Das Internet darf – jedenfalls nach Logik unserer Gesetzesschöpfer – nicht einfach mehr so existieren. Denn es stellt eine stete Bedrohung erstens unserer Grundrechte und zweitens unserer heranwachsenden Generation dar. Da sie das Internet inzwischen nicht mehr komplett verbieten können, wird nun über den Umweg des Jugendschutzes das Netz eingeschränkt (Meldung im Heise.de-Newsticker, Mehr zu den Hintergründen: 17 Fragen zum neuen JMStV, bei AK Zensur und schön übersichtlich in dieser Infografik).
Doch warum dürfen Fünfjährige in einem Buchladen einfach alle ausliegenden Bücher einsehen? Warum dürfen Vierjährige ungehindert Radio hören und fernsehen? Viele Bücher sind für unschuldige Kinderaugen schlicht ungeeignet, beispielsweise benötigt es für zahlreiche Comics eine gewisse Medienkompetenz. Bücher von Chuck Palahniuk (u.a. „Fight Club“) sollten mindestens „FSK 16“ eingestuft sein, aber jeder Zehnjährige kann sie kaufen und lesen („Fight Club“ als DVD kaufen können aber nur 18-Jährige, jedenfalls in der Fassung, wie sie bei mir im Regal steht).
Wenn ich bei einigen Songs auf den Text achte, würde ich diese für Personen unter 12 strengstens verbieten: Von ausgelebter und enttäuschter Liebe in allen Variationen handelt das Liedgut, dessen Fremdsprachigkeit in Zeiten steigender Multilingualität auch bei Kindern kein Argument mehr sein kann. „Where the Wild Roses Grow“ von Nick Cave (mit Kylie Minogue) gehört eigentlich mindestens in die Kategorie „FSK 16“ – meine Meinung (auch wenn es schon einige Sprach- und Kulturkompetenz verlangt, den Inhalt zu entschlüsseln).
Nachdem die FSK immer und stets zu völlig unzweifelhaften UrteilenDas ist Ironie! (Telepolis-Artikel dazu) über die Tauglichkeit von Filmen für bestimmte Altersgruppen kam, sollen nun die Webseitenbetreiber ihre Inhalte selbst klassifizieren und Zugangsbeschränkungen einrichten. Es gibt zu viele unterbeschäftige Anwälte im Land. Da jede Website auch eine gigantische Geldschöpfungsmaschine darstellt,Achtung, wieder Ironie! Nur die 50 größten Websites verdienen tatsächlich Geld, die übrigen werden mit Offline-Aktivitäten subventioniert oder leben vom Handelmuss dieses Geld natürlich abgeschöpft werden. Wenn mein Nachbar eine andere Meinung hat, kann er mich anzeigen. Was für mich „FSK 12“ ist (beispielsweise dieser Text) könnte für ihn schon „FSK 18“ sein (warum auch immer) – schon müsste ich mich gegen Bußgeldforderungen wehren.
Die logische Konsequenz kann nur lauten: Alle Medien müssen vor Jugendlichen geschützt werden! Es geht völlig am realen Leben vorbei, nur Filme, Fernsehausstrahlungen und Internetseiten nach Altersgruppen zu klassifizieren. Auch alle anderen Medien müssen schleunigst auf dieses System umgestellt werden! Jedes Bilderbuch benötigt eine Unbedenklichkeitsplakette, jede Liebesschnulze mindestens ein „FSK 12“-Siegel! Es wäre ja noch schöner, wenn wir Kinder und Jugendliche zu verantwortungsbewussten Erwachsenen erziehen. Eltern, Lehrer und andere Verantwortliche brauchen sich fürderhin nicht mehr um Medienkompetenz bei Kindern und Jugendlichen zu kümmern, denn dafür sorgt ja der Staat mit seinem Kennzeichnungswahn.
Es gab mal eine Zeit, da wurde über die DDR geschimpft und gewettert, die alles reglementiert haben wollte und unliebsame Inhalte einfach verbot. Strukturell kann ich jetzt nicht wirklich den Unterschied erkennen, denn schließlich sind alle gesetzeswidrigen Inhalte (ob off- oder online) sowieso verboten, und der Katalog von Inhalten, die Kindern und Jugendlichen nicht zugänglich sein sollte (Gewalt, Pornografie, Hetze, etc.) ist praxiserprobt.
