Unsere Ex-First-Lady will alle digitalen Zweifel über ihre einstige Würde beseitigen lassen. Dabei gehören Zweifel doch erstens zur Meinungsbildung und zweitens zu einer modernen Demokratie dazu. Aber unbedingter Glaube an das Hehre und Gute müssen natürlich zweifelsfrei erkennbar sein. Deshalb darf auch Google nicht vorschlagen, den Suchbegriff „Bettina Wulff“ um „Rotlicht“ zu ergänzen. Jedenfalls will Bettina Wulff dies verhindern und klagt nun gegen Google. Den Prozessauftakt hatte man verschieben lassen, bis das Bundesverfassungsgericht in einem ähnlich gelagerten Fall entschied (mehr dazu im Heise Newsticker).
Jeder darf das finden, wie er oder sie es möchte, meine Einschätzung: kleingeistig, retro und undemokratisch … achja, und realitäts- und technikfern.
Beschränkter Suchfragenhorizont
Zunächst ist einmal zu klären, was die Vorschlagsfunktion tut: Sie zählt die Sucheingaben aller Google-Benutzer mit und schlägt anschließend häufig verwendete Suchbegriff-Kombinationen vor. Das ist doch recht angenehm, denn häufig suchen viele Leute etwas Ähnliches. Das Problem tritt auf der Ebene der Medienkompetenz hinzu: Durch die Autovorschläge werden – sicher nicht alle, aber einige – Suchende davon abgehalten, etwas eigenes zu suchen und folgen nur den ausgetretenen Suchpfaden. Die Vorschläge sagen allerdings überhaupt nichts über das Suchergebnis aus: weder qualitativ noch quantitativ. Es ist lediglich und ausschließlich eine Hilfe bei der Fragestellung.
Würde man Google nun verbieten, eine solche Vorschlagsfunktion einzusetzen, würde dies einem Frageverbot gleichkommen. Aber fragen muss man in einer Demokratie: nach allem und jedem! Wie gesagt: Die Frage sagt noch gar nichts über die Antwort, die Menge der Antworten oder deren Inhalte oder Qualität aus. Nach dem Willen von Bettina Wulff darf Google aber nun bestimmte Fragen gar nicht mehr anbieten: Nämlich jene, ob es eine Verbindung der Begriffe „Bettina Wulff“ und „Rotlicht“ gibt und worin diese bestehen könnte. Da Google aber die Frage ja nicht selbst anbietet, sondern nur die Fragen anderer Nutzer abbildet, wird hier eine Zensur betrieben. Konsequent müssten dann für den Begriff „Bettina Wulff“ alle Vorschläge unterbunden werden, denn eine Liste ohne „Rotlicht“ wäre nach aktuellem Stand eine Verzerrung der Statistik und damit Zensur und Manipulation.
Wie funktioniert der Vorschlags-Algorithmus?
Meine Argumentation unterstellt, dass der Google-Vorschlags-Algorithmus tatsächlich eine solche Abbildung von statistischem Verhalten (in verschiedenen Wichtungen) ist. Demnach gehört auch das Wesen von Vorschlagsfunktionen zur allgemeinen Medienkompetenz bzw. die Nutzer sollten den kompetenten Umgang damit erlernen und wissen, wie sie solche Vorschläge zu werten haben.
Ja, die Frage an sich wird nicht verboten, denn man kann sie immer noch in Google eintippen und erhält die gleichen Ergebnisse. Aber andere Fragen, die statistisch weniger wichtig sind, werden bevorzugt angeboten und jene häufige verschwiegen. Das ist klare Wahrheitsverzerrung und führt gedanklich zu den Zeiten und Gesellschaften, die Verbote als probate Mittel ansehen. Aber mit Verboten kennen wir uns in Deutschland ja gut aus … Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, und weil Nicht-Wissen immer besser ist, und weil Verbote uns vor allem bewahren – vor allem vor dem Denken.
Deshalb bin ich ziemlich enttäuscht von unserem Bundesverfassungsgericht. Ja, der Fall war etwas anders gelagert. Ja, auch ich finde, dass bestimmte Suchbegriffe nicht kombiniert gehören. Aber ich finde auch, dass hier wieder einmal das Persönlichkeitsschutzrecht missbraucht wird. Ja, ich fordere von Google absolute Transparenz, wie die Vorschlagsfunktion ihre Vorschläge generiert – nur dann kann ich langfristig ihre Partei in dieser Debatte ergreifen.
