Der BGH hatte bereits voriges Jahr entschieden, dass rufschädigende Auto-Ersetzungen nicht hinnehmbar seien. Soweit ich das zwar nachvollziehen kann, habe ich doch Sorge, was als „rufschädigend“ gelten kann und somit klagewürdig ist. Nun wurde entschieden, dass Google bestimmte Einträge auch löschen muss.
Im Mai 2013 habe ich u.a. argumentiert:
Der Profi-Fußball ist eine hochgradig homogen homophobe Veranstaltung, oder hat schon mal jemand was von einem schwulen Fußballspieler in der zweiten oder gar ersten Bundesliga gehört? Statistisch müsste jeder 30. bis 40. schwul sein, bei 18 Erstliga-Clubs mit je mindestens 20 Spielern, also insgesamt weit über 300 (vermutlich eher über 400) Spielern gibt es aber: Null (0). Das ist eine statistische Anomalie. Vor allem, wenn man mal Google befragt.
Von vier Testeingaben (mir sind gerade nicht viel mehr eingefallen), behauptet allerdings Google bei dreien, dass „schwul“ eine sinnvolle Ergänzung zum Namen wäre. Nur Lukas Podolski ist über jeden Zweifel erhaben:
Wir erkennen klar: Entweder sind unsere Bundesliga-Fußballer größtenteils schwul, wahnsinnig schwulentolerant, oder die vorgeschlagene Frage sagt rein gar nichts über die Realität aus. Ich vermute mal letzteres, könnte mir aber auch ersteres vorstellen ;-) Wenn nun ein Fußballspieler auf die Idee käme, dass „schwul“ eine für ihn nachteilige Suchbegriffsergänzung wäre und Google diese deshalb gar nicht erst anbieten dürfe, wie würde er argumentieren? Ich weiß es nicht, mir wird aber angst und bange.
*Zitatende*
Was wäre in solchen Fällen, wo ein Profi-Fußballer die „schwule“ Ergänzung wegklagt, aber zehn Jahre nach dem Ende seiner Profi-Karriere doch ein Coming Out begeht. Oder wenn ein Prominenter die scientologische Ergänzung wegklagt, aber etwas später seine Mitgliedschaft unleugbar wird – oder er im Folgejahr der Sekte beitritt?
Aggregierte Meinungsfreiheit
Sicher, das Internet ist kein Ort der absoluten, allzeit gültigen Wahrheit, daher können einige Tatsachen zu verschiedenen Zeiten durchaus unterschiedlichen Wahrheitsgehalt besitzen. Aber ich verstehe die Auto-Complete-Funktion als eine aggregierte Ausgabe unserer grundgesetzlich verankerten Meinungsfreiheit.
Es ließe sich sehr plausibel argumentieren, dass beide skizzierten Fälle rufschädigend wirken können. Die Beweiskette würde mich zwar interessieren, wie jemand belegt, etwas nicht zu sein. Wie könnte ein Profi-Fußballer belegen, dass er nicht schwul ist? Wie könnte ein Promi belegen, dass er nicht Mitglied von Scientology ist? Aber viel dramatischer finde ich, dass, vom BGH sanktioniert, solche Klagen überhaupt Erfolgsaussichten haben können.
Die Ergänzungen „Geldwäsche“, „Unfallflucht“ oder irgendwas mit Kinderpornografie sind sicher rufschädigend. Sind sie es tatsächlich? Es wird doch wohl gestattet sein, eine Frage zu stellen – die Antwort liefern dann ja die Klicks auf die Suchergebnisse? Zu erfahren, dass viele andere Menschen eine Frage ebenfalls gestellt haben, sagt ebenfalls noch nichts über die Antwort aus. Die Eingabe in eine Suchmaschine ist eine Frage oder ein Suchauftrag, kein inhaltliches Ergebnis. In einer Kanzlei würde beispielsweise der Chefanwalt auch jemanden mit einer Recherche beauftragen: „Such mir mal alle Unterlagen zu Werner Müller in Zusammenhang mit …“, und der eifrige Adjutant wird das Grübeln womöglich durch Vorschläge ergänzen „mit Unterhalt? mit Steuerhinterziehung? mit Verkehrsdelikten?“ Auch wenn man also die Arbeit einer Suchmaschine nach Maßstäben der realen Welt bemisst, so zeigt sich doch, dass die Fragen bzw. Suchaufträge nichts über die Inhalte der Suchergebnisse aussagen. Natürlich wird der Adjutant gewisse Begriffe eher vorschlagen als andere, je nachdem, welche Anfragen er häufig bekommt, was die Spezialität der Kanzlei ist, an welche Fälle er sich erinnert oder was er von dem aktuellen Fall schon mitbekommen hat. Doch der Chefanwalt agiert als mündiger und souveräner Mensch und wählt die Kombination, die er tatsächlich benötigt: „mit Patentrecht.“ Darauf wäre der Helfer nie gekommen, und der Chefanwalt wird anhand der Vorschläge auch nicht unterstellen, dass Werner Müller etwas mit Unterhalt, Steuerhinterziehung oder Verkehrsdelikten zu tun hat.