Die FSK-Prüfung arbeitet bis heute nicht transparent, viele Entscheidungen sind umstritten. Noch mehr ändern sich über die Zeit. „Stanley Kubrick’s Clockwork Orange“ dürfen heute schon 16-Jährige sehen. Für die „Der Herr der Ringe“-Trilogie braucht man nur 12 zu sein, was zehn Jahre zuvor undenkbar gewesen wäre. Ebenso werden viele Webseiten umstritten sein, ob sie nun ab 12 oder ab 16 geeignet sind. So gab es beispielsweise selbst bei Wikipedia Debatten, ob eine Illustration nun pornografisch ist oder nicht.
Solche Einschätzungen unterliegen einem steten kulturellen Wandel, was heute noch ein „FSK 18“-Tabubruch ist, kann morgen schon „FSK 12“-Alltag sein. Doch im Gegensatz zu Filmen stellen Internetseiten keine aufwändigen Produktionen dar, sodass nicht zu erwarten ist, dass alte Beiträge nach angemessener Zeit neu beurteilt werden. Herrje, die Meinungen, was schicklich und anständig ist, unterscheiden sich bereits zwischen 30- und 50-Jährigen, zwischen Land- und Stadtbevölkerung! Wie soll es da eine einheitliche Linie geben?
Klassische Beispiele, die stets unterschiedlicher Interpretation unterliegen: Eine biologisch korrekte Schnittzeichnung des menschlichen Paarungsaktes kann für Zwölfjährige geeignet sein, denke ich, andere sehen das anders. Auch homosexuelle, „unnormale“ oder „extreme“ Sexpraktiken (auf dem sprachlichen Niveau eines Lexikoneintrags) können durchaus zur Bildung und Ausprägung einer gesunden eigenen Sexualität beitragen (aber eben nicht vorbehaltlos alle).
Illustrationen aus dem Kamasutra gehören eher zur Kunst als zur Pornografie, oder? Wann ist die Abbildung einer nackten Person Pornografie (FSK 18) und wann nur ein Aktfoto (FSK 0? oder 6? oder 12? oder 16?)? Wenn ich einen Screenshot aus einem „FSK18“-Film wie „Fight Club“ (der inzwischen aufgrund mehrfacher TV-Ausstrahlungen und aufgrund seines Eingangs in den allgemeinen kulturellen Diskurs gemeinhin bekannt ist) in einem „FSK 12“-Blog verwende, muss dann auch der Blog bzw. der Blog-Eintrag auf „FSK 18“ hochgestuft werden? Wenn ich den Titel eines solchen Films erwähne, muss ich dann ebenfalls hochstufen? Wer entscheidet eigentlich, welche Abbildungen für Zwölfjährige geeignet sind und welche nicht? Eigentlich würde ich meinen zanjero.de-Blog beispielsweise maximal auf „FSK 12“ einstufen. Aber ich habe an mindestens einer Stelle Filme erwähnt und Screenshots von Filmen verwendet, die als „FSK 16“ eingestuft sind.
Um solche Unsicherheiten zu beseitigen, gibt es Gesetze, die Pornografie und andere Bereiche klar definieren und es verbieten, solche Werke Unter-18-Jährigen zugänglich zu machen. Selbst in dem Bereich bleiben noch genügend Grauzonen, die durch Moden, aktuelle Trends und Gewöhnungseffekte immer weiter ausgedehnt werden (wie würde das Publikum der 1950er Jahre auf unser Nachmittagsfernsehprogramm reagieren?). Warum müssen jetzt noch künstliche Zwischenstufen eingezogen werden? Nicht, dass ich dagegen bin, Kinder zu schützen, aber in diesem Fall werden nur Grenzen gezogen, die keiner sauber definieren kann, und zahlreiche Gerichte werden endlose Debatten über die Grenzverläufe führen und absurd unterschiedliche Entscheidungen fällen. Ich wage gar nicht daran zu denken, was passiert, wenn ein und derselbe Internetbeitrag von drei verschiedenen Gerichten beurteilt werden müsste.
Was sind die Optionen?
- Man ist sicher, dass man keine jugendgefährdenden Inhalte anbietet und lebt sorgenfrei.
