Der Bachelor taugt nichts

„Die Einstellung von jungen Studierenden stellt viele Unternehmen daher vor eine Herausforderung. Hatten frühere Absolventen nur ein Defizit in der Praxis, fehlt ihnen nun noch zusätzlich die wissenschaftliche Methodik. Bachelor-Absolventen haben Defizite in beiden Bereichen.“ Das behauptet ein Telepolis-Artikel.

Erschreckend, wenn sich Befürchtungen bewahrheiten. Meine Befürchtungen in unsortierter Reihenfolge:

  • Bachelor und Master sind die Verfachhochschulisierung der Universitäten. Weniger selbstständiges (und damit bewusstes) Lernen als vielmehr eine theoretische Berufsausbildung. (Die einst sinnvolle Trennung zwischen Fachhochschule und Universität wurde tatsächlich aufgehoben – sämtliche Fachhochschulen in Berlin haben das „Fach“ aus ihren Namen gestrichen und sind nunmehr ebenso wie Universitäten „Hochschulen“.)
  • Dadurch Herabwürdigung eines Studiums als einstens Aneignung von Meta-Wissen, Methoden, analytischem Denken und Freigeist zu nun purem Konventionalismus.
  • Das eigene Denken kommt zu kurz. Bachelor-Lehrpläne sind so vorkonfiguriert, dass es kaum möglich ist, auf Entdeckungstour zu gehen, beispielsweise Literaturtheorie anhand nicht-kanonisierter Literaturbeispiele zu verstehen. Das hemmt wissenschaftlichen Fortschritt und separiert Forschung und Lehren/Lernen.
  • Verrat an Humboldts Lehrideal (der Einheit von Forschung und Lehre) für die Universitäten.
  • Existenz von Tausenden Hochschulabgängern, die glauben, etwas zu wissen, aber mit dem Wissen nicht viel anfangen können.
  • Schaffung von Denktunneln, aus denen Studenten nicht herauskommen – weil sie nie dazu angehalten/motiviert werden konnten, jenseits des Vorgegebenen zu denken.
  • Studien-externe Motivation. Studenten müssen sich selbst motivieren, mehr zu tun als unbedingt nötig ist – wofür aber meist die Zeit fehlt. Für Magisterstudenten bildeten die Freiheiten eine ständige motivierende Herausforderung. Wer sich für ein Seminar bewusst entscheidet, nutzt es anders als jemand, der gezwungen ist, eine ganz bestimmte Veranstaltung zu besuchen. (siehe: unterschiedliches Engagement in einer Schulstunde und in einer AG nach der letzten Schulstunde)
  • Wenn nach sechs, sieben oder acht Semestern derart konditionierte Absolventen einen echten Abschluss („Master“ genannt) erwerben wollen, können sie natürlich immer noch nicht frei denken und die Freiheiten genießen. Nur rhethorisch gefragt: Besitzt ein Master-Studium ähnliche Freiheiten wie ein Magister-Studium? Die rhethorische Antwort: Nein.
  • Von 18-Jährigen Schulabgängern wird verlangt, dass sie wissen, was sie im Leben werden wollen, und kleinere Kurskorrekturen sind nicht möglich. Dafür ist der Studiengang jeweils zu unflexibel, der Wechsel in ein anderes Bachelorstudium wäre nötig.
  • Aufgrund der sehr verschulten und strukturierten Planung ist ein Wechsel zwischen Hochschulen schwerer möglich, da die jeweiligen Bachelor-Studiengänge an jeder Hochschule irgendwie in sich stimmig (oder zumindest irgendwie funktionierend) aufgebaut sind. Die Kompatibilität mit Modulen an anderen Hochschulen bleibt dabei auf der Strecke (für Magisterstudenten war es dagegen egal, ob sie Literaturtheorie anhand von Kafka in Berlin, anhand von Goethe in Weimar oder anhand von J. M. Simmel in Münster verstanden – Hauptsache, sie kannten die Begrifflichkeiten, Modelle und konnten sie [v.a. auch auf neue/unbekannte Texte] sinnhaft anwenden).
  • Letztlich verdummen auch die Dozenten und sind irgendwann nicht viel mehr als Lehrer für Erwachsene, während doch ihr Anspruch zumindest teilweise eigentlich in einer wissenschaftlichen Neugier und Forschung bestehen sollte.

