In der Informationsgesellschaft haben Nachrichten scheinbar einen hohen Wert. Schaut man genauer hin, sind es oft nur „Pseudo-Nachrichten“ oder reine Spektakel-Nachrichten. Der Wert einer Nachricht entsteht durch Geschwindigkeit, Interpretation, Abgrenzung zum Spektakel.
Tageszeitungen, „News“-Sendungen im Radio und TV sowie das Internet sind voll davon: Nachrichten. Oft sind es auch nur Meldungen darüber, was uns (das Publikum) interessieren könnte. Ist es eine ernsthafte Publikation, werden die Nachrichten auch in ihrer Wirkung und Entstehungsgeschichte interpretiert.
Wird ein neues Gesetz beschlossen, gehört es dazu, den Zuschauern, Zuhörern, Lesern mitzuteilen, was der Inhalt des Gesetzes ist, wo es möglicherweise an seiner Intention vorbeigeht, und mitunter kann die Entstehungsgeschichte verständlich machen, warum bestimmte Aspekte auf diese bestimmte Weise geregelt sind und nicht anders. Das Publikum erwartet von seiner Tageszeitung, seiner TV-Nachrichtensendung, der Mitteilung im Radio oder dem Online-Artikel genau das: die Informationen, was geschehen ist und wie es das Leben beeinflusst.
Um korrekt zu informieren, ist Unabhängigkeit der Medien von ihren Berichtsgegenständen unabdingbar. Die Meldung über das Atomausstiegsgesetz wird in der Hausmitteilung eines Kraftwerksbetreibers anders klingen als in einem Beitrag für das Magazin des Atomkraftgegner-Vereins. TV-Sender, Radiostationen und Zeitungen lassen ihre Interessen nicht immer deutlich erkennen. Doch wie unabhängig kann eine Zeitung über dieses Gesetz berichten, wenn auf der nächsten Doppelseite eine großformatige Anzeige des lokalen Kraftwerksanbieters prangt? Die grundsätzliche Skepsis gegenüber Medien und ihren Nachrichten ist wichtiger Bestandteil der sogenannten Medienkompetenz. Die alte Frage „Cui bono“ (Wem nutzt es?) lässt manche Mitteilung in einem anderen Licht erscheinen.
Was sind eigentlich Nachrichten? Das englische Wort „News“ lässt das Wesentliche erkennen: Nachrichten sind Neuigkeiten. Nachrichten sind Ereignisse oder Geschehnisse, von denen der Informierte zuvor noch nichts wusste.
Im Mittelalter gab es eine blühende Flugblattkultur. Oft waren die Flugblätter zweigeteilt: Oben war eine Zeichnung oder Illustration des Ereignisse, beispielsweise des Brandes einer Kirche, und unten berichtete der Text von dem Ereignis. Die Bebilderung hatte eine Doppelfunktion. Zum einen konnten große Teile der Bevölkerung nicht lesen und erhielten so dennoch die wichtige Information, die ihnen vorgelesen wurde. Die Personen, die lesen konnten, waren darin meist nicht so geübt und flüssig wie wir heutzutage, sodass das Bild auch als Merkhilfe diente. Fahrende Händler verkauften diese Flugblätter, die durchaus als Vorläufer unserer heutigen Zeitung angesehen werden können.
Warum wurden solche Flugblätter überhaupt gekauft? Das Sammeln von Flugblättern oder der rein ästhetische Genuss mögen Zusatznutzen gewesen sein, sind aber kein wesentlicher Grund. Die Käufer erfuhren durch die Flugblätter etwas aus entfernteren Gegenden, ihnen wurde von Katastrophen, Bischofswahlen, Kriegen, Hochzeiten berichtet. Meldungen über Sportereignisse gab es nicht, da der Leistungs- und Vergleichssport, wie wir ihn kennen, eine moderne Erscheinung ist. Allenfalls die Turniere könnten als vergleichbar angesehen werden, wenn auch unsere Vorstellung von diesen durch wenig realistische Romane und Filme stark geprägt und verfälscht ist.