Wenn – ein fiktiver Fall – ein „Spiegel“-Journalist eine Behauptung aufstellt, diese von anderen Medien aufgegriffen wird und so die Auto-Complete-Funktion irgendwann darauf anspringt, handelt es sich dann um das aktive Unterstützen der Verbreitung von Gerüchten? Ist es überhaupt ein Gerücht? Schließlich birgt eine seriöse Publikation mit ihrem Namen für eine gewisse Sorgfalt bei der Recherche – unabhängig davon, ob sich später das Gegenteil herausstellt. Vielleicht stellt der Bericht auch nur klar, dass ein Thema gar kein Thema ist, dass beispielsweise Person X sich in christlichen Stiftungen engagiert und keinerlei Beziehungen zu Scientology unterhält. Um etwas über das Verhältnis von Person X zu Scientology zu erfahren, würde man den Namen plus „Scientology“ in eine Suchmaschine eingeben. Vielleicht tun das viele, sodass diese Frage eine gewisse Relevanz erhält und bei den Auto-Complete-Vorschlägen erscheint. Das ist eine sachlich-neutrale Frage, die durch den Bericht, der als ein relevantes (also sehr weit oben stehendes) Ergebnis präsentiert würde, eine Antwort erhält.
Warum kommen überhaupt die Leute auf die Idee, nach dem Verhältnis von Person X zu Scientology intensiv zu forschen? Dafür gibt es zahllose Gründe. Vielleicht hat ein prominentes Scientology-Mitglied Person X zitiert oder sich über diesen geäußert. Vielleicht wurde Person X durch Scientology-Aktivitäten ein Schaden zuteil? Vielleicht hat sich Person X einmal prononciert über Scientology geäußert. Vielleicht gibt es eine mit Scientology verbandelte Person, die so ähnlich heißt wie Person X. etc.
Verleumdung gemäß StGB
Rufschädigung ist laut Strafgesetzbuch $ 187 als Verleumdung wie folgt definiert:
Wer wider besseres Wissen in Beziehung auf einen anderen eine unwahre Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen oder dessen Kredit zu gefährden geeignet ist, … [Strafmaß]
Was bedeutet „wider besseres Wissen“? Wenn zwei Darstellungen zu einem Thema vorliegen, eben beispielsweise ein Recherche-Ergebnis und ein persönliches Insistieren auf einer gegensätzlichen Tatsache, kann Google als Dritter gar nicht entscheiden, wer Recht hat. Es ist somit unmöglich, in diesem Fall nicht „wider besseres Wissen“ zu agieren, denn es gibt Aussagen zu beiden. Soll die persönliche Darstellung des Sachverhalts höher bewertet werden als die Ergebnisse eines anderen? Vielleicht hätte die betroffene Person ja ein persönliches Interesse daran, einen Sachverhalt anders darzustellen oder zu sehen als ein Journalist. Die Ergänzung „Steuerhinterziehung“ zu dem Namen „Hoeneß“ wäre vor einigen Jahren sicherlich klagewürdig gewesen, denn Herr Hoeneß hätte die Vorwürfe abgestritten – aber nunmehr sind sie richterlich bestätigt.
Was bedeutet „unwahre Tatsache“? Dazu müsste erst einmal bekannt sein, dass eine Tatsache unwahr ist bzw. dass diese Tatsache nicht der Wahrheit entspricht. Googles Auto-Complete stellt lediglich dar, dass eine Kombination bestimmter Wörter öfter nachgefragt wird als andere Kombinationen. Doch über die Beziehung dieser Wörter wird nichts ausgesagt, denn im Großteil der Fälle handelt es sich nicht um Sätze, sondern nur um aneinandergereihte Worte. Auch eine negative bzw. Nicht-Beziehung ist übrigens eine Beziehung, die zwischen den Worten bestehen kann.
