Die Bild-„Zeitung“ „analysiert“ in ihrer Online-Ausgabe das Ausscheiden von Nelson bei DSDS. Schon lange heißt die Sendung nicht mehr „Deutschland sucht den Superstar“. Denn in der Darstellung der Bild-„Redakteure“ scheint schon jeder ein Star zu sein, der es überhaupt auf die Bühne schafft. Es wäre zu leicht, jetzt einen Rundum-Verriss der Sendung oder der Bild-Begleitung dieser Sendung anzustreben. Viel spannender ist ein anderes Phänomen, auf das Bild selbst hinweist, offenbar ohne es zu bemerken.
Bei der Abstimmung „DSDS-Nelson ist raus. Ich finde das … A … gerecht. Manuel war eindeutig besser. B… unfair. Nelson hat besser gesungen.“ Das DSDS-Konzept basiert darauf, dass das „Volk“ entscheidet, wer sein Star werden soll. Und jetzt darf das Volk noch einmal abstimmen, ob das Volk richtig abgestimmt hat. So etwas wünscht man sich in der Politik. Nur leider hat es in beiden Fällen keine Auswirkungen. Während der „Artikel“ vor der Abstimmung mehrere Aspekte des Auftritts vergleicht (Gesang/Performance, Aussehen, Selbstbewusstsein, Outfit, Sympathie), wird die Abstimmung nur auf den Gesang reduziert.
Nach dieser Logik hätte Madonna mit ihren stimmlichen Qualitäten niemals einen Plattenvertrag bekommen dürfen. Das tatsächliche Argument für Manuels Sieg versteckt sich wohl in seinem Sympathievorsprung. Ein selbstbewusst auftretender junger Mann wie Nelson braucht keine Unterstützung, der wird es auch so schaffen. Aber ein junger unbeholfener 19-Jähriger hat jede Hilfe und Unterstützung nötig, die er nur bekommen kann.
Deutschland will keinen fertigen Star. Deutschland will erleben, wie der Traum vom Star-Werden wahrwerden kann. Wie aus einem „Jungen von Nebenan“ – nebenbei bemerkt die ultimative Identifikationsfigur – ein „Star“ werden kann. Eigentlich ist es dabei egal, ob er wirklich gut singen kann. Überzeugen soll er, unterhalten, und es dürfen auch durchaus die einen oder anderen Projektionsphantasien ausgelebt werden. Was die Jury davon hält, ist egal. Die Sendung heißt nicht „Dieter sucht den Superstar“, sondern „Deutschland sucht den Superstar“.
Sicher ist es noch zu früh zu behaupten, dass sich das „Volk“ emanzipiert. Aber es ist doch erstaunlich, wie direkt es den kleinen sympathischen Manuel in Schutz nimmt und gegen den starken selbstbewussten Nelson verteidigt.
Wichtiger Hinweis: Mir ist DSDS eigentlich schnurz, und ich ignoriere sowohl die Sendung als auch die produzierten „Alben“. Als ich über den Bild-„Bericht“ gestolpert bin, gab es eigentlich nur zwei Fragen. Tritt tatsächlich ein Paradigmenwechsel ein, erhebt sich das Publikum über die Fernseh-Macher? Oder ist das nur plumpe Aufmerksamkeitsheischerei via Bild? Ich tendiere zu einer gemischten Antwort, finde aber den ersten Aspekt bemrkenswert. Es ist sicher noch viel zu früh, von einer Trendwende zu sprechen, aber das Publikum wird weniger vorhersehbar, möglicherweise auch weniger manipulierbar (bzw. reagiert bei Manipulierungsverdacht erst recht entgegengesetzt), und es wird immer weniger deutlich, nach welchen Sekundäraspekten eine Entscheidung gefällt wird. Damit wird das Ergebnis für Publikum, Fernsehproduzenten und Bild-„Redakteure“ spannender. Und spannendes Fernsehen ist ja grundsätzlich für alle ein Gewinn.