Konsequente Eingriffe
Würde Bettina Wulff Recht bekommen, kann dies ungeahnte Nebenwirkungen haben. Erfahrungsgemäß hat jede Regelung unzählige Nach-Regelungen zur Folge, um dafür zu sorgen, dass alles toll ist. Denn nur wenn alles toll ist, kann man sich wohlfühlen. Dabei wird gern vergessen, dass Algorithmen nur so gute Ergebnisse liefern können, wie die Datenbasis hergibt, und diese wird oft von Menschen geliefert. Das Problem ist nicht die Technik, sondern die Probleme sitzen vor den Bildschirmen und tippen auf ihre Tastaturen.
Der Profi-Fußball ist eine hochgradig homogen homophobe Veranstaltung, oder hat schon mal jemand was von einem schwulen Fußballspieler in der zweiten oder gar ersten Bundesliga gehört? Statistisch müsste jeder 30. bis 40. schwul sein, bei 18 Erstliga-Clubs mit je mindestens 20 Spielern, also insgesamt weit über 300 (vermutlich eher über 400) Spielern gibt es aber: Null (0). Das ist eine statistische Anomalie. Vor allem, wenn man mal Google befragt.
Von vier Testeingaben (mir sind gerade nicht viel mehr eingefallen), behauptet allerdings Google bei dreien, dass „schwul“ eine sinnvolle Ergänzung zum Namen wäre. Nur Lukas Podolski ist über jeden Zweifel erhaben:
Wir erkennen klar: Entweder sind unsere Bundesliga-Fußballer größtenteils schwul, wahnsinnig schwulentolerant, oder die vorgeschlagene Frage sagt rein gar nichts über die Realität aus. Ich vermute mal letzteres, könnte mir aber auch ersteres vorstellen ;-) Wenn nun ein Fußballspieler auf die Idee käme, dass „schwul“ eine für ihn nachteilige Suchbegriffsergänzung wäre und Google diese deshalb gar nicht erst anbieten dürfe, wie würde er argumentieren? Ich weiß es nicht, mir wird aber angst und bange.
Nun wird’s persönlich
Liebe Bettina,
Sie haben eine Verantwortung. Gerade Sie. Als ehemalige First Lady. Sie sollen ein Beispiel geben. Für Toleranz. Für offenes Denken. Für freies Fragen-Dürfen. Sie sind kein Hund. Deshalb müssen Sie auch nicht bellen. Denn nur getroffene Hunde bellen (oder beißen).
Haben Sie ein wenig Vertrauen. In die Menschen. In deren Intelligenz. In das Wissen, dass eine Frage keine Antwort ist. Das schulden Sie dem Land. Dem Land, dem Ihr Mann einst Treue und einiges mehr schwor.
Seien Sie nicht so kleinlich. Sie sind nicht Barbra Streisand. Erleben aber nun den gleichen Effekt. Googlen Sie mal den Barbra-Streisand-Effekt. So werden Sie Ihre Vergangenheit jedenfalls nicht los.
Überhaupt ist Ihre Zeit viel zu wertvoll. Verschwenden Sie diese nicht auf solchen Blödsinn. Stehen Sie darüber. Das sind Sie ihrem Ruf als „Lady“ schuldig. Bewahren Sie sich einen Rest Restwürde.
Missbrauchen Sie nicht die dritte Gewalt im Staate (Judikative). Diese hat genügend Wichtigeres zu tun. Sie werden drüber wegkommen. Die Erde wird sich weiterdrehen. Auch wenn Sie noch etwas länger im Rotlicht stehen müssen.
Fragen verbieten
Google nur zu gestatten, bestimmte Fragen vorzuschlagen (die Umkehr des Verbots von unliebsamen Fragen), ist ein eklatanter Eingriff in die Autonomie von Algorithmen. Vor allem ist es mal wieder Zensur. Aber klagt ruhig eure Scheuklappen durch alle Instanzen: Denn was ihr nicht seht, das gibt es auch nicht. Widde widde witt, ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt.
Achja, übrigens kennt auch Bing eine dunkle Vergangenheit von Bettina Wulff. Wann wird endlich medienwirksam gegen Bing geklagt?
Oder ist die ganze Google-Verklagerei ein perfider PR-Plan? Solange Google fleißig in den Nachrichten ist, spricht keiner über deren Mitbewerber … hm, das würde natürlich ein ganz anderes Licht auf die Angelegenheit werfen.
Was lehrt uns das Ganze? Nicht einmal die First Lady kennt den Unterschied zwischen Fragen und Antworten und zieht deshalb Zensur vor. Armes Deutschland, das solche Bürger hat.
Ich hoffe noch ein wenig auf die Vernunft der Richter, die das Urteil vom Bundesverfassungsgericht nicht einfach übernehmen, denn das wäre fatal. Für unsere Demokratie.
Pingback: Sind Fragen rufschädigend? [Update] | zanjero.de