Die Flugblätter wurden aus den gleichen Gründen gekauft, aus denen heutzutage allmorgendlich mehr als drei Millionen „Bild“-Zeitungen gekauft werden. Je spektakulärer die Meldung, desto größer das Kaufinteresse. Wen stört es da, dass bei dem Kirchenbrand nicht zwölf Familien samt Kindern umkamen, sondern gerade einmal drei Personen? Wer interessiert sich dafür, dass der im Flugblatt geschilderte Sieg über einen Fürsten nicht annähernd so militärisch glorios errungen wurde? Wen kümmert es, dass die zur Bischofswahl stehenden Kandidaten eigentlich gute Freunde sind, die sich regelmäßig zu einem intellektuellen Plauderstündchen treffen, und nicht die heiß gegeneinander antretenden Rivalen, wie es das Flugblatt behauptet?
Sind das eigentlich wirklich wichtige Nachrichten? Sind das nicht vielmehr Berichte, die wir vorwiegend aus den gleichen Gründen lesen, aus denen wir Filme wie „Independence Day“ oder „Titanic“ anschauen: aus Lust am Spektakel, aus Lust ab Besonderen, aus Lust auf das „Larger than Life“? Bei Nachrichten ist also zwischen zwei grundverschiedenen Bedürfnissen zu unterscheiden. Dem Interesse für Fakten und dem emotionalen Interesse.
Die pompöse Hochzeit eines Fürstenpaares im Nachbarkönigreich ist weniger wegen seiner faktischen Bedeutung relevant als wegen des Spektakels, an dem wir mittels Flugblatt teilhaben können. Dass unser eigener Fürst Soldaten aushebt, weil er einen Krieg vorbereitet, ist dagegen für uns von faktischem Interesse, denn es wirkt potenziell direkt auf unser eigenes Leben. Oft sind die Grenzen zwischen faktischem und emotionalem Interesse nicht klar zu ziehen. Der Bericht über den Ausbruch zweier Schwerverbrecher ist für die Personen in der betroffenen Region von faktischem Interesse, da sie gewarnt werden. Für alle anderen ist es das Spektakel, das die Nachricht interessant werden lässt.
Für einige wenige, die beispielsweise als Haftwärter oder Gefängnisarchitekten arbeiten, ist die Nachricht natürlich von professionellem (und somit faktischem) Interesse. Aus dem gleichen professionellen Interesse liest der Firmenchef Nachrichten über andere Firmen, liest der Börsenmakler Berichte über Fusionen, lesen Politiker Meldungen über Geschehnisse in anderen Ländern. Für solche professionellen Interessen gibt es zahlreiche spezielle Veröffentlichungen, in denen der Rest der Welt ausgeblendet wird. Da für die Mehrzahl der potenziellen „Nachrichtenkäufer“ die Nachricht aber nicht von faktischem Interesse ist, sondern von emotionalem Interesse am Spektakel, werden sich die Nachrichten am besten verkaufen, die am effektivsten die Spektakellust bedienen können.
Beim Radiohören und Fernsehen „kauft“ man die Nachrichten damit, dass man seine Zeit opfert und im Idealfall den vor-, nach- oder zwischengeschalteten Werbeblock genauso aufmerksam verfolgt wie die Nachrichten. Somit sind Medien niemals unabhängig, denn selbst wenn sie nicht direkt erkennbar inhaltlich beeinflusst werden könnten, besteht immer ein indirekter Einfluss. Dieser kann auch darin bestehen, dass eine Zeitung sich als „links“ etabliert hat und es sich daher nicht leisten kann, ihr Publikum mit konträren Argumentationsketten zu verschrecken.
Auch in der Abhängigkeit von einem möglichst großen Publikum besteht eine nicht zu unterschätzende Beeinflussbarkeit. Der „Wettstreit um das beste Wetter“, der vor einigen Jahren in Berliner Radiosendern ausgetragen wurde, ist dafür ein Beispiel. Denn die Wettervorhersage ist nur scheinbar eine hoch exakte Wissenschaft. Eine Vorhersage, die zwei Grad wärmer ist (theoretisch ist es ja möglich, dass es etwas wärmer wird und dass es als wärmer empfunden wird als es ist) und statt „mit Regen ist zu rechnen“ von „es könnte regnen“ spricht (denn eine 100-Prozent-Garantie, dass es tatsächlich regnet, gibt es nun einmal nicht), wird als angenehmer empfunden.