Was bedeutet „behauptet oder verbreitet“? Google behauptet – um beim Person-X-Beispiel zu bleiben – doch gar nicht, dass Person X eine Beziehung zu Scientology unterhält oder gar Mitglied ist. Okay, Google „verbreitet“ die Information, dass diese Wortkorrelation eine häufigere Suchanfrage ist als andere. Damit wird allenfalls eine Meta-Tatsache verbreitet als eine faktische Information oder Behauptung über Person X.
Was bedeutet „verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen“? Dass die Aneinanderreihung von Substantiven geeignet ist, jemanden verächtlich zu machen, leuchtet mir nicht ein. „Person X Scientology“ ist keine verächtliche oder herabwürdigende Aussage, Behauptung oder Tatsache. Es fehlt das Verb bzw. irgendeine klare Beziehungszuschreibung. „Person X verachtet Scientology“ ist eine Aussage, „Person X bekämpft Scientology“ eine andere, „Person X verteidigt Scientology“ eine weitere. Aber „Person X Scientology“ wirft mehr Fragen auf, als dass es eine Antwort enthielte.
Somit scheint der Verleumdungsparagraf wenig geeignet, den Sachverhalt angemessen abzubilden.
Wenn die Welt sich ändert
Zu den geschilderten moralischen Dilemmata, die die ganze Angelegenheit aufwirft, entsteht eine weitere Frage: Wie kann die Öffentlichkeit entschädigt werden, wenn eine solche Klage erfolgreich ist und Ergänzungen entfernt werden, von denen sich im Nachhinein herausstellt, dass sie wahr waren? Sicher kann der vormals Klagende belangt werden, aber der Schaden von unterdrückten Gedanken ist nicht bezifferbar. Für mich stellt die Aggregation von Fragestellungen einen Gedanken dar, nämlich eine Aussage über Relevanzen im Diskurs, jedoch keine inhaltliche Aussage.
Übrigens hat Google eine umfangreiche Erklärungsseite eingerichtet und erläutert verschiedene Aspekte der Auto-Complete-Funktion. Diese Seite ist unter den Auto-Complete-Vorschlägen als „Weitere Informationen“ eingeblendet (siehe Screenshots).
Wenn wir das Ideal des mündigen Bürgers – von dem die Väter unseres Grundgesetzes einst ausgingen – aufrecht erhalten wollen, dann stehen wir vor einem Dilemma:
- Entweder sind unsere Bürger so dumm, dass sie nicht erkennen, dass es sich bei den Vorschlägen nur um Frage-Vorschläge (nicht um Antworten!!) handelt, die anhand anderer Sucheingaben generiert wurden. Dumme Bürger müssen geschützt werden – aber dumme Bürger brauchen keine Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, denn diese könnten sie sowieso nicht nutzen.
- Oder wir haben mündige Bürger, die sich anhand gegebener Informationen eine eigene Meinung bilden können. Dann wäre zu klären, ob die benötigten Informationen für das Verständnis genügen. Meines Erachtens erfüllt der „Weitere Informationen“-Link genau diese Funktion.
Damit bestätigt das BGH-Urteil einen lang gehegten Verdacht von mir: Unser Land wird von nicht mündigen Bürgern bevölkert – zumindest in der Vorstellung des BGH.
Unterdrückte Fragen
Nein, ich bin kein Google-Freund. Aber es handelt sich um eine Aggregations-Software, die nur fremde Daten sammelt, auswertet und wieder zur Verfügung stellt. Damit gelten andere Regeln als für herkömmliche Medien. Diese sind ggf. zu einer Gegendarstellung verpflichtet. Google dagegen ist zum Schweigen verpflichtet? Wieso? Die Frage, ob „Hoeneß“ und „Steuerhinterziehung“ eine korrekte Kombination ergibt, zeigen doch die Suchergebnisse, also die Primärquellen. Google gibt mit seiner Auto-Complete-Funktion keinerlei Auskunft über Wahrheitsgehalt oder Fakten, sondern lediglich über die Relevanz des Themas im aktuellen Frage-Diskurs. Ob die Relevanz gerechtfertigt ist, steht auf einem völlig anderen Blatt. Hinter „Hoeneß Steuerhinterziehung“ könnte sich ja auch einstens die Aussage verborgen haben „Hoeneß leugnet Steuerhinterziehung“.
