Früher war alles besser? Das gilt nicht für Filme.

Das Lobpreisen vergangener Zeiten ist eine beliebte Redefigur: „Früher war alles besser.“ Bei näherer Betrachtung relativiert sich das „besser“. Was früher war, wirkt gerade im Nachhinein oft vertrauter, weniger neu und ist durch die persönliche Nostalgie meist auch emotional aufgeladen. Da der allgemeine Jammer über das heutige 08/15-Kino immer wieder zu hören ist, bin ich der Filmkultur einmal nachgegangen.

Die „heutigen Filme“ repräsentieren die Top10-Filme der Jahre 2003 bis 2012, und die früheren Filme werden durch die Top10-Filme der Jahre 1968 bis 1977 vertreten. So können wir zwei Filmjahrzehnte mit je 100 Filmen miteinander vergleichen. (Aufgrund der Datenlage konnte ich leider nicht die Jahre 1963 bis 1972 heranziehen – was ich lieber getan hätte. Aber ich hatte erst ab dem Jahr 1968 halbwegs zuverlässige Zuschauerzahlen entdecken können.)

Die zusammengestellten Daten können als Excel-Tabelle (oder PDF) heruntergeladen werden. Darin sind auch die ermittelten Budgets und Einspielergebnisse vermerkt (sofern ermittelbar). Diese ergeben weitere Erkenntnisse für Interessierte.
Das Folgende ist als Vortrag konzipiert, die Präsentation ist unter diesem Link direkt im Browser anzuschauen. Die Präsentation wurde in HD-Qualität erstellt (1.920 x 1.080 Pixel).

Die Filmcharts der 2000er-Jahre

Erinnern wir uns an die erfolgreichen Filme der vergangenen zehn Jahre. Aufgelistet sind jeweils pro Jahr die Top10 in Deutschland.

Die Filmcharts der 2000er-Jahre im Überblick

  • 2012: James Bond Skyfall, American Pie Klassentreffen.
  • 2011: Kokowäh, Die Schlümpfe.
  • 2010: Rapunzel, Inception, Kindsköpfe.
  • 2009: Avatar, Wickie, 2012.
  • 2008: Mamma Mia!, Wall-E, Die Welle.
  • 2007: KeinOhrHasen, Simpsons, Spider-Man3.
  • 2006: Ice Age 2, Sakrileg, Das Parfüm.
  • 2005: Star Wars Episode 3, Mr. & Mrs. Smith, King Kong.
  • 2004: (T)Raumschiff Surprise, 7 Zwerge, Der Untergang, Troja.
  • 2003: Herr der Ringe – Rückkehr des Königs, Findet Nemo, Das Wunder von Bern.

2012 gab es eine richtige Überraschung: Ein französischer Film konnte sich mit Abstand auf Platz eins absetzen. Auch sonst gibt es durchaus einige Kandidaten, die man in der Top 10 nicht vermutet hätte oder die man gern wieder vergessen würde, während die Platzierung anderer Filme enttäuscht. Es waren jedenfalls bunte Jahre. Jeder Film wurde von durchschnittlich 4,5 Millionen Besuchern angeschaut.

Wie viele Filme wurden tatsächlich neu geschaffen, also nicht „einfach nur“ verfilmt?

Filme, die als neu oder originell gelten

Sicher kann man über die Auswahl hier streiten, da fast jeder Film direkt oder indirekt auf andere Werke Bezug nimmt. Ob „(T)Raumschiff Surprise“ als Star-Trek-Parodie ein „neuer“ Film ist oder eine Neu-Verfilmung anderer Filme, ist diskussionswürdig; ich zähle ihn daher sowohl bei „Neu“ als auch bei „Remake“ mit. Aber eine erste Abschätzung ergab, dass rund ein Drittel aller Filme in gewisser Weise neu sind. Also weder Remake noch Fortsetzung oder Verfilmung wie die übrigen zwei Drittel.

