Dank den Reichen?

Wieder wird eine neue Sau durchs Mediendorf getrieben: 40 US-Milliardäre wollen die Hälfte ihres Vermögens (oder mehr) spenden. Hurra! Ich frag mich nur, wie die Leute Milliardäre geworden sind …Es gibt bekanntermaßen drei Möglichkeiten, zu Wohlstand zu gelangen, eine vierte habe ich der Vollständigkeit halber ergänzt:

  1. harte Arbeit – wers glaubt.
  2. Erbe, Lotto, Schenkung – mit etwas Glück.
  3. Verbrechen – man muss es nur behalten können.
  4. Ausnutzen von Abhängigkeiten – moralisch verwerflich, aber immerhin legal.

Wir sind uns wohl alle einig, dass niemand mit harter Arbeit Milliardär wird. Einige Erb- oder Lottomillionen sind zwar recht wohlstandsförderlich, aber als Hauptquelle von Milliardenkonten eher unwahrscheinlich. Ich werde mich hüten, einem der Spender Verbrechen zu unterstellen. Allenfalls einem gewissen William Henry Gates III kann ich guten Gewissens zumindest fragwürdige Geschäftspraktiken vorwerfen, wie übrigens auch juristische Instanzen in den USA mehrfach erkannt haben. Sein Unternehmen wurde allerdings nicht zerschlagen, wie es sich eigentlich gehört. Denn im Namen der Freiheit wird doch sonst jedes freiheitunterdrückende Regime niedergeschlagen, zermalmt, weggebombt, vernichtet, an den Pranger gestellt, des Rechts auf eigene Sichtweise beraubt, kurzum: der Prozess gemacht, wobei der in solchen Fällen gemachte Prozess durchaus Anklänge an einen gewissen Josef K. aufweist. Man könnte auch schlicht von Willkür (bzw. anderen als den vorgeblichen Gründen) sprechen.

Wie konnte das „profitabelste Technologie-Unternehmen des Planeten“ (stolze Aussage des derzeitigen Firmenführers Steven Anthony Ballmer) seinen Mitgründer, Hauptaktionär und „Visionär“ zum reichsten Menschen der Welt werden lassen? Durch ideale Produkte? Durch fairen Wettbewerb? Durch ehrliches Geschäftsgebaren? Oder durch Ausnutzen sämtlicher Juristentricks? Durch Schaffung eines Monopols (im Gegensatz zu einem entstandenen Monopol)? Durch Ausbeutung der eigenen Mitarbeiter und Schröpfen der Kunden?

Nur eine kurze Liste:

  • Knebelverträge, die PC-Hersteller dazu zwingen, Windows mizuverkaufen
  • FUD-Kampagnen (Fear, Uncertainty, Doubt) gegen alles und jeden (Linux, offene Standards, Apple, etc.), der auch nur annähernd ähnliche Produkte anbietet bzw. tatsächlich bessere Produkte anbietet
  • „Embrace and Kill“-Strategien (z.B. HTML, erst vereinnahmen und dann monopolisieren, sodass es scheinbar nur mit dem eigenen Angebot funktioniert)
  • exzessives Lobbying
  • Bündelung von Produkten ausschließlich zum eigenen Vorteil (Internet Explorer bei Windows 98)
  • Vertragspartner dürfen nicht frei entscheiden – alles oder nichts
  • gebrochene Versprechen gegenüber Partnern (IBM: OS/2), Kunden („Windows ist sicher“)

Kann man Microsoft seinen Reichtum gönnen? Ich persönlich fühle mich betrogen, wenn ich für ein vollwertiges Windows im Laden 250 Euro bezahlen soll, während ich beim Rechnerkauf mit der Demo-Version belästigt werde, die den Rechnerkauf auch noch um 30 Euro verteuert. Da ich persönlich – was kein Geheimnis ist – Windows für das minderwertigere System halte, empfinde ich es geradezu als Nötigung, dieses System aufgedrängt zu bekommen. Ich empfinde es als Frechheit gegenüber der Welt und allen Bedürftigen, wenn Linux als kostenlose Alternative aus dem Markt gedrängt wird – und zwar nicht über fairen Wettbewerb, sondern über Hetzkampagnen, Lobbying, Knebelverträge usw. usf. Den freien Markt habe ich mir anders vorgestellt. Für meinen Geschmack ist es etwas zu viel „Survival of the Fittest“ (Recht des Stärkeren), wenn der Stärkere ohne Anstand und Rücksicht und gebotene Zurückhaltung agiert.

Nehmen wir an, Sadam Hussein hätte Ende der 1990er Jahre ein ähnliches Programm angekündigt. Nehmen wir an, Josef Stalin hätte statt vermutete Feinde zu jagen, die Waschmaschinenproduktion erhöht. Nehmen wir an, Satan würde die Hälfte seiner Höllenwärme zur Beheizung der armen Bevölkerung in kalten Regionen zur Verfügung stellen. Nehmen wir an, ein Despot des Feudalismus hätte gesagt: Ich höre mal für die nächsten acht Monate auf, euch arme Bauern auszubeuten, ihr dürft euch alle aus meinen Schatzkammern etwas nehmen. Die Vergleiche sind alle schief und hinken.