Aus nostalgischer Lust an der Analogie: Ein Magisterstudium ist eine große Küche, in der man herumstöbert und sich zusammensucht, was ein leckeres Mahl ergibt. Oft weiß man im Vorfeld noch gar nicht genau, was am Ende entsteht und ist dann überrascht, welch spannende Kombinationen man kredenzen kann. Selbst wenn man gelegentlich in eine Fremdküche hineinschaut, wird man immer etwas entdecken können, das für das eigene Mahl förderlich sein kann: ein spezielles Gewürz oder andere Zutat, eine Zubereitungsart, eine Speisenkombination oder ausgefallenes Kochgeschirr.

Ein Bachelor-Studium ist dagegen die Auswahl aus zahlreichen Küchen (jede nur für eine spezielle Speise geeignet), in der man sich dann jeweils an die korrekte Zubereitung halten muss (für Experimente oder Korrekturen fehlen die nötigen Ersatzzutaten). Für den Nachtisch (= Master) kann man dann aus mindestens einer doppelt so großen Auswahl an Küchen wählen, wo man sich dann ebenfalls recht strikt an die Zubereitung halten muss.

Aus dieser Küchenanalogie lässt sich alles herleiten, was mich am Bachelor und Master so aufregt und mich die diesem System unterworfenen Studenten bedauern lässt. Auch wenn der Magister durchaus die eine oder andere Optimierung und Verbesserung vertragen hätte – den Bachelor und Master in seiner jetzigen Ausprägung hat niemand verdient.

Da man nicht nur schimpfen soll, hier vier Ideen für ein besseres Hochschulwesen (sobald der Magister wieder eingeführt wurde ;-) :

  • Praxisbezug: Im Grund- und Hauptstudium sind insgesamt sechs Monate praktische Erfahrung nachzuweisen. Davon sind im Grund- und Hauptstudium jeweils mindestens zwei Monate zu absolvieren, ein Praxisabschnitt muss jeweils mindestens zwei Monate (bei Teilzeit drei Monate) dauern.
  • Studienfinanzierung: Pro studiertes Semester zahlt der Student ein Jahr zwei Prozent seines Bruttoeinkommens (mindestens jedoch 40 Euro) – ab dem Moment der Exmatrikulation und sobald er/sie mindestens 1.700 Euro brutto/Monat verdient. Pro Semester nach dem zweiten Semester nach der Regelstudienzeit zahlt er jeweils 0,2 Prozent mehr. Bei einer Regelstudienzeit von neun Semestern wären das dann für das 13. Semester 2,6 Prozent (also im zwölften Jahr 2,4 Prozent, im 13. Jahr dann 2,6 Prozent). Mit dem Beginn des 21. Semesters muss die Bezahlung parallel zum Studium erfolgen. So nimmt der Staat mehr Geld ein, als er es mit Studiengebühren je könnte, und die Studenten zahlen das Geld erst dann, wenn sie es verdienen – und zwar abhängig vom Erfolg (auch der genossenen Ausbildung).
  • Raus aus dem Tunnel: Jeder muss mindestens zehn Prozent seiner Lehrveranstaltungen in artfremden Fächern belegen (also Geisteswissenschaftler in nicht-geisteswissenschaftlichen Fächern, Naturwissenschaftler in nicht-naturwissenschaftlichen Fächern, also üblicherweise einfach an einer anderen Fakultät). Früher nannte man das Studium generale.
  • Wissenschaftspflege: Jede Hochschule bietet eine Veranstaltungsreihe zur Wissenschaftlichkeit an, die für alle verpflichtend ist. Die Themen: Wissenschaftsgeschichte, Erkenntnistheorie, Wissensvermittlung, wissenschaftliches Arbeiten und Zitieren, Lernmethoden, Referatehalten, etc. Insgesamt sollten das 4 SWS sein (also ein Semester Vorlesung und ein Semester Seminar, beide sollten voneinander unabhängig sein und v.a. Studienanfänger ansprechen). Die Vorlesungen werden dabei von verschiedenen Professoren gehalten (quasi wie eine Vorlesungsreihe über das Semester verteilt), und die begleitenden Übungen können umfassen:
    • Beispielreferate
    • „Finde die Fehler in fremden Hausarbeiten“: Zitate, Plagiatsversuche, Schreibweisen
    • die zehn wichtigsten Standardwerke für jedes Wissenschaftsgebiet
    • die Bedeutung von Wikipedia für die Wissenschaft