Die wichtigsten Filmmarken

Beim Thema Fortsetzungen bietet es sich an, einmal Filmreihen zu untersuchen. Jede Filmreihe stellt in gewisser Weise eine eigene Marke dar, mit der auch geworben wird.

Filmmarken in den 2000ern

  • Der Name „Harry Potter“ steht jedenfalls gut lesbar auf den Filmplakaten. Insgesamt schafften es sechs Harry-Potter-Filme in die Top10s.
  • Dreimal gibt es Ice Age
  • und vier Filme mit Captain Jack Sparrow.
  • Auch James Bond schaffte es auf nur drei Filme in den zehn Jahren.
  • Pixar lieferte insgesamt sechs Top10-Beiträge ab,
  • zur Marke Shrek gehören vier.
  • Dreimal brachte uns Til Schweiger leichte Kost
  • und fünfmal das Twilight-Ensemble.

Durch die Zehn-Jahres-Grenze fallen einige Marken heraus, weil sie vorher anliefen, wie „Herr der Ringe“ oder „Spider-Man“ oder „Star Wars“. Für über 80 Filme konnte ich Marken feststellen. Der Begriff Marke ist natürlich etwas problematisch und teilweise auch eine Abschätzungssache. Die Präsentation auf Plakaten, Teasern, Anzeigen gibt oft Anstöße, zu welcher Marke ein Film zugeordnet werden möchte. Das kann sich auch im Nachhinein ändern. Der erste „Fluch der Karibik“-Film wurde noch als Action-Film beworben, begründete aufgrund seines Erfolgs aber seine eigene Marke und brachte uns bislang drei Fortsetzungen. Die Twilight-Filme dagegen setzten direkt an der Marke der Buchreihe an, während „Catch me if you can“ größtenteils unterschlägt, dass er auf einem autobiografischen Buch basiert.

Gute Filme?

Aber die Eingangsfrage war ja: Wie gut sind die Filme. Dazu habe ich die Nutzerbewertungen der Internet Movie Database für jeden Film aufgeführt.

IMDB-Score für die Filmcharts der 2000er

  • Dreimal wurden weniger als vier Punkte vergeben.
  • Viermal gab es zwischen 4 und 5 Punkte.
  • Bei einer Skala von 0 bis 10 müsste der Durchschnitt bei 5 liegen, das sind aber gerade einmal zehn Filme.
  • Mehr als jeder dritte ist bereits leicht überdurchschnittlich.
  • Dazu kommen noch einmal 29 „sehr gute“ Filme
  • und 16 „ausgezeichnete“.
  • Mit einem Durchschnitt von 6,8 sieht die Gesamtbilanz des Jahrzehnts doch gar nicht sooo schlecht aus.

Wir merken uns die 6,8 und schauen uns die 1970er im Vergleich an.

Die Filmcharts der 1970er-Jahre

Das Bild ist auf eine ganz andere Art bunt.

Filmcharts der 1970er-Jahre

  • 1968 beschert uns die Top10 Das Dschungelbuch, zweimal Oswalt Kolle und drei Pauker-Filme.
  • 1969: Spiel mir das Lied vom Tod, Easy Rider und Heintje.
  • 1970: Schulmädchenreport 1, Asterix, Andy Warhols Flesh.
  • 1971: Aristocats, Die rechte und die linke Hand des Teufels, Blutjunge Verführerinnen.
  • 1972: Vier Fäuste für ein Halleluja, Der Pate, Clockwork Orange.
  • 1973: Mein Name ist Nobody, Das große Fresse, Was Sie schon immer über Sex wissen wollten …
  • 1974: Der Clou, der Exorzist, Zwei außer Rand und Band.
  • 1975: Der weiße Hai, Die Geschichte der O, Erdbeben.
  • 1976: Einer flog übers Kuckusnest, Brust oder Keule, Silent Movie von Mel Brooks.
  • 1977: Bernard und Bianca, James Bond – Der Spion der mich liebte, Rocky Horror Picture Show.