Was ist übrigens mit der Kombination „Person Y Holocaust“? Wenn Person Y ein bekannter Holocaust-Leugner ist, so wäre es für das Ansehen dieser Person (zumindest in bestimmten Kreisen) rufschädigend, dass das Verb fehlt. Kann Person Y erklagen, dass die Auto-Complete-Funktion dann „Holocaustleugner“ oder „leugnet Holocaust“ ergänzt? Auch Menschen, die wir nicht mögen oder verachten, haben Persönlichkeitsrechte und Anspruch auf Nicht-Verleumdung.
Das Wissen, dass bestimmte Begriffs-Kombinationen unterdrückt werden, beeinträchtigt das Vertrauen in das Suchen mit Google. Es wirkt somit geschäftsschädigend. Es behindert aktuelle Diskurse, indem es deren Irrelevanz vorgaukelt (eben durch Nicht-Vorschlag bei den relevanten Themen). Es leugnet die schlechten Möglichkeiten unserer Welt.
Nur Schlechtes darf weg
Kann ich übrigens auch klagen, wenn eine Person völlig unberechtigt eine positive Ergänzung erhält, beispielsweise „Lieschen Müller sexy“ oder „Margarethe Mustermann erfolgreich“ oder „Otto Normalo bester Liebhaber“ oder „Max Musterfrau Grafiker“ – wenn ich weiß, dass keine dieser Ergänzungen der Realität entspricht? Nein, denn ich habe ja nur ein Klagerecht, wenn ich persönlich betroffen bin. Eine indirekte Betroffenheit erkennen deutsche Gerichte nicht an. Somit kann ich nur einen Teil der Realität wegklagen: nämlich nur Schlechtes, das mich persönlich betrifft. Ich hätte nicht einmal Chancen, diese positiven Ergänzungen zu meinem Namen wegzuklagen, denn bei diesen handelt es sich ja nicht um Verleumdung oder Rufschädigung (s.o.). Positive Verleumdungen sind okay, aber schlechte dürfen beseitigt werden … widdewiddewitt, ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt.
Damit kommen wir der Welt immer näher, in der wir uns nur noch selbst bespiegeln. Einer Welt, die so ist, wie wir sie gern hätten, in der uns Neues und Unerwartetes immer seltener begegnet. Schöne Neue Welt.
Disclaimer: Natürlich habe auch ich unzählige Bedenken hinsichtlich der Mündigkeit zahlreicher Mitbürger, aber deshalb quasi Zensur zu üben und bestimmte Wortkombinationen zu untersagen, ist eine Kapitulation vor der Dummheit. Dieses Voltaire-Zitat hat offenbar nicht mehr viele Freunde: „Ich bin nicht Eurer Meinung, aber ich werde darum kämpfen, dass Ihr Euch ausdrücken könnt.“Alternative Lesart
Übrigens kann man das Thema auch ganz anders bewerten. Unsere Gesellschaft ist so mediengesteuert und jagt von medialem Orgasmus zu medialem Orgasmus, dass sachliche Argumente und besonnene Abwägung gar keine Chance mehr haben. Daher gilt es, vorgetäuschte Orgasmen zu unterdrücken und nur noch die echten zuzulassen. Denn nichts anderes soll – in einer wohlwollenden Lesart – das Urteil bewirken: Dass falsche Gerüchte nicht verbreitet werden. Insofern korrigiert die Justiz nur wieder einen Aspekt, an dem letztlich die Gesellschaft schuld ist.
In der Analogie eines Gerüchts würde dies bedeuten, dass viele Menschen über „Hoeneß“ und „Steuerhinterziehung“ sprechen. Gäbe es nun eine Instanz, die all die Gerüchte sammelt und mir bei „Hoeneß“ die Info gibt, dass zahlreiche Gerüchte mit „Steuerhinterziehung“ in Umlauf wären, so sagt dies noch nichts über die Inhalte der Gerüchte aus. Diese Instanz würde mir – sofern ich Interesse daran habe – zahlreiche Aussagen präsentieren, die zu dem Thema kursieren. Je nach Urheberschaft, Zitierhäufigkeit und anderen Kriterien wären diese sortiert, sodass die vermutlich geeignetsten Quellen zu Anfang genannt würden. Diese kann ich konsultieren, um mir selbst eine Meinung zu dem Thema zu bilden. Dabei werden sachliche, polemische und widersprüchliche Positionen aufgelistet sowie nicht selten auch die Position oder Stellungnahme oder Erklärung des Betroffenen. Schaue ich mir diese Quellen nicht an, so habe ich als Information lediglich erfahren, dass die Leute über „Hoeneß“ und „Steuerhinterziehung“ sprechen. Alle anderen Behauptungen würden von einem anderen Menschenbild als dem mündigen, aufgeklärten, sich informierenden Bürger ausgehen – das ist legitim, widerspricht aber dem Geist des Grundgesetzes.