Zur Selbstverpflichtung jeder Universität sollte es auch gehören, Wahlmöglichkeiten anzubieten. Es sollte stets aus mindestens zwei verschiedenen Veranstaltungen gewählt werden können. Es muss theoretisch möglich sein, dass zwei Studenten des selben Fachs parallel studieren, sich aber in keiner einzigen Veranstaltung begegnen.

Für all meine Vorschläge könnte ich lange Vorträge halten, die die Vorteile und Vorzüge und die Notwendigkeiten belegen. Aber vielleicht hänge ich auch nur einem falschen Bildungsideal nach und vergesse darüber, dass der Bachelor auch seine Vorteile hat. Mir fallen nur keine ein.

Alexander Florin: Alexander Florinein Kind der 70er • studierter Anglist/Amerikanist und Mediävist (M.A.) • wohnhaft in Berlin • Betreiber dieses Blogs zanjero.de • mehr über Alexanders Schaffen: www.axin.de ||  bei Facebook || auf Twitter folgen

2 Kommentare

  1. Dass sich die hier geschilderten Befürchtungen bewahrheitet haben, ist traurig. Von eigenartiger Ironie ist allerdings die Tatsache, dass jene Unternehmen und (Bertelsmann-)Stiftungen, die den Umstieg auf Bachelor und Master vor nicht allzu langer Zeit vehement propagierten, nun eilig zurückrudern und Defizite beklagen, vor denen andere schon im Vorfeld gewarnt haben (um von Think Tanks, Bildungsoptimierern und Bertelsmännern dafür scharf angegriffen zu werden). Traurig ist indessen der Umstand, dass man trotz der nun vorliegenden empirischen Befunde, welche vom gloriosen Scheitern der Reform zeugen, auch die letzten Überreste des alten Systems „zweckoptimieren“ und „reformieren“ will : die Examensstudiengänge. Bologna hat halt inzwischen ein ungesundes Eigenleben entwickelt. Tausende Personen haben an der Reform mitgewirkt, entsprechende Studien und Expertisen erstellt und „Hintergrundwissen“ produziert. Manch ein stolzer (Fach-)Hochschulrektor verdankt seinen Posten gar der rigorosen Durchsetzung ambitionierter Reformvorhaben. Anzunehmen, diese Leute würden nun, angesichts wenig glücklicher Ergebnisse, einfach aufgeben und das „halb-reformierte“ Bildungswesen sich selbst überlassen, wäre denkbar naiv. Zum einen sind die entsprechenden Prozesse teilweise schon in Gang gesetzt und werden noch geraume Zeit „nachglühen“, zum anderen glauben manche Reformer vermutlich noch immer an das Potenzial ihrer Missgeburt, auch wenn die Realität sie eines Besseren belehren sollte. Auch die empirischen Bildungsforscher sind vor Ignoranz eben nicht gefeit. Den verderblichen Geist von Bologna werden wir jedenfall sobald nicht mehr loswerden. Für die Bachelor- und Master-Studenten bedeutet das praktisch, dass sie nicht nur um ein wirklich wissenschaftliches Studium und viel Lebensqualität betrogen wurden, sondern auch, dass sie trotz schnellem („effizientem, optimiertem“) Studium von Unternehmen nicht als vollwertige Bewerber angesehen werden. Angesichts der Befunde bleibt eigentlich nur zu befürchten, dass sich die Verursacher des Schadens bald eine weitere Reform einfallen lassen.

  2. Ich befürchte leider das selbe. Und bedauere die tausenden Ba/Ma-Opfer, deren Leben/Karriere/Ambitionen/Interessen diesem Blödsinn zum Opfer fallen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.