Mit 4,3 Millionen Zuschauern ist der deutsche Durchschnitt pro Film nur unwesentlich geringer als in den 2000ern. Leider liegen nur für Westdeutschland brauchbare Zahlen vor. Die „Legende von Paul und Paula“ (1973), die mehr als drei Millionen DDR-Bürger sahen, hätte es locker in die Top10 geschafft, aber für eine gesamtdeutsche Top10-Liste waren das Filmangebot und die verfügbaren Zahlen letztlich zu disparat.

Angesichts der zahlreichen einheimischen Produktionen aus dem Bereich der Sex- bzw. Aufklärungsfilme und Schulstreich-Filme sah ich mich „genötigt“, einige Filme zu ergänzen. Das nennt man Geschichtsverwässerung. Aber ich mochte die Schlussfolgerung der reinen Top10 nicht auf dem deutschen Publikum sitzen lassen.

Die zwei Wiederaufführungen von Charlie-Chaplin-Filmen („Der Große Diktator“ und „The Kid“) erreichten beispielsweise jeweils rund eine Million Zuschauer im Kino. Auch die Disney-Wiederaufführungen von „Mary Poppins“ und „20.000 Meilen unter dem Meer“ lagen in dieser Größenordnung. Eine Top10 bietet letztlich immer nur einen Ausschnitt aus einem Kinojahr. Nebenbei bringt die Ergänzung so unwichtige Beobachtungen wie die, dass die Schlümpfe 1976 noch auf Platz 11 landeten, im Jahr 2011 aber immerhin schon auf Platz 7 kamen.

Originelle Filme

Neue Filme in den 1970ern

Von all diesen Filmen habe ich 47 als neu einsortiert, das entspricht 36 Prozent, also etwa die gleiche Größenordnung wie in den 2000ern. Die übrigen sind Remakes, Fortsetzungen oder Verfilmungen.

Filmmarken in den 1970ern

Alle Marken, die mindestens drei Filme zur Liste beisteuerten, habe ich hier aufgeführt.

Filmmarken in den 1970ern

 

  • Die Liste beginnt alphabetisch bei Asterix mit drei Filmen.
  • Disney konnte – inklusive der Wiederaufführungen – sogar zehn Filme verbuchen.
  • Terence Hill und Bud Spencer, die ich nur aus dem Fernsehen kenne, haben insgesamt zwölf Filme in der Liste.
  • James Bond war damals auch fleißiger und kommt auf fünf Filme in zehn Jahren.
  • Stanley Kubrick schafft drei Filme, davon aber nur einen in der Top10.
  • Die „Lümmel“-Filme bringen es immerhin auf sieben Beiträge, wenn man auch die Gegenproduktionen mitzählt.
  • Insgesamt habe ich 19 Sex-Filme gezählt. Natürlich ist es frech, Oswalt Kolle, „Schulmädchenreport“ und „Die Liebesgrüße aus der Lederhose“ über einen Kamm zu scheren. Doch in Anbetracht der Eindeutigkeit der Filmplakate bzw. Filmtitel habe ich mir das Aufspalten in all die Sex-Genres gespart. Mit „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten …“
  • … schaffte Woody Allen auch den Sprung in die Top10 und lieferte insgesamt vier Filme.

Bilanz: 63 aller 131 Filme gehören zu Marken, das sind 48 Prozent.

Gute Filme?

IMDB-Score für die Filmcharts der 1970er

  • Zwölf Filme schafften in der Internet Movie Database nicht mal vier Punkte Nutzerbewertung.
  • Ebensowenige wollten mehr als fünf Punkte vergeben.
  • 17 Filme erhielten immerhin Durchschnittsnoten, das sind 13 Prozent.
  • Ein Viertel erhielten „gut“,
  • ein weiteres Viertel ein „sehr gut“,
  • und jeder sechste Film erhielt ein „ausgezeichnet“. Das ergibt einen Durchschnitt von 6,4 für die gesamten zehn Jahre.