Doch die Menschen sind nicht so aufgeklärt, mündig, fakteninteressiert, wie es das Ideal gern konstruiert. Die OLG-Entscheidung bestätigt das, indem sie zugesteht, dass aus der Information, dass ein Thema eine gewisse Relevanz besitzt, in den Köpfen der Menschen zugleich eine Meinung entsteht. Aus den Begriffen „Hoeneß“ und „Steuerhinterziehung“ wird eine Narration skizziert, die beide Begriffe in plausiblen Bezug zueinander setzt – die reale Geschichte oder gar Fakten interessieren dann gar nicht mehr bzw. müssen schon sehr stark sein, um die imaginierten Bezüge wieder zu tilgen. Jaja, so funktionieren die Menschen. Und die Justiz hat das erkannt und mit ihrem Urteil darauf reagiert.
Nichtsdestotrotz schafft diese justiziale Korrektur eine Menge neue Probleme moralischer, pragmatischer und gerechtigkeitsrelevanter Couleur.
Worauf will ich eigentlich hinaus?
Dieses rhetorische Armutszeugnis einer solchen Zwischenüberschrift gestehe ich mir jetzt einmal zu.Erstens. Wieso BGH und OLG so entschieden haben, ist nachvollziehbar. Nicht nachvollziehbar ist, wie Auto-Complete-Einträge den Tatbestand der Verleumdung oder Rufschädigung erfüllen können.
Zweitens. Die Menschen sind und agieren längst nicht so aufgeklärt und mündig, wie man es von ihnen erwartet. Deshalb funktionieren auch keine Modelle, die auf dem „homo oeconomicus“ basieren – der „homo irrationales“ bzw. „homo emotionales“ grätscht ständig dazwischen.
Drittens. Die erfolgten Gerichtsentscheidungen werfen in ihren Konsequenzen zahlreiche Probleme auf.
Viertens. Letztlich handelt es sich um Zensur. Auch wenn ich verstehen kann, warum dies getan wird (siehe 2.), so ist doch jede Art von Zensur per se abzulehnen. Es gibt keine „gute Zensur“.
Fünftens. Lasst uns die Anstrengungen zur Verbesserung der Gesellschaft verstärken: mehr Bildung, mehr Aufklärung, mehr Wissen, mehr Entscheidungs- und Meinungsbildungskompetenz in allen Bevölkerungsschichten!
Nachtrag (09. April)
Ein befreundeter Jura-Kundiger hat mich freundlich darauf hingewiesen, dass zwischen dem Straftatbestand der Verleumdung und dem zivilrechtlichen Anspruch auf Löschung zu unterscheiden sei. Das ist korrekt. Den Straftatbestand habe ich ja schön wegargumentiert (s.o.) ;-), aber der Anspruch auf Löschung bleibt bestehen. Dazu die kurzen Gedanken eben jenes Freundes:
Google glaubt zu wissen, was jemand fragen will, und ich glaube, das ist ein stückweit die Krux an der Sache. Denn letztlich entscheidet Google mit weitgehend intransparenten und nur wenig beeinflussbaren „Relevanzkriterien“ darüber, was dort als Suchvorschlag angeboten wird und was nicht. Und wenn ein Nutzer zu seiner Person mit diesen Vorschlägen, die erscheinen, bevor der erste Suchtreffer angezeigt wird, nicht einverstanden ist, dann kann der Nutzer sehen, wo er bleibt, und Google stiehlt sich aus der Verantwortung.
