirtschaftlichen Leben teil, er bekleidet keine Ämter und übt keinen Job aus. Seine Karriere hat auf ihrem Zenit – nämlich als Bundespräsident – geendet. Deshalb hat er auch eine Jahresrente von rund 200.000 Euro verdient.

Christian Wulff ist 52 Jahre alt und gelernter Rechtsanwalt und Politiker. Wenn er jetzt zurücktritt, ist er immer noch 52 Jahre alt. Soll man von ihm erwarten, dass er jetzt wie ein guter Ex-Bundespräsident nur gelegentlich eine Rede hält, einen Essay schreibt oder ein Interview gibt? Das würden wir erwarten (und erhoffen), aber das wird Christian Wulff nicht tun. Er ist zu jung, um seine Karriere als beendet anzusehen. Er wird entweder aktiv am wirtschaftlichen oder politischen Leben teilnehmen. Einen angebotenen Posten wird er schwerlich ausschlagen können. Das ist eines ehemaligen Bundespräsidenten zwar unwürdig, aber Christian Wulff ist schon kein würdiger Bundespräsident – was kümmert ihn da die Erwartung an Ex-Bundespräsidenten?

Dieses Würde-Dilemma war vorhersehbar, als Merkel ihn ins Amt hob. Aus lauter Taktiererei (um einen potenziellen Kanzlerkandidaten aus dem Weg zu räumen) hat unsere Bundeskanzlerin eine Person zum Bundespräsidenten gemacht, die es absehbar an der nötigen Würde fehlen lässt. Wie Heide Simonis bei der Talkshow bereits anklingen ließ, ist Merkel die Verursacherin dieses Dilemmas. Damit hat sie direkt und persönlich den Ansehensverlust des Bundespräsidenten mitzuverantworten. Je öfter sie Christian Wulff derzeit verbal „den Rücken stärkt“, desto stärker macht sie sich mit dessen Problemen gemein und kann so sehr leicht auch selbst in eine Glaubwürdigkeitskrise geraten, wenn sie einem unglaubwürdigen Bundespräsidenten weiterhin so demonstrativ die Treue hält.

Nur weil wir wissen, wer „schuld“ hat, haben wir das Dilemma aber noch nicht gelöst. Christian Wulff muss zurücktreten, eine Alternative ist nicht abzusehen. Aber auch bei all seinem künftigen Tun – als 52-Jähriger hat er noch genügend Lebenszeit vor sich, um genügend tun zu können – wird er die bislang vermisste Würde weiter fehlen lassen und damit rückwirkend das Amt weiter schädigen. Denn Wulff aus Angst vor seiner künftigen Unwürdigkeit einfach im Amt behalten zu wollen, ist letztlich die größere Katastrophe.

Damit das Amt des Bundespräsidenten nicht noch weiteren Schaden nimmt, sind drei Dinge erforderlich:

  • Christian Wulff tritt postwendend zurück und bescheidet sich künftig damit, still auf irgendeinem Landsitz herumzuhocken.
  • Kanzlerin Merkel erklärt, dass sie in ihrer Entscheidung unklug gehandelt hat (zurückhaltend formuliert).
  • Der nächste Bundespräsident wird tatsächlich frei und unabhängig gewählt, und Merkel hält sich mit Aussagen und Empfehlungen zum Thema vornehm zurück.

Alle drei Punkte werden leider nicht passieren. Stattdessen werden weiter Ränke geschmiedet und herumtaktiert. Wie soll das „gemeine Volk“ da unsere Demokratie noch gut finden? Alles, was man im Alltag von unserer Demokratie mitbekommt, sind unwürdiges Verhalten, Herumtaktieren, Absprachen, persönliche Vorteilsnahmen und Machtspiele. Wie können wir dann ernsthaft behaupten, dass wir in einer „guten Demokratie“ leben? Wie können wir da hoffen, dass die allseits beklagte Politikverdrossenheit nicht weiter anwächst.

Bei den Juden gibt es den Grundsatz, andere Menschen nicht zu missionieren, sondern sie durch Lebensführung und aktive Vorbildfunktion von der jüdischen Religion zu überzeugen. Die Überzeugung muss nicht von außen herangetragen werden, sondern soll von jedem – potenziellen Konvertiten – selbst erkannt werden. Gleichermaßen sollte niemand sich hinstellen müssen und erklären „Unsere Demokratie ist toll“, sondern durch aktives Vorleben und würdiges Verhalten sollten unsere Politiker alle Menschen dazu bringen, selbst zu erkennen „Unsere Demokratie ist die beste.“ Aber auch das wird leider nicht geschehen.

Ich bin und bleibe weiter verdrossen.

Alexander Florin: Alexander Florinein Kind der 70er • studierter Anglist/Amerikanist und Mediävist (M.A.) • wohnhaft in Berlin • Betreiber dieses Blogs zanjero.de • mehr über Alexanders Schaffen: www.axin.de ||  bei Facebook || auf Twitter folgen

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