Eigentlich will Simon nur studieren und mit der Ruderriege trainieren. Doch dann geschehen zwei Dinge. Die Uni wird bestreikt und Simon trifft Linda. Anfangs noch belustigt über den Streik und auch etwas beeindruckt, schließt er sich bald den Uni-Besetzern an. Denn Linda ist auch dabei, im Versorgungskommando. „Wir müssen uns nachts rausschleichen und was zu essen besorgen.“ Solche Guerilla-Aktionen verbreiten natürlich Streikromantik. Doch Simon kann nichts wirklich ernst nehmen. So wird aus der aufgeplatzten Lippe, die ihm einer der Ruderriege verpasste, eine „Begegnung mit der Polizei“.
Es ist der Blickwinkel des leichtfüßigen, tagträumenden Studenten, der mit freundlicher Ironie die Umwelt auf die Schippe nimmt, der dem Film seine Leichtigkeit gibt. Haarscharf balanciert der Film auf dem Grat zwischen Doku-Drama und Komödie, läuft aber nie Gefahr abzurutschen. Und auf diesem schmalen Grat gelingen exakte Zeichnungen der Protagonisten, die den meisten schweren Filmen verwehrt bleiben. Eine entfesselte Kamera fängt unterstützt von einer durchdachten Montage die Leichtigkeit und Spaßigkeit, mit der die Haupthelden durch die Handlung stolpern, präzise ein.
Doch all die Ernstlosigkeit, die sich rasch auf das Publikum überträgt, löst sich in Panik auf, wenn am Ende das Militär die Universität stürmt. Während in der Turnhalle die Studierenden rhythmisch klatschend „Give peace a chance“ singen, bereiten sich vor dem Uni-Gebäude Militär, Reporter und Schaulustige auf die Räumung der Uni vor. Simon engagiert sich diesmal ohne jede spaßige Distanz bei den Besetzern. Und als dann die anonymen maskierten Soldaten die Turnhalle stürmen, ist nicht nur die Gewalt entfesselt, sondern auch Bilder und Töne können dem perversen Rausch der sinnlosen Gewalt nicht widerstehen.
Diese explizite und ausführliche Darstellung staatlicher Gewalt auf der einen Seite sowie die Unbekümmertheit des Studentenstreiks auf der anderen sind wohl verantwortlich dafür, dass sich 1970 in Westdeutschland kein Verleih für diesen Film fand. In der DDR lief er mit großem Erfolg und ist auch heute noch fest im Gedächtnis des damaligen Publikums verankert. In den 90ern war er regelmäßig in kleinen Berliner Kinos zu sehen. Doch am Ende gab es „nur noch eine grottenschlechte Kopie“, berichtet Torsten Frehse vom Verleih Neue Visionen, der die Verleihrechte für „Blutige Erdbeeren“ in einem großen Paket voller Filmklassiker erwarb. Bei der Wiederaufführung ab 3. Juli erstrahlt „das wichtige Zeitdokument“, so Matthias Mücke von Neue Visionen, im neuen Glanz. Es wurden vier frische 35mm-Kopien von der amerikanischen Masterkopie gezogen und bereits Mitte Mai waren drei bestellt, „die wurden uns förmlich aus der Hand gerissen.“ In Berlin wird das Filmtheater am Friedrichshain die Blutigen Erdbeeren zeigen und in Dresden und Leipzig läuft er dann ebenfalls. Die „Premiere der Wiederaufführung“ bildet die Vorführung am 1. Juli im Freiluftkino auf der Museumsinsel.
Bei Neue Visionen ist die Freude groß, den Film noch einmal ordentlich ins Kino zu bringen. Leider ist das Bemühen, den kraftvollen Soundtrack, auf dem unter anderem Crosby, Stills, Nash & Young und Buffy Saint-Marie zu hören sind, wieder verfügbar zu machen, gescheitert. Zu verworren ist die rechtliche Situation. Also bleibt nur der ungetrübte Genuss des Films im Kino, denn da werden alle Titel im Gegensatz zur heutigen Praxis voll ausgespielt.
Blutige Erdbeeren – Strawberry Statement
Jurypreis Filmfest Cannes 1970
Regie: Stuart Hagman, USA 1969
Ab 3. Juli 2003 im Kino. Am 1. Juli im Freiluftkino auf der Museumsinsel.