Was sind uns gut recherchierte, unbeeinflusst entstandene, angemessen präsentierte Nachrichten wert? Wenn wir ganz ehrlich sind, betreffen uns – abgesehen von den wenigen professionellen Spezialveröffentlichungen – die wenigsten Nachrichten direkt. Aber dennoch wollen wir wissen, wie viel unsere Politiker verdienen, mit wem der Sohn des englischen Königshauses anbandelt, wo ein Krieg viele Opfer fordert, welche Firmen neu entstanden oder vom Markt verschwunden sind, was es beim Autokauf zu beachten gilt, welche Neuregelungen im Straßenverkehr gelten. Außerdem erfahren wir noch über Verbrechen in der näheren und weiteren Nachbarschaft, über Liebeleien auf allen gesellschaftlichen Ebenen, über Ereignisse wie Rabattaktionen oder die bevorstehende Weihnachtsmarktsaison.
Was ist es uns wert, eine sorgfältige Selektion der wichtigen Nachrichten zu erhalten? Schließlich können wir nicht über alles, was irgendwo in der Welt geschieht, gleichermaßen informiert sein. In der Theorie zahlen wir eine Rundfunkgebühr, womit ein Rundfunk- und Fernsehnetz betrieben wird, das uns einiges bietet: Unabhängigkeit von Einzelinteressen und Markterfolg, Verpflichtung zu journalistischen Standards, Vielfalt der Meinungen. In der Theorie ist dieses System großartig. In der Praxis hat sich in den vergangenen Jahren einiges entwickelt. Die zwei großen TV-Sender-Ketten in Deutschland betreiben jeweils eigene Nachrichtensender (RTL, VOX: n-tv; Sat.1, Pro7, Kabel1: N24) und haben somit eine starke Nachrichtenkompetenz aufgebaut, was sich in steigenden Quoten äußert. Über die Qualität dieser Nachrichten sollen andere urteilen, aber hier ist festzustellen: Diese Nachrichten buhlen um Aufmerksamkeit, sie wollen mit der Aufmerksamkeit des Zuschauers erkauft werden, die sich auch auf möglichst viele Werbebotschaften erstrecken möge.
Damit sind sie potenziell in der steten Gefahr, das emotionale Bedürfnis stärker zu befriedigen als das faktische. Der öffentliche Rundfunk dagegen ist bereits bezahlt und muss nicht um Aufmerksamkeit buhlen. Er muss nur die Erwartungen erfüllen: Unabhängigkeit, Einhaltung von Mindeststandards, Vielfalt der Meinungen.
Wären wir bereit, für Nachrichtensendungen im Radio oder Fernsehen zu bezahlen? Vermutlich nicht. Daher ist unsere Aufmerksamkeit die Währung der Sender, die sie ihren Werbekunden in Rechnung stellen. Das Ärgerliche ist, dass inzwischen auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Aufmerksamkeit der Zuschauer (Quote) als Währung akzeptiert wird und zugunsten dieser die o.g. Tugenden vernachlässigt werden, jedenfalls beschleicht einen das Gefühl, dass es so ist.
Was ist der Vorteil von Nachrichten, dass es sich eventuell lohnen könnte, für sie zu bezahlen? Wir erfahren sehr schnell von einem potzenziell wichtigen Ereignis. Wenn es also unser professionelles Interesse betrifft, wären wir zu dieser Ausgabe bereit. Alle anderen Nachrichten erreichen uns auch auf anderen Wegen: entweder durch Tatsachen oder durch Klatsch. Die Nachrichten sind meist nur schneller, bevor die Tatsachen oder der Klatsch uns erreichen. Wenn wir für Nachrichten bezahlen, bezahlen wir also für einen Wissensvorsprung gegenüber den Nicht-Nachrichtenkonsumenten. Somit liegt der Kaufgrund weniger am faktischen Interesse als vielmehr an der Lust am Spektakel und an dem Wunsch auf zusätzliche Informationen, eben die Interpretation oder Einordnung der Nachrichten-Fakten.