Ja. Die Logik, nach der die Auto-Complete-Vorschläge generiert werden, ist intransparent und wesentlich komplexer als „die häufigsten Suchphrasen der letzten zwei Wochen, bei denen einzelne Worte deiner begonnenen Suche entsprechen“. Da Google mit seinen rund 98 Prozent Marktanteil in Deutschland de facto als Web-Infrastruktur gelten kann, wäre etwas Transparenz nicht nur wünschenswert, sondern fast schon geboten. Es würde sich beispielsweise anbieten, das Verfahren der Auto-Complete-Funktion nicht nur abstrakt zu erklären, sondern anhand eines Beispiels nachvollziehbar zu machen.
Beispielsweise indem für 52 Wochen jeden Montag die Auto-Complete-Vorschläge zu einem Suchbegriff dargestellt werden und daneben die Ereignisse, die eine Veränderung bewirkt haben. Beispielsweise „Angela Merkel“ – dazu werden heute nur „Twitter“, „Facebook“ und „Gehalt“ angeboten. Es wäre nicht nur praktisch, sondern auch akzeptanzfördernd, eine solche Entwicklung nachvollziehen zu können. Die reine Abrufhäufigkeit kann es nicht sein. Vergleicht man in Google Trends das Interesse an den drei Begriffspaaren, so zeigt sich die Diskrepanz zwischen Interesse und Platzierung:
Für „Gehalt“ wurden im April 93 Punkte vergeben, für „Facebook“ dagegen 75. Trotzdem steht Facebook über Gehalt in der Vorschlagsliste. Das ist auf den ersten Blick nicht verständlich und nachvollziehbar. „Twitter“ hat – obwohl auf dem ersten Platz – nur 74 Punkte. Übrigens weist die Trend-Prognose für alle drei Fälle steigendes Interesse aus, daran kann es also nicht liegen.
Da besteht viel Erklärungs- und Transparenzbedarf, den ich auch keinesfalls bestreite, sondern bereits in meinem früheren Beitrag zur Bedingung für die Akzeptanz der Auto-Complete-Funktion gemacht habe.
Dessen ungeachtet kann ich den Aussagegehalt und das sprachliche Problempotenzial einer Folge von Worten nicht nachvollziehen. Somit fehlt mir die Einsicht, dass es sich um ein berechtigtes Löschinteresse handelt. Wenn Person X und Person Y jeweils die Ergänzung „Kinderpornografie“ erhalten (sorry, aber ein drastisches Beispiel macht es anschaulich), dann sagt das nichts, rein gar nichts aus. Denn dass Person X sich aktiv im Kampf gegen Kinderpornografie engagiert und Person Y unter Nutzungsverdacht steht, erfährt man aus diesem Vorschlag nicht. Im Gegenteil: Würden alle Personen Y die Auto-Complete-Ergänzung erfolgreich wegklagen, dann würde nur noch bei Person X die Ergänzung „Kinderpornografie“ angeboten. Und Person X hätte nicht einmal vor Gericht die Chance, diese Ergänzung löschen zu lassen, da ja ihr Engagement gegen Kinderpornografie bekannt sei und keine Herabsetzung darstellt. Die ganzen potenziell negativen Begriffe würden also nur noch bei Personen angeboten, die sich nicht wehren können.
Übrigens beginnt die Auto-Complete-Funktion bereits beim ersten Buchstaben und schlägt Wörter vor, so gehören zu „a“ die Vorschläge „amazon“, „aldi“, „ard“ und „aldi nord“. Das ist sozusagen auch ein Dienst bzw. Komfortgewinn für das schreibfaule und rechtschreibschwache Publikum. Außerdem hört die Auto-Complete-Funktion ja nicht nach dem ersten Wort auf. Fragt man Google nach dem Profi-Fußballer „Manuel Neuer“, erhält man unter anderem „schwul“, übernimmt man schwul, lauten die nächsten Ergänzungsvorschläge „bild“, „e outen“ und „wikipedia“. So kann man sich von einem kryptischen Vorschlag zum nächsten hangeln – die Antwort erfährt man erst, wenn man eine der Quellen anklickt.
