Von Austern und Schnecken

Seit Anfang der 90er Jahre beleben immer mehr Schwule das Mainstream-Kino aus Hollywood.

Schwul sein ist in. Und wenn schon nicht schwul sein, dann wenigstens mit der Möglichkeit kokettieren. Das ist nicht erst in aktuellen Filmen ein Thema. Man denke daran, wie Crassus in »Spartacus« (1961) Antoninus verführen wollte. Durch die Blume fragt er ihn nach seiner sexuellen Orientierung: »Findest du, dass Austern zu essen moralisch, dagegen Schnecken zu essen unmoralisch ist? Selbstverständlich nicht, das ist nur eine Geschmacksfrage. Und Geschmack hat nichts mit Appetit zu tun und ist daher keine Frage der Moral. Ich mag im Gegensatz zu dir beides: Schnecken und Austern.« Damals wurden solche Szenen noch herausgeschnitten, heute scheint die Frage nach »Schnecken oder Austern« weniger bedeutsam zu sein.

River Phoenix und Keanu Reeves zeigten in »My private Idaho« (1992) die melancholisch-deprimierende Version einer Männerbeziehung. Russell Crowe, der spätere Gladiator, verkörperte in »Immer Ärger mit der Liebe« (1994) einen nach Liebe dürstenden Schwulen, und Robin Williams gab im »Käfig voller Narren« (1996) die überdrehte Variante. Johnny Depp entzieht sich in »Fluch der Karibik« (2003) der eindeutigen Zuordnung.

Seit den 90ern wurden die Schwulen als Zielgruppe erkannt. Nicht nur zahlreiche Filme widmeten sich sämtlichen Aspekten der Liebeslust, Verführung, Beziehung und Liebeleid von Männern und den damit verbundenen Problemen. Auch beinahe jede Fernsehserie erhielt ihren Quotenschwulen, Lesben waren die Ausnahme. Überraschenderweise entdeckten die Sitcoms das komische Potenzial erst spät und landeten aufgrund des bisherigen Mangels mit »Will & Grace« einen großen Erfolg.

Während es heutzutage in Film und Fernsehen kaum einen Mangel an schwulen Rollen gibt und diese auch begehrt sind, verfügen die meisten Darsteller über eine heterosexuelle Vergangenheit und Gegenwart. Ihre Glaubwürdigkeit leidet darunter nicht. In die andere Richtung funktioniert es auch. Rock Hudson beispielsweise bekannte sich inoffiziell zu seiner Homosexualität und durfte trotzdem filmelang Doris Day ehelichen. Ebenso waren Montgomery Clift und James Dean – wie Dokumentationen belegen – schwul und füllten ihre heterosexuellen Rollen überzeugend aus, auch wenn sie oftmals zerrissene Charaktere spielten.

Eine Betrachtung der so genannten »Buddy Movies«, in denen eine Männerfreundschaft im Zentrum steht, wie beispielsweise in »Asphalt Cowboy« (1969) mit Dustin Hoffmann und John Voight, wirft hinsichtlich ihrer homoerotischen Komponenten ein weites Licht auf die Problematik des »schwulen Films«. Teilen sich ein Mann und eine Frau im Film eine Wohnung, kommt es automatisch zu erotischen Verwicklungen, die Sexualität ist stets präsent. Wohnen dagegen zwei Frauen oder zwei Männer zusammen, wird die Beziehung der beiden völlig asexuell präsentiert. Eine der Ausnahmen ist »Interview mit einem Vampir« (1994), in dem ein melancholischer Brad Pitt und ein erotisierter Tom Cruise durch die Jahrhunderte streifen; die Diffamierung als »Film für Frauen und Schwule« wird dieser Streifen nicht mehr los.

Die sexualisierte Inszenierung von Männerkörpern ist allerdings kein Kennzeichen für den schwulen Film. Richard Gere, dessen Körperlichkeit die Ästhetik von »Ein Mann für gewissen Stunden« (1980) wesentlich prägte, hat keinerlei schwule Rollen gespielt. Auch die fast pornographischen Bilder, die uns »Batman und Robin« (1998) von den Körpern seiner Protagonisten liefert, öffnen keine Bedeutung hinsichtlich ihrer Homosexualität. Das gleiche gilt für sämtliche Tarzan-Filme.

Auch das deutsche Kino verfügt über einige Beiträge zum Thema »schwul«. »Coming Out« (Defa, 1989) erzählt die Geschichte eines Lehrers, der sich selbst darüber klar werden muss, wen er liebt. In einer Szenekneipe fällt der entscheidende Satz über die Situation in der DDR von einem alten Dauergast: »Heute ist es ganz egal, ob der Mann neben dir Jude ist oder sonst was. Nur die Schwulen, die haben wir vergessen.« In der BRD lieferten und liefern die Filme Rosa von Praunheims regelmäßig Ansichten über schwules Leben.

»Der bewegte Mann« (1994) hingegen nutzt das Sujet eher für Lacher denn für eine Auseinandersetzung mit dem Thema. Hier, wie in vielen anderen Filmen, wird Homosexualität nur behauptet und vermag dem Zuschauer nichts über »schwule Befindlichkeiten« mitzuteilen. Erst in »Echte Kerle« (1996) wird das Dilemma einer Welt, in der schwule und nichtschwule Männer leben, ehrlich geschildert. Damit wird ein wesentliches Problem offenbar: Die Eindeutigkeit zwischen Hetero- und Homosexualität, die uns die Filmwelten vorgaukelt, gibt es nicht.

erschienen in UnAufgefordert Juni 2004, Seite 18

Alexander Florin: Alexander Florinein Kind der 70er • studierter Anglist/Amerikanist und Mediävist (M.A.) • wohnhaft in Berlin • Betreiber dieses Blogs zanjero.de • mehr über Alexanders Schaffen: www.axin.de ||  bei Facebook || auf Twitter folgen

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