Spätestens jetzt sollte ein weiteres Definitonselement von Nachrichten klar sein: Nachrichten sind (relevante) Fakten. Die Tatsache, dass Schauspielerin XY sagt, dass die gern mal in einem Film über Umweltbelange mitspielen möchte, ist keine solche (sondern vermutlich eher ihr Interesse, eine Pseudo-Nachricht zu ihrem Namen zu generieren). Die Tatsache, dass sie eine solche Rolle tatsächlich übernommen hat, ist eine Nachricht. Die Tatsache, dass ein Unternehmen überlegt, welche Produkte es anbieten könnte oder wie es bestehende weiter verbessern könnte, ist keine Nachricht (jedes Unternehmen tut das – somit ist es eine Nachricht vom Wert „Die Grünen sind gegen Atomkraft.“). Die Tatsache, dass ein Unternehmen einen großen Betrag investiert, um Prototypen einer neuen Entwicklung herzustellen oder ein bestimmtes Gerät weiterzuentwickeln, ist eine Nachricht, wenn dieser Betrag oder die unternommenen Anstrengungen höher sind als es in vergleichbaren Unternehmen üblich ist oder falls die Entwicklung bereits so weit fortgeschritten ist, dass mit einer baldigen Markteinführung zu rechnen ist. (Ich spreche hier von allgemeinen Nachrichten, nicht von Spezialreports für bestimmte Branchen.)
Im Online-Zeitalter, wo es alle Nachrichten auch online gibt, und zwar kostenlos, sinkt unsere Bereitschaft, für Nachrichten zu bezahlen, weiter. Lediglich für professionelle Interessen wären wir bereit zu bezahlen, da diese Informationen uns ja wirtschaftlich zugute kommen. Wir können unseren Job besser erledigen, effektiver arbeiten, bewusster planen, klüger auf Veränderungen reagieren. Alle anderen Nachrichten sind – und das muss man sich einmal eingestehen – Luxus. Zugegeben, ein scheinbar wichtiger Luxus, wenn man in einer „Informationsgesellschaft“ lebt. Wofür wir weiterhin Geld ausgeben werden, sind spektakuläre Geschichten.
Damit ist klar, dass Journalismus und Nachrichten nicht unbedingt das gleiche meinen müssen. Nur ein Bruchteil des Publikums ist bereit, für Qualität zu bezahlen. Wie bei jedem Produkt wird das billige höhere Verkaufszahlen aufweisen als das teurere, selbst wenn die Vorteile des teureren erkennbar sind. Wer einen Toaster kauft, gibt nicht 50 Euro für das Qualitätsmodell aus. Der Toaster für 20 Euro leistet das gleiche, er ist vielleicht nicht so gut verarbeitet, kann in ungünstigen Situationen Verletzungen verursachen (beispielsweise, wenn nach einem Sturz vom Tisch eine Abschirmung nicht mehr so fest sitzt und sich daher das Kind bei einer unvorsichtigen Benutzung verbrennt), wird nach zwei oder drei Jahren gegen ein neues Modell getauscht. Das heißt nicht, dass das teurere Modell automatisch besser ist, aber ich halte das für eine angebrachte Vermutung.
Auf Nachrichten bezogen bedeutet das: Die kostenlosen Nachrichten im Internet sind natürlich von Interessengruppen geschrieben. Cui bono? Wer hat ein Interesse daran, dass eine Information bzw. Nachricht bekannt wird? Welche Aspekte dieser Nachricht sind diesen Personen besonders wichtig, und welche sollten besser nicht bekannt werden? Aus purem Altruismus betreibt kaum jemand den Aufwand in alle Richtungen recherchierter Nachrichten. Denn in den meisten Fällen sind sauber durchrecherchierte Ereignisse vergleichsweise langweilig, da sich oft das scheinbar Spektakuläre relativiert.
Damit lässt sich resigniert feststellen: Nachrichten sind uns nicht viel wert. Jedenfalls bei weitem nicht so viel wie Spektakel. Wir sollten nur darauf acht geben, dass wir beide nicht verwechseln.