- Man ist sicht nicht ganz so sicher und nimmt eine entsprechende Kennzeichnung vor. Solche Sicherheit kann es aber nicht geben. Die Erfahrung lehrt: drei Anwälte = vier Meinungen, also benötigt man schon einiges an Geld, um sich da sicher zu sein.
- Man macht seine Seite nur zu bestimmten „Sendezeiten“ zugänglich. Stimmt, 12-Jährige schauen ab 20 Uhr auch kein Fernsehen mehr. Sendezeiten für das Internet? Sind diese Drogen verschreibungspflichtig, oder gibts die einfach so?
- Man lässt nur noch ausgesuchte Besucher auf seine Seite, deren Alter man geprüft hat. Wer kann sich diesen Aufwand leisten?
- Man spart sich den ganzen Blödsinn und lebt wieder offline.
Natürlich betrifft das offiziell nur gewerbliche Anbieter. Aber ab wann eine Website als gewerblich gilt, ist auch umstritten. Nimmt man als Maßstab die Generierung von Gewinn, sind fast alle Seiten fein raus, denn kaum eine kann ohne Offline-Zuschuss leben (nur die etwa 50 größten Websites arbeiten tatsächlich aus sich heraus gewinnbringend). Ist die Präsentation von eigenen Leistungen oder Produkten oder das Vorhandensein eines Werbebanners schon Kennzeichen für eine gewerbliche Website? Letztlich ist das zunächst egal, denn eine Abmahnung, ob sie nun berechtigt oder unberechtigt ins Haus flattert, kostet immer Nerven und Zeit. Da vielen Webseitenbetreibern ihre Zeit kostbar ist, besteht hier ein wirksames Druckmittel, denn eine gerichtliche Auseinandersetzung oder Anfechtung der Abmahnung kostet Zeit und Geld (zumindest muss man erst mal in Vorleistung gehen, ohne sicher sein zu können, dass unsere eifrigen Gesetzeskritzeler in der Zwischenzeit alles anders regeln).
Man könnte sich mal wieder endlos über die Politik aufregen.
- Völlig unbenötigt wird eine Großkanone abgefeuert, um einen unsichtbaren Spatzen zu erwischen.
- Es handelt sich um eine Sache der Bundesländer. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Die 16 deutschen Bundesländer sollen Web-Angebote des globalen World Wide Web regulieren. („Formal betrachtet sind Staatsverträge Übereinkünfte der Bundesländer mit Gesetzescharakter. Änderungen wie die beim JMStV müssen zunächst von den Regierungschefs der Länder und anschließend von jedem einzelnen Länderparlament gebilligt werden.“ Heise.de) Also muss sich jedes Bundesland einigen und dann alle miteinander. Verstand und Ahnung ist ja schon nicht so breit gesät, wie man es sich wünscht (ich denke mit Grausen an einige Bundestagsdebatten, wo die höchsten Parlamentarier Deutschlands mit herzerwärmender Ahnungslosigkeit beeindruckten – solche Leute beschließen Gesetze!). Aber zu hoffen, dass in jedem Bundesland genügend Sachverstand anzutreffen ist, wo er schon auf Bundesebene fehlt, ist … mir gehen die Adjektive aus, und ich möchte nicht in eine Schmährede verfallen, auch wenn sie inhaltlich gerechtfertigt wäre (was aber nur wenige Gerichte anerkennen würden:-).
- Der vorgesehene Zeitrahmen ist lächerlich (wie inzwischen bei allen Gesetzen). Es wird jetzt beschlossen und soll ab 1. Januar 2011 gelten. Das bedeutet ein Zeitfenster von gerade einmal 31 Tagen = 744 Stunden. Es gab irgendwann mal eine Zeit, in der Betroffene mehrere Monate Zeit hatten, sich auf eine neue Rechtslage einzustellen. (Das Argument, dass ja seit Monaten drüber geredet würde, ist irrelevant: Man ergreift erst Maßnahmen, wenn etwas gilt. Man fängt ja in der freien Wirtschaft auch nicht mit der Arbeit an, bevor der Kunde den Auftrag tatsächlich erteilt.)
- Es gibt keine konkreten sicheren Möglichkeiten der Altersverifikation, jedes Verfahren kann von einem kundigen Anwalt niedergemacht werden.