Google ist ein Aggregator, kein Content-Anbieter. Das ist mit dem klassischen Medienverständnis schwer zu greifen, da eine solche Instanz dort allenfalls marginale Bedeutung hat. Und wie zahlreiche Beispiele aufzeigen, bringen die Fundstellen dann Ergebnisse, die jeden Auto-Complete-Beitrag in sein Gegenteil verkehren. Genauso wie die fiktive (aber prototypische) Schlagzeile einer Bild-„Zeitung“: „Bekommt Merkel zu viel Gehalt?“ Die Antwort des Textes wäre – natürlich –: nein, sie bekommt eher zu wenig. Oder: „Ist Neuer schwul?“: Natürlich nicht, es handelt sich um einen Übersetzungsfehler. Oder: „Nagen wir bald alle am Hungertuch?“: Nein, aber es könnte uns noch besser gehen. Gefühlt verneinen mehr als 80 Prozent der Bild-„Artikel“ mit Fragezeichen-Überschriften die Aussage der Überschrift. Das wissen die „Leser“. Sind Bild-„Leser“ also schlauer oder medienkompetenter als Google-Nutzer?
Die letzten drei Sätze sind einfach nur herrlich.
Ich betrachte die Autovervollständigen-Funktion weiterhin kritisch. Wenn ich etwas über Manuel Neuer wissen will, dann gebe ich Manuel Neuer bei Google ein. Dass ab „Manuel N“ Google mir „Manuel Neuer“ im Autocomplete vorschlägt, finde ich gut, denn ich bin ja auch chronisch schreibfaul und die Wahrscheinlichkeit, dass ich nach Manuel Neuer suchen will, wenn ich schon Manuel N eingegeben habe, ist hoch.
Aber ist es Aufgabe des Autocompletes mir weitere Vorschläge zu unterbreiten, wenn ich Manuel Neuer ausgeschrieben habe? Ich bin derjenige, der eine Suchanfrage an Google richtet und die bezieht sich zunächst auf Manuel Neuer. Ende. Wenn ich bestimmte weitere Details in Erfahrung bringen möchte, dann sollte doch ich als Nutzer den weiteren Impuls setzen, also wenn ich etwa auf der Suche nach der Facebookseite von Manuel Neuer bin, wenigstens noch Manuel Neuer F eingeben, bevor Google mir dann wieder das Wort vervollständigt. Ganze Wörter vorzuschlagen, die nur auf der Angabe der vorigen Wörter basieren, finde ich gerade bei Personen, die in aller Regel aus der Kombination von Vor- und Nachname identifiziert werden, problematisch. Das ist jetzt sicherlich sehr kleinkariert, aber wenn es um Personen geht, die ein Persönlichkeitsrecht haben, denke ich schon, dass jemand die automatisierte Zuweisung des Attributes „schwul“ oder „Kinderschänder“ hinter seinem Namen für sich als Eingriff erachtet, da Google letztlich dem Suchenden den Impuls gibt: „He, du suchst ja eigentlich nur nach Manuel Neuer, aber warum suchst Du nicht gleich nach Manuel Neuer schwul“?
Für nicht personengebundene Suchen, also wenn ich zum Beispiel „Witz Rollstuhlfahrer“ eingebe und dass dann mit Hürdenlauf, oder was auch immer erweitert wird, soll mir egal sein. Wir reden dann nicht über das Persönlichkeitsrecht eines einzelnen, sondern allenfalls über eine gesellschaftliche Minderheit. Aber bei individualisierbaren Personen wird es haarig, wenn wir deren Persönlichkeitsrecht ernst nehmen wollen.
Das Argument, dass Google da letztlich nur Aggregator und nicht Content-Anbieter ist, mag ich gerade vor dem aufgezeigten Hintergrund, dass Sucherweiterungen angeboten werden, ohne dass der Nutzer Google dazu aufgefordert hat, ein bisschen in Frage stellen. Und mehr noch: Google betrachtet sich selbst ja eben gerade auch nicht als unvoreingenommenen Aggregator. Zitat von der von Dir erwähnten Erklärungsseite:
Dennoch verfügt Google über einige grundsätzliche Richtlinien zur Entfernung bestimmter Suchanfragen. Das betrifft zum Beispiel pornografische, illegale, gefährliche oder gewalttätige Inhalte und Hassreden; außerdem kann es auch solche Begriffe betreffen, die häufig für die Suche nach Inhalten verwendet werden, die gegen Urheberrechte verstoßen.
Wo zieht Google also die Grenze und entscheidet über Gut und Böse? Welche Suchanfrage ist noch zulässig und welche nicht? Und warum sollten Individuen, die sich von zugewiesenen Autocompletes gestört fühlen, dann Google nicht sagen können. Hey, das ärgert und verletzt mich. Bitte entfernt das?
Schwieriges Thema…