Fünf Thesen

These 1: Heute werden nur noch Fortsetzungen gedreht.

immer mehr Filme sind Fortsetzungen und Remakes

Die Verteilung der 2000er hat ein deutliches Gewicht auf Fortsetzungen und Verfilmungen im weitesten Sinn. Dazu kommen noch sechs Remakes, wobei ich „(T)Raumschiff Surprise“ beispielsweise als Remake mitzähle.

Die 1970er zeigen vergleichbare Anteile bei neuen Filmen und Verfilmungen. Remakes gab es deutlich weniger und Fortsetzungen auch vergleichsweise selten – jedenfalls in der Top10. Das kann auch daran liegen, dass es beispielsweise die zahlreichen Schulmädchenreport-Folgen nicht mehr in die Top10 schafften.

Wir können festhalten, dass heute fast jeder zweite Film direkt oder indirekt eine Fortsetzung darstellt, was fast eine Verdreifachung des Anteils gegenüber den 1970ern darstellt. Im Umkehrschnluss sind knapp über die Hälfte aller Filme heute dagegen keine Fortsetzung.

These 2: Heute werden keine originellen Filme mehr gedreht. Jeder Film ist „nur noch“ Bestandteil einer Marke.

Filmmarken der 1970er und 2000er

Tim Wu stellte in seinem Buch „Masterswitch“ fest, dass Filmstudios heute vorwiegend von Konglomeraten unterhalten werden und daher die wirtschaftliche Erträglichkeit höher bewerten als die filmische Relevanz. Daher würden Filme auf Gewinnmaximierung und Risikominimerung optimiert. Die Nutzung von Marken verringert das Risiko deutlich, und daher würden Filme heute als Markenbotschafter konzipiert. Der Film trägt eine Buchmarke weiter – wie bei Harry Potter oder Twilight oder Herr der Ringe – oder etabliert eine eigene Marke, die sich mit Merchandising-Artikeln ausschlachten lässt: vom Action-Spielzeug über Computerspiel bis hin zu Bettwäsche und Lizenzen für T-Shirt-Motive.

Das Markenspektrum der 1970er ist mit drei dominanten Marken recht eindeutig. Jedoch fehlt noch die Ausbeutung der Marke außerhalb des Kinosaals, lediglich Disney bietet ergänzend zu den Filmen eine Palette von Produkten an. Das massive Merchandising startete erst 1977 mit Star Wars.

In den 2000ern fehlt allerdings eine dominierende Marke. Dafür sind allerdings fast alle auch außerhalb des Kinosaals vertreten, mit Kinderspielzeug, Büchern, Action-Figuren, Sammler-Objekten und natürlich mit Bettwäsche.

These 3: Heute werden nur noch Comics verfilmt, keine guten Bücher mehr …

Verfilmungen bestimmen die Filmlandschaft

Sieben Prozent aller Top10-Filme basieren tatsächlich auf Comics – das ist fast eine Verdoppelung im Vergleich zu den 1970ern.

Dafür basierte in den 1970ern jeder dritte Film auf Romanen oder Theaterstücken, heute gerade einmal sechs Prozent, wenn man Buchserien wie „007 James Bond“, „Harry Potter“ und „Twilight“ separat ausweist. In der Präferenz für Buchserien zeigt sich das Bestreben für langfristige Gewinnerzielung, da auf diese Weise schon von Anfang an mehrere Filme möglich sind, die eine gemeinsame Marke repräsentieren.

Dass heute auch TV-Figuren (wie in „Sex and the City“ oder „Simpsons“), Freizeitpark-Attraktionen (wie in „Fluch der Karibik“) oder Medien-Ereignisse (wie in „Slumdog Millionaire“) zu Filmen verarbeitet werden, belegt die steigende Vielfalt. Heute kann alles zu einem Film oder einer Filmmarke werden. Irgendwann ist nicht mehr erkennbar, was zuerst da war: der Comic, der Roman, das Videospiel, das Online-Phänomen, das Kartenspiel, die Filmpark-Attraktion, die TV-Serie, die Kinofilm-Serie oder die Figuren als Bettwäschemotive.