- Der Staatsvertrag verlangt etwas, was es nicht gibt: eine technische Markierung zur Alterseinstufung. Frühestens im Sommer sollen entsprechende Programme und Regelungen existieren. Aber der Staatsvertrag muss zum 1. Januar gelten. Allein diese Regelung ist so putzig unkonkret, dass einem schlecht werden kann.
Es werden also: ein Nicht-Bedürfnis erfüllt, neue Rechtsunsicherheiten geschaffen, technische Maßnahmen gefordert und Anwälte beschäftigt gehalten. Das ist mehr als manche andere Gesetze und Regelungen schaffen. Mir tut der Jugendschutz richtig leid, der mal wieder als Entschuldigung für solche Hanebüchereien herhalten muss.
Achja, Kinder und Jugendliche sind intelligenter, als die meisten glauben. Wenn sie etwas nicht verstehen fragen sie – wenn sie das Vertrauen haben können, ernstgenommen zu werden (aber wer will schon Kinder ernstnehmen? Man müsste sich ja mit ihnen beschäftigen.) Mit zehn Jahren las ich ein spannendes Buch über historische Kriminalfälle; dass „Jack the Ripper“ ständig Prostituierte umbrachte, fand ich nur insofern verwunderlich, als ich mir nicht vorstellen konnte, woran er nachts „Postangestellte“ erkennen konnte. Eine kurze Frage klärte das Missverständnis auf (neben ihrem Vollzeitberuf sorgte meine Mutter für den Haushalt unserer fünfköpfigen Familie und beantwortete mir solche und zahllose andere Fragen, es ist also möglich!). Ich würde mal so weit gehen zu behaupten, dass mir die Lektüre und das Wissen nicht geschadet haben. Auch Sherlock-Holmes-Geschichten, Roald-Dahl-Bücher oder Kafka sind nicht für alle Kinder geeignet. Doch, oh Wunder: Wenn Kinder etwas nicht interessiert, legen sie das Buch weg oder blättern weiter. Achtjährige lesen die „Liebe, Sex und Zärtlichkeit“-Rubrik in der „bravo“ tatsächlich seltener als man gemeinhin glaubt.
Kinder lieben und brauchen Grenzen. Erstens um eine übersichtliche, sichere und geregelte (= vertraute) Welt als Basis zu haben. Zweitens aber, um genau diese Grenzen regelmäßig in Frage zu stellen und zu überwinden. Kinder und Jugendliche überwinden nur Grenzen, wenn sie dazu motiviert sind. Ein Verbot stellt eine zusätzliche Motivation dar. Wieviele FSK-18-Filme hat man sich mit 16 angeschaut, nur weil man es nicht durfte, und war dann enttäuscht? Altersgrenzen können immer nur allgemeine Grenzen setzen, niemals den persönlichen Interessen und Motivationen tatsächlich entsprechen. Manche Kriegsfilme, die „FSK 12“ eingestuft sind, verstörten mich mit 16 noch, während einige – sogar indizierte Filme – bei mir kaum Wirkungen auslösten.
Nun bin ich natürlich auch nur ein Individuum, aber das Argument ist universell: Kinder und Jugendliche verfügen über einen eigenen Willen, und wenn sie in einem vertrauenswürdigen Umfeld aufwachsen, sind sie clever genug, immer das zu bekommen, was sie brauchen oder wollen. Sie fordernsich stets selbst heraus (und fördern sich dadurch selbst), reifen und wachsen daran. Überraschenderweise gehört der Grenzübertritt um seiner selbst willen nur dazu, wenn er als ungerechtfertigt angesehen wird.
Ein Kind, das souverän genug ist, ohne elterliche Aufsicht und Hilfe allein im Internet unterwegs zu sein, ist auch souverän genug, zu entscheiden, was es sehen oder lesen will und was nicht. Da helfen auch keine FSK-Label.
Mein Fazit für die Regelung: eine gigantische Nullnummer, die weder die Verantwortlichen tatsächlich von ihrer Verantwortung für Kinder und Jugendliche entlastet noch den Kindern und Jugendlichen einen Vorteil bietet, sondern lediglich die Erwachsenen beschäftigt.
