Gerade aus dem Kino zurück. Endlich kommt „Orson Welles und ich“ auf die Leinwand. Ich will den Film gar nicht zerreden, daher nur ein paar Beobachtungen.
Der Film erzählt die fiktive Geschichte, eines Schülers (Zac Efron), der in der letzten Woche vor der Premiere von „Caesar“ in Orson Welles’ Mercury-Theatertruppe aufgenommen wird. Die Stimmung wird von einer lockeren, fröhlichen Atmosphäre getragen. Er bleibt angenehm unpolitisch, obwohl die Zeit 1937 genügend Anlass böte. Im Vordergrund steht eben Richard, seine jugendliche Unbeschwertheit, sein Interesse für Theater, Literatur, Filme, Kunst. Richard bildet auch den Focalizer, wir sehen nur, was er wahrnimmt. Dass dies dennoch ein Film über Orson Welles geworden ist, liegt an dessen grandioser Präsenz.
Der Orson-Welles-Darsteller (Christian McKay) ist einfach grandios! Die Stimme ist fast perfekt die von Welles, es fehlt nur eine Nuance Bass-Substanz (das fällt aber nicht auf). Sein Aussehen, die Mimik, Gestik, das ganze Auftreten – so kennen und lieben wir den jungen Welles: überbordend, voller Energie, arrogant, von sich überzeugt, charmant, ein Womanizer, ein Charismatiker durch und durch. Der Film zeigt Welles mit all seinen Vorzügen und dunklen Seiten, ohne ihm ungebührlich zu huldigen oder ein Urteil vorzugeben. Zehn Verbeugungen vor McKay.
Die einzige – mir aufgefallene – historische Unkorrektheit betrifft Orson Welles. Im Film wirkt er wie ein etablierter Theaterregisseur im Alter von mindestens 30, eher 40 Jahren. Tatsächlich war er 1937 gerade einmal 22 Jahre alt, also nur unwesentlich älter als die Hauptfigur Richard. Aber darüber sieht man gern hinweg, wenn der Tonfall und das Charisma so gut getroffen und eingefangen werden.
Zac Efron versucht ja, sein Image als singender, tanzender, Basketball spielender High-School-Musical-Darling loszuwerden. Mit diesem Film beweist er, dass er nicht nur ein hübsches Gesicht hat, sondern tatsächlich genügend Leinwand-Präsenz besitzt, um gegen Orson Welles zu bestehen. Sein Shakespeare-Monolog am Ende ist eine wunderbare Efron-Version (unbedingt im Englischen anschauen!) der legendären originalen Welles-Rezitation aus dem Radio. Auch Claire Danes verdient mehrere lobende Erwähnungen für ihre Verkörperung der Sonja. Auf eine angenehme Weise erinnert sie an Naomi Watts in „King Kong“, die ebenfalls nicht nur ihr Gesicht in die Kamera hielt, sondern ein ausgeprägter, interessanter Charakter mit Vorgeschichte, Ecken, Kanten und Visionen ist.
Das Drehbuch von »Ich und Orson Welles« ist zauberhaft. Es gelingt, wie im Vorbeigehen alle wichtigen Welles-Mythen und -Anekdoten zu integrieren und dennoch eine eigene Perspektive zu entwickeln. Die zahlreichen Bonmots und Schlagfertigkeiten verleihen dem Film die nötige Frische und Leichtigkeit (der Humorpegel genügt nicht für eine Komödie, ist für ein Drama aber zu hoch – die perfekte Mischung). Die Story traut sich, auf seine Darsteller zu vertrauen, und wird nicht enttäuscht. So viele Schicksale, Hintergründe, Zusammenhänge werden nicht durchdekliniert, sind aber stets greifbar.
Ganz bewusst werden die legendären, wichtigen Szenen der Theateraufführung auch als Theater inszeniert. Die Aufführung ist immer noch stark, vor allem vor dem Hintergrund der chaotischen Entstehungen, die ja Thema des Films sind. Der Film feiert die Energie und Dynamik des Theaterlebens und die Begeisterung seiner Protagonisten für diese Kunstform.
Richard Linklater (der es immerhin auf Platz 9 meiner Filmliste geschafft hat) ist als Regisseur gar nicht präsent. Der Film trägt im besten aller Sinne nicht die Handschrift eines Regisseurs, sondern gibt sich ganz seiner Geschichte, seinen Figuren, seinen Themen und der Ära der 1930er hin. Keine kapriziösen Eskapaden, stets findet die Kamera den passenden Blick, stets passen Ton und Musik, die Darsteller sind allesamt auf einer hohen Note ihrer Fähigkeiten, weder driften Szenen ins Melodramatische, Komödiantische, Bedeutungsschwere noch Irrelevante ab. Je länger ich drüber nachdenke, desto mehr fallen die fehlenden Klischees auf: kein tatsächlicher Konflikt mit Eltern, keine süßlich seichte Love-Story, die als Alibi eingeflochten wurde, keine unnötigen Klamauk-Einlagen, keine sinnsuchenden, verzweifelten Künstler, kein Zucker-Happy-End. Einfach rundum stimmig das Ganze. Dafür gebühren Linklater ebenfalls zehn Verbeugungen.
Für Orson-Welles-Fans ein Muss! Für Theaterfans ein flottes Abenteuer, das sie bei der „bedeutendsten Shakespeare-Inszenierung auf us-amerikanischem Boden“ live dabeisein lässt. Für Heranwachsende eine Geschichte über eigene Träume, Visionen und die Liebe zur Kunst im lebensechten Widerstreit mit dem „Überkünstler“ – und damit über einen viel zu selten ernstzunehmend präsentierten Aspekt in Filmen. Für alle anderen: Zwei Stunden, die mehr Tiefe, Leben, Liebe, Kämpfe bieten als die letzten zehn Hollywood-Blockbuster zusammen.
Das größte Problem besteht darin, dass »Ich und Orson Welles« in keine Schublade passt. Er lässt sich nicht als Adoleszenz-Drama, Teenager-Komödie, Historienschinken vermarkten. Dafür besitzt er aber so viel Menschlichkeit, Herzenswärme, erfrischende Momente und eine ungewöhnliche Erzählung, dass jeder mehrfach entschädigt wird, der sich in diesen Film verirrt.
Lange Rede, kurzer Sinn: ANSCHAUEN!
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