These 4: Filme heute sind schlechter als die von früher.

Laut IMDB-Score sind die heutigen Top10-Filme etwas besser als die in den 1970ern. Aber vor allem die Verteilung über die Punkte ist interessant.

IMDB-Score der 1970er und 2000er im Vergleich

Heute liegt das Gewicht ganz klar in der guten Mittelklasse, mit wenigen Ausreißern nach unten und einigen ausgezeichneten Filmen.

In den 1970ern wurde das Spektrum deutlich besser ausgereizt, auch sehr schlechte Filme schafften es in die Top 10, die Kurve bewegt sich also zwischen weniger deutlichen Extremen, die Qualitätsverteilung ist etwas harmonischer. Dass die „sehr guten“ Filme den höchsten Anteil haben, während heute das Gewicht klar auf den „guten“ Filmen liegt, ist bezeichnend. Der Durchschnitt verrät eben nicht alles.

Nimmt man meine 31 ergänzten Filme heraus, dann sinkt der Durchschnitt für die 1970er auf 6,1.

IMDB-Score der 1970er und 2000er im Vergleich

Das Qualitätsspektrum bleibt dabei ähnlich harmonisch ohne so deutliche Extreme wie in den Top10 der 2000er. Allerdings sind die Kurven nun sehr ähnlich, mit den höchsten Werten jeweils bei den „guten“ Filmen.

These 5: Heute gibt’s nur noch Konfektionsware im Kino.

Egal, welche Filme man sich heute anschaut, irgendwie wirken sie alle gleich. Der Stil gibt wenig Aufschluss, ob es sich um eine Literatur-, Comic- oder andere Verfilmung handelt. Eine homogene Ästhetik prägt das Aussehen und die Dynamik der Filme.

Herkunftsländer der Filme

Die Hollywood-Vormacht in den deutschen Kinosälen ist nicht allein dafür verantwortlich, sondern sorgt aufgrund ihrer Dominanz dafür, dass andere Filmkulturen sich dem Hollywood-Stil anpassen. Eine Filmkultur, die zu sehr vom Hollywood-Standard abweicht, hat heute kaum noch Chancen beim Publikum. Das ist einerseits bedauerlich, führt aber andererseits dazu, dass ein gewisses Mindestniveau gehalten wird.

Auch bei diesem Diagramm ist zu berücksichtigen, dass nur die Top10 betrachtet werden. Jedes Jahr kommen Filme aus aller Herren Länder in deutsche Kinos. Wer möchte, kann Filme aus Spanien, Litauen, Estland, Finnland, Asien, Afrika, Südamerika oder Kanada sehen. Nur leider schaffen es diese Filme kaum noch in die deutschen Filmcharts.

Fazit

These 1: Ja, Es gibt heute mehr Fortsetzungen.

These 2: Heute konkurrieren viele verschiedene „Film-Marken“, allerdings dominiert keine.

These 3: Die Palette der Vorlagen ist heute breiter: Comics, Computerspiele, TV-Figuren, Brettspiele, etc.

These 4: Mehr erfolgreiche Filme erhalten heute bessere Noten vom Publikum als früher.

These 5: Das deutsche Kino wird von Hollywood-Produktionen dominiert – mit wenigen Ausnahmen.

Erklärungsversuche

Erfolgreiche Filme zeigen – oft – Dinge, die zuvor nicht zeigbar waren. In den 1970ern war das oft Sex, heute sind das realistische Special Effects. Unverfilmbares oder Nicht-Zeigbares ist nunmehr in Realfilmen sichtbar: die Dinosaurier im „Jurassic Park“, die Welt Mittelerde in „Herr der Ringe“, „dokumentarische“ Sex-Szenen in den „Report“-Filmen, Orgien-Szenen in „Eyes Wide Shut“ (1999) oder in „Short Bus“, überlebensgroße Roboter-Wandler in den „Transformers“-Filmen.