Ist ein solcher Verriss von hoheitlichem Tun noch FSK-12-tauglich, wie ich es zwischenzeitlich behauptet habe? In einer freiheitlichen Demokratie, die den freien Austausch von Gedanken schätzt, sollte er es sein … aber ich hege Zweifel. Ich habe ja noch einen Monat Zeit zu überlegen, wie ich diese Regelung umsetze … Vielleicht mache ich meinen Blog dicht und schreibe nur noch Bücher, diese unterliegen – bislang jedenfalls – noch keiner solchen Zensur.
Ja, ich weiß, dass FSK „Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft“ heißt, sich eigentlich nur auf Filme bezieht. Dass Filme für die DVD-Veröffentlichung andere Freigaben erhalten können als fürs Kino (wie „Starship Troopers“, der erst indiziert war und dann bei einer erneuten Prüfung als DVD freigegeben wurde – obwohl er zuvor im regulären Kinoprogramm lief). Dass für das Fernsehen wieder eine andere Institution zuständig ist, die sich nur an der FSK orientiert und andere Regelungen treffen kann. Ich habe das der Einfachheit halber mal alles in einen Topf geworfen und allgemein mit „FSK“ bezeichnet. Dass die FSK in gewisser Weise auch eine Art Zensurbehörde darstellt, legt Hans Schmid in seiner Artikelreihe über Filme des Dritten Reichs auf Telepolis anschaulich dar.Nachtrag (2. Dezember 2010)
Wie Spiegel online anmerkt, wurde der Staatsvertrag für Jugendschutz in den Medien bislang ignoriert bzw. nicht in aller möglichen Schärfe angewandt. Aber was sagt das über unser Rechtssystem aus?
Wir haben ein Quasi-Gesetz, aber brauchen dieses nicht zu achten? Wir brauchen nichts zu befürchten, denn wir können uns immer drauf berufen, dass der Staatsvertrag ja bislang auch nicht wirklich umgesetzt wurde? Wir verfügen jetzt über ein nationales Gesetz für ein internationales Medium, das von regionalen Parlamenten beschlossen wurde, und dessen konkrete Auswirkungen nicht umsetzbar sind. Weder gibt es technische Angaben, wie die Jugendschutzkennzeichnung im Quelltext anzugeben ist, noch darüber, wie all der Quark tatsächlich umzusetzen ist.
Rechtssicherheit sieht anders aus.
Wie viele Artikel nicht geschrieben bzw. nicht veröffentlicht werden, wie viele Werke lieber auf der heimischen Festplatte verbleiben statt den Weg zur allgemeinen Wahrnehmung zu finden, lässt sich noch gar nicht abschätzen. In einer solch unsicheren Lage, wo es keine Garantien aber noch mehr Gefahren gibt, ist die Schere im Kopf besonders sensibel. Irgendwie kann ich mich auf ein deutsches Internet, das ebenso wie DVD-Hüllen von FSK-Angaben entstellt wird, nicht wirklich freuen.
Gab es nicht mal irgendwo eine Abteilung, die die Auswirkungen von Gesetzen prüfen soll, bevor sie gelten? Ist die Abteilung verwaist oder wird sie ignoriert?
Nachtrag (7. Dezember 2010)
Ich schließe mich mal an der Argumentation des LawBlog („Was uns mit dem JMStV nach derzeitigem Stand droht, ist ein Regelwirrwarr und jede Menge Bürokratie.“) an und verzichte als Blog (= Journalismus = Nachrichten) auf eine Alterskennzeichnung und werde vorerst auch keinen Jugendschutzbeauftragten benennen (schließlich haben der Frauenbeauftragte, der Brandschutzbeauftragte und das Öko-Referat schon so genug zu tun:-). Zumindest so lange, bis sich die Lage juristisch etwas aufklärt. Ich stelle mir aber immer noch die Frage, was der ganze Jugendschutzblödsinn soll, nicht weil ich gegen Jugendschutz bin, sondern weil die bisherige Rechtslage weniger missverständlich und eindeutiger war (was bei dem Staatsvertragsblödsinn aber auch nicht schwer ist). Man hätte ja wenigstens klar benennen können, wie so eine Jugendschutzkennzeichnung als Tag im Quelltext aussehen könnte, wenn man schon so viel Aufwand betreibt.#
Nachtrag (8. Dezember 2010)
Achja, fast wäre es untergegangen. Die Forderung in der Überschrift halte ich natürlich aufrecht und erweitere sie auf: Kalender, Musikaufnahmen (ich halte ja Beethovens Neunte aufgrund ihrer Komplexität für FSK 12:-), Promiklatsch, Ratgeber, Satire, Kunst- und Kultur. Wo hört das eine auf (nicht kennzeichnungspflichtig, denn es ist Kunst), und wo fängt das andere an (kennzeichnungspflicht, weil „nur“ Kultur)? Wo ziehen wir bei Kalendern, Satire oder Aufklärungsliteratur die FSK6-, die FSK12- und FSK16-Grenze (bislang genügt es, wenn sie ganz allgemein „nicht jugendgefährdend“ sind)? Es gilt dringend zu verhindern, dass siebenjährige Kalender mit erotischen Fotos im Buchladen durchblättern können, die erst FSK12 oder gar FSK16 sind!