Aber wo kommen die Milliarden her, die jetzt so großzügig gespendet werden können? Liegt es nicht daran, dass bestimmte Marktsituationen schamlos ausgenutzt wurden? Dass erst das Massengeschäft (viele zahlen etwas, wenige verdienen viel) solche Reichtümer möglich machte? Dass jeder verärgerte oder enttäuschte Kunde besser ist, solange er ein Produkt – wenn auch widerwillig oder gar wider besseren Wissens – kauft, als gar kein Kunde?

Ich bin mir ziemlich sicher, dass der Großteil der Spender seine Reichtümer nicht durch tatsächliche eigene Arbeit und Leistungen erworben hat. Die einen schaffen Luftblasen, die anderen profitieren von ihnen, wieder andere verkaufen illusionäre Werte wie das „Gefühl von Luxus“. Echte Wertschöpfung sieht anders aus: im matieriellen und ethischen Sinn.

Für mich jedenfalls hat die ganze Spendenaktion „ein Geschmäckle“.

Nachtrag

Natürlich ist es „nett“, dass die Milliardäre ihr Geld nicht nur horten wie Dagobert Duck, dessen Geldspeicher dem Kapitalismus ein prägnantes Gesicht verliehen hat. Aber die Reichtumsentstehung ist dennoch fragwürdig. Auch wenn beispielsweise George Lucas mit seiner Bildungsstiftung ein ehrbares Ansinnen verfolgt, auch wenn Gates’ Stiftung medizinische Forschungen ermöglicht, auch wenn zahlreiche gute Dinge finanzierbar werden, bleibt dennoch meiner Meinung nach das ursächliche Problem der unnötigen Geldanhäufung in privater Hand. Wenn er gewollt hätte, hätte Bill Gates (50 Milliarden Dollar, Anfang 2009) den Irakkrieg (63 Milliarden Dollar) fast alleine bezahlen können – zuviel Macht in privater Hand sollte eher skeptisch stimmen.

Auf Deutschland bezogen wären mir statt Forderungen nach einer ähnlichen Initiative etwas mehr soziales Gewissen lieb. Jeder Millionär, von dem direkt oder indirekt Arbeitsplätze abhängen, sollte mit seinem Vermögen persönlich haften. Entlassungswellen – Beteiligung der Millionäre an den gesellschaftlichen Kosten (ALG, Weiterbildung, Vermittlung, etc.). Firmenschließungen durch Missmanagement – her mit dem Geld, das während des Bestehens der Firma in private Hände geflossen ist und dadurch dem Firmenvermögen entzogen wurde. Wer mer als 20.000 Euro pro Monat erhält (das wäre die Grenze, die ich persönlich zugestehe) und dann nicht mit dem persönlichen Vermögen für Fehlentscheidungen haftet, verdient es nicht, mehr Geld zu bekommen.

Also her mit der Vermögenssteuer! Vermögenssteuer = Wer viel hat, gibt davon etwas ab, und behält immer noch genug. Weg mit den aktionistischen Appellen ans Gutmenschentum. Ein guter Mensch zeichnet sich nicht dadurch aus, dass er von dem Zuviel, das er hat, etwas abgibt. Ein wirklich guter Mensch gibt auch dann, wenn er mal wenig hat.

Nachtrag 2

Besonders erfrischend vor diesem Hintergrund wirkt folgende aktuelle Nachricht: Vor Beginn des neuen Schuljahres beklagen Lehrerverbände erneut einen dramatischen Pädagogenmangel an deutschen Schulen. Der Deutschen Philologenverband schätzt die Zahl der fehlenden Lehrkräfte auf rund 45.000. Verbandsvorsitzender Meidinger: „So groß war der Lehrermangel in Deutschland noch nie.“

Aber George Lucas’ Milliarden werden da nicht helfen. Denn er will eine bestimmte Art von Lehre fördern, eine, die durchaus unterstützenswert ist, aber den konkreten Notstand nicht beseitigt. Das ist nämlich das Problem mit privaten Spenden: Die Geldbesitzer können selbst entscheiden, wofür ihr Geld gedacht ist – unabhängig von gesellschaftlichen Bedürfnissen. Über staatliche Einnahmen (Steuern) dagegen kann ein demokratisch legitimiertes Gremium entscheiden. Das ist zwar selten besser, aber wenigstens legitimiert.

Und damit entsteht wieder die für mich unentscheidbare Streitfrage: Welches der beiden Systeme ist vorzuziehen:

  • charismatischer Herrscher, Entscheider, Visionär, Führungspersönlichkeit oder
  • demokratisch gewählte Repräsentanten?

Aber das ist ein anderes Thema und soll zu einem anderen Zeitpunkt besprochen werden …

Alexander Florin: Alexander Florinein Kind der 70er • studierter Anglist/Amerikanist und Mediävist (M.A.) • wohnhaft in Berlin • Betreiber dieses Blogs zanjero.de • mehr über Alexanders Schaffen: www.axin.de ||  bei Facebook || auf Twitter folgen

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