Steigende Budgets führen zu

  • höheres Bedürfnis für Erfolg, ergo mehr Qualitätssicherung: So wurde bei „Final Destination“ beispielsweise nach Testvorführungen das Ende komplett neu geschrieben und neu gefilmt. Immer seltener gelangt die Vision eines „Autorenfilmers“ auf die Leinwand. Stattdessen wird in mehreren Schritten geprüft, ob Filme Publikum verschrecken könnten bzw. Filme direkt auf eine Zielgruppe hin entwickelt.
  • höhere Einstiegshürde für kleine Produktionen, ergo weniger unabhängige Produzenten: Ergänzend gibt es eine globale Festivalfilmkultur, also Filme, die nur durch das Vorspielen auf möglichst vielen Festivals ihr Publikum erreichen und dadurch ihre Kosten wieder einspielen. Das geht aber nur bei wirklich guten und originellen Filmen, die möglichst wenig Geld gekostet haben. Eine virale Independent-Szene bringt in ihrem Rahmen erfolgreiche Filme hervor. Doch selbst Major Studio und Independent lassen sich zum Teil schwer abgrenzen.
  • A-, B- und C-Filme sind nicht mehr unterscheidbar: Die einstige Unterscheidung in „gute und große Filme“ (wie „Spartacus“, „Lawrence von Arabien“, „Cleopatra“, oder „Dr. Schiwago“) sowie „kleine“ Filme gilt heute nicht mehr. Große Budgets bedeuten A-Klasse, also große Bedeutung, großen Inhalt. B- und C-Filme durften dagegen deutlicher das „niedere“ Unterhaltungsbedürfnis des Publikums adressieren (Sex’n Crime) oder teilweise subversive Themen (Sex’n Crime) anschneiden. Heute dagegen erhalten B- oder gar C-Filme wie „Transformers“ zum Teil größere Budgets als wichtige oder bedeutende Filme. Immer mehr B-Filme bemühen sich um intelligente Unterhaltung, beispielsweise „Inception“, „Avatar“ oder „The Day After Tomorrow“. Die Aufteilung in A/B/C greift heute nicht mehr.

ABER: Kino ist primär eine Form der Unterhaltung, der Ablenkung vom Alltag – Anspruch hin oder her.

Probleme

Problematisch ist die Fixierung auf den IMDB-Score als einziges Qualitätskriterium. Die gewonnenen Aussagen und Erkenntnisse sollten daher nie absolut verstanden, sondern höchstens als Tendenzaussage angesehen werden.

Die Filme der 1970er wurden erst im Nachhinein beurteilt – die aktuellen kurz nach dem Anschauen.

Die Top10 gibt eher Aufschluss darüber, was viele Menschen sehen wollen als über das Spektrum der Filmwelt – die Bild-„Zeitung“ wird auch von mehr Menschen gekauft als FAZ, SZ, Welt und Tagesspiegel zusammen.

Zahlreiche Faktoren beeinflussen die Interessen der Zuschauer. Die Qualität der Filme ist selten das ausschlaggebende Kriterium. Oder um Darwin abzuwandeln: „Das Publikum schaut sich nicht den besten Film an, sondern den, den es am wenigsten abstoßend findet.“ Marketing, Vertrieb, Verfügbarkeit im Kino vor Ort und andere Parameter beeinflussen die Filmwahl ebenfalls. Auch der Einfluss des Wetters wird gern unterschätzt.

Die Zuschauerzahlen aus früheren Jahrzehnten sind zumeist nur Schätzungen.

Aufgrund der nur ungefähren Zuschauerzahlen aus der Zeit vor 1985 habe ich darauf verzichtet, IMDB-Score und Zuschauerzahl oder Platzierung miteinander zu korrelieren. Die Berechnungen ergäben zwar hyperkonkrete Ergebnisse, deren Aussagegehalt wäre jedoch nicht wesentlich höher als die tendenzielle Betrachtung und würde zu einigen Fehlinterpretationen verleiten.