Im Gegensatz zu Websiten, die kaum (wenn überhaupt) Einnahmen erwirtschaften, verdienen Verlage und Publisher geradezu Vermögen. Hier besteht also ein enormes Ungleichgewicht, denn die vermögenden Inhalteanbieter, die sich Kennzeichnungsexperten, Anwaltsberatungen und juristischen Beistand leisten können, werden von einer Regelung verschont, die sie genauso betreffen müsste wie alle anderen Inhalteanbieter. Wenn das Internet dem Rundfunk gleichen soll, dann gleichen auch Printprodukte dem Rundfunk. Gleiche Rechte für alle! Gleiche Pflichten für alle! Nicht nur für die finanziell am schwächsten ausgestatteten Anbieter die nervigsten Pflichten!
Nachtrag (8. Dezember 2010)
Wie Telepolis berichtet, sind acht Computerspiele nach der Frist von 25 Jahren ordnungsgemäß vom Index verschwunden. Dabei wird mal wieder mehreres deutlich:
- Die Medienkompetenz der Entscheider verdient zumindest ein Fragezeichen.
- Die Begründung sollte nachvollziehbar ausfallen. Nicht immer nur mit Standardfloskeln, sondern auf den Einzelfall zugeschnitten.
- Die Vermutung von Willkür oder politischer Willfährigkeit bei mancher Entscheidung schwindet nicht.
- Die Frist von 25 Jahren ist lächerlich lang.
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Also auch wenn der Eintrag etwas älter ist muss ich gestehen, dass ich Ihre Art der Satire nicht teile. Wir leben in einer komplett überregulierten Welt. Auch hier in der BRD. Die Gesetze schreiben uns bereits jetzt alles vor, was wir mit unseren Kindern schauen dürfen, über was wir uns mit ihnen unterhalten dürfen, usw.
Ich meine, eine FSK für Bücher ist totaler Unfug.
Und Sie berufen eine Dystopie sondergleichen hervor mit solchen Aufforderungen.
Es gibt Kinder die sind weiter entwickelt als andere. Einig schauen mit zehn Jahren nur LOGO auf ZDFneo und haben kein Verständnis für komplexere Filminhalte als Heidi. Andere Zehnjährige schauen Star Wars und verstehen auch die Hintergründe… Ich bezweifle, dass hier eine jugendgefährdende Situation vorliegt.
Ihr Ansatz alles Kreative in die starren und unrealistischen Altersstufen der FSK/USK einzuordnen sehe ich als absolut kritisch.
Wie erkannt, handelt es sich um eine satirische Forderung. Und mit der dystopischen Verallgemeinerung und Ausdehnung von Alterskennzeichnungen habe ich versucht, die Absurdität der Alterseinstufungen von allem (Internet, Druckerzeugnisse, etc.) darzulegen. Insofern sind wir völlig einer Meinung.
Die Argumentation, warum etwas falsch ist, kann gelegentlich sehr langweilig und fad werden. Da ist es mitunter effektiver, euphorisch für die Gegenseite zu argumentieren und so den Irrwitz von deren Standpunkt sichtbar zu machen. Eine Dystopie hat ja genau diese Aufgabe: wachrütteln, auf Missstände hinweisen, Konsequenzen aufzeigen. Das einzig Ärgerliche ist, dass Dystopien meist von Menschen gelesen werden, die unterm Strich sowieso der selben Meinung sind.
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