Die Top10 der 1970er umfasst nur Westdeutschland, die Top10 der 2000er dagegen West- und Ost-Deutschland gemeinsam. Das DDR-Kino – mit Hits wie „Die Legende von Paul und Paula“ (1973; ca. 3 Mio Zuschauer) – wurde komplett vernachlässigt.

Das Filmangebot in Ostdeutschland war in den 1970ern zu stark politisch geprägt, um korrekte Rückschlüsse über Nachfrage und Qualitätsinteresse zu erlauben. Erschwerend wurden viele in Westdeutschland erfolgreiche Filme erst deutlich später aufgeführt oder gar nicht. Eine kohärente Datenbasis wäre jedenfalls nicht entstanden und hätte die Untersuchung nur noch weiter verfälscht und angreifbar gemacht.

Schlusswort

Die Gefahr, dass heute ein erfolgreicher Film „schlecht“ ist, besteht statistisch kaum noch. Aufgrund der besseren Vernetzung besitzen heute nicht mehr nur Filmkritiker die Deutungshoheit über Filmqualität. Jeder kann sich vor dem Kinobesuch Meinungen anderer Besucher einholen und so feststellen, welcher Film am ehesten seiner Stimmung entspricht.

Die statistische Wahrscheinlichkeit, dass nur Spitzenfilme herausgebracht werden, liegt bei Null. Schließlich können ausgezeichnete Filme nur als herausragend wahrgenommen werden, wenn es eine Filmmasse gibt, in der sie positiv auffallen. Insofern ist die Menge an mittelmäßiger Ware statistisch notwendig. Dass deren Niveau sich insgesamt etwas angehoben hat, ist ein guter Befund.

Der Umkehrschluss gilt nicht: Nur weil ein Film besonders mittelmäßig ist, muss er noch lange nicht erfolgreich sein.

Früher war alles besser? Die Erinnerung trügt, denn der ganze Schund der früheren Jahre verschwindet leicht in der Versenkung oder im Fernseh-Nachtprogramm. Jedenfalls taugt er selten zur Familienunterhaltung oder gar als bewusstes Film-Erleben. Sicher werden auch die meisten der jüngeren Filme in einigen Jahren oder Jahrzehnten vergessen sein oder als unbedeutend gelten. Aber die Konzentration auf einige Highlights verengt den Blick und wird weder dem „Früher“ noch dem „Heute“ gerecht. Früher gab es viele gute Filme, auch heute werden jede Menge gute Filme gedreht – einige schaffen es sogar in die Top10. Wenn ich mir jedoch die Erfolgsbilanz anschaue, schäme ich mich für die jüngeren Listen deutlich weniger als für die älteren, auch wenn ich zahlreichen Filmen ihren Publikumserfolg missgönne.

Die Hollywood-Allmacht hat uns ein Qualitätsniveau beschert, das zwar viele sehenswerte Filme verdrängt, dafür aber einen Mindeststandard gewährleistet. Die Frage, ob eine solche Entwicklung an sich bereits etwas Gutes ist, steht auf einem anderen Blatt. Hier mag der Befund genügen, dass die heute erfolgreichen Filme tendenziell „besser“ sind als die Filme, die es vor fast 50 Jahren in die Top10 geschafft hatten.


Die zusammengestellten Daten können als Excel-Tabelle (oder PDF) heruntergeladen werden. Darin sind auch die ermittelten Budgets und Einspielergebnisse vermerkt (sofern ermittelbar). Diese ergeben weitere Erkenntnisse für Interessierte.
Das Folgende ist als Vortrag konzipiert, die Präsentation ist unter diesem Link direkt im Browser anzuschauen. Die Präsentation wurde in HD-Qualität erstellt (1.920 x 1.080 Pixel).VG Wort Zählpixel

Alexander Florin: Alexander Florinein Kind der 70er • studierter Anglist/Amerikanist und Mediävist (M.A.) • wohnhaft in Berlin • Betreiber dieses Blogs zanjero.de • mehr über Alexanders Schaffen: www.axin.de ||  bei Facebook || auf Twitter folgen

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