Zahlreiche Faktoren wirken, um einen Text „Literatur“ werden zu lassen. Dazu gehören der Autor und die Schaffung, aber auch Verlage, Politik und Literaturkritik. Die überarbeitete Studienarbeit stellt wesentliche Elemente und Ansprüche an die Literatur vor und zieht illustrierende Bezüge zu Musik, Film und anderen Künsten.
Dieser Beitrag entstand 2000 als Hausarbeit an der Humboldt-Universität zu Berlin, im Grundkurs A des Germanistik-Studiums. Am Ende des Semesters sollte aus allen Arbeiten ein digitaler Reader erstellt werden, um nötiges Grundwissen leicht verfügbar zu haben. Daher ist dieser Text weniger eine wissenschaftliche Auseinandersetzung als vielmehr eine Untersuchung des Themas und der Versuch, die Frage, was Literatur sei, tatsächlich zu beantworten. Für die Buch- und neue Web-Veröffentlichung wurde der Text aktualisiert und ergänzt.Der Beitrag ist enthalten im Sammelband „Fragen an die Literatur“. (bei amazon.de für 9,90 Euro bestellen)
Allgemeine Bemerkungen zum Thema
Literatur ist ganz allgemein verschriftlichte Kommunikation mittels Sprache. Sprache als Überbringer von Informationen hat verschiedene Funktionen. Eine Übersicht über diese sowie über die Informationsobjekte von Sprache stellte Roman Jakobson 1960 in seinem Kommunikationsmodell zusammen:
Kontext referentiell |
||
Sender emotiv |
Botschaft poetisch |
Empfänger konativ |
Kontaktmedium phatisch |
||
Kode metasprachlich |
Element | Sprachfunktion | Beispiel |
---|---|---|
Sender | emotiv | „… ich bin ihr [der Maschine] einziger Vertreter.“* |
Botschaft | poetisch | Franz Kafkas „Der plötzliche Spaziergang“ |
Empfänger | konativ | „Wollen Sie sich nicht setzen?“* |
Kontext | referentiell | „Dieser Apparat … ist eine Erfindung unseres früheren Kommandanten.“* |
Kontaktmedium | phatisch | „Es ist sehr kunstvoll, … aber ich kann es nicht entziffern.“* |
Kode | metasprachlich | Kafkas Texte sind voller Substantive. |
Beispiele mit * sind Franz Kafkas Erzählung „In der Strafkolonie“ entnommen.
Ist die Sprache schriftlich fixiert, erhält man einen Text. Doch nicht jeder Text ist auch Literatur. Es gibt bestimmte Kriterien, die erfüllt sein müssen.
Zum einen – auch wenn das trivial anmuten mag – muss ein Text für den Rezipienten verständlich sein. Das bedeutet, der Sender eines als „Literatur“ bezeichneten Werkes bedient sich bei der Produktion des gleichen Zeichensystems wie der Empfänger bei der Rezeption.Eigentlich ist es textimmanent, aber im Hinblick auf die Weltliteratur scheint es mir erwähnenswert. Einen Text in einer fremden Sprache können wir, mag er noch so literarisch sein, nicht als Literatur erkennen, wenn wir diese Sprache nicht verstehen. Daraus folgt ebenso, dass jeder Sprachraum eine eigene Literatur hervorgebracht hat.Natürlich gibt es ständige Beeinflussungen, die hier jedoch vernachlässigt werden. In diesen Zusammenhang gehört auch, dass der Text für den Rezipienten zugänglich sein muss. Ein Text, der in der Schublade des Verfassers liegt oder aus sonstigen Gründen nicht verfügbar ist, kann nicht als Literatur wahrgenommen werden.
Zum anderen ist die Einstellung des Rezipienten (künftig Leser genannt) wesentlich. Nehmen wir als Fallbeispiel an, dass ein Schild an einer Rolltreppe mit der Aufschrift „Hunde müssen getragen werden“Ich werde hier in Auszügen Terry Eagleton’s Beispiel aus seinem Aufsatz „What is Literature?“ folgen, davon jedoch später mehr.
Wenn möglich, wähle ich Beispiele, die das zu Zeigende deutlich demonstrieren können. Daher wird Kafkas Werk oft angeführt. Dieses gehört zweifellos in den literarischen Kanon der (Welt)Literatur und lässt verschiedene Aspekte besonders anschaulich demonstrieren. Auch kann man sein Werk als so bekannt voraussetzen, dass es nicht parallel beim Lesen konsultiert werden muss. Franz Kafka (1883 – 1924) wird dem Expressionismus, Surrealismus zugerechnet.und Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“ ohne Kenntnis der Herkunft beurteilt werden sollen. Welches davon ist literarischer? Lassen wir diese Fallbeispielfrage eine Weile ruhen und wenden wir uns der Frage zu, was unter Literatur denn verstanden werden kann.
Der Frage der Literatur nachgegangen und diese präzisiert
Der Ursprung des Wortes „Literatur“ lässt sich auf das lateinische Wort Lit(t)eratura zurückführen. Unter diesem Eintrag findet man im Wörterbuch „Buchstabenschrift; Schrift, Alphabet, Sprachunterricht“. Geht man noch einen Schritt weiter zurück und schaut bei „Lit(t)era“ nach, so findet man „,Angeschmiertes‘, Buchstabe, Geschriebenes/Schriftstück, Gelehrsamkeit“. Dass aus diesen Wortbedeutungen „Literatur“ hervorging, hat zwei Ursachen. Zum einen ist stets der Bezug zur Schrift in den Übersetzungsmöglichkeiten vorhanden (wenn auch bei „Gelehrsamkeit“ und „Sprachunterricht“ nur im weiteren, übertragenen Sinne). Zum zweiten nutzen wir das Wort „Literatur“ im Alltag auch oft allgemein zur Bezeichnung von allem, was sich lesen lässt. Wir verwenden es synonym für „Lektüre, Schriftgut, Dichtung, Buch“Das sagt nicht nur der Alltag sondern auch der MS-Word-97-interne Thesaurus. Auch im Großen Fremdwörterbuch (Leipzig 1977) ist die „schöngeistige Lit.“ erst der letzte Eintrag, nach „alles schriftlich Überlieferte, […] Gesamtheit der Werke zu einem bestimmten Gebiet […]“., was den Übersetzungen aus dem Lateinischen nahekommt.
In der Literaturwissenschaft müssen wir ein solch breites Begriffsverständnis von uns weisen. Hier beschäftigen wir uns mit „Literatur“ in einem ziemlich engen Sinn, nämlich mit der hohen Literatur, den Texten mit Kunststatus. Am liebsten ist jedem Wissenschaftler eine schöne Definition: „Wenn das unter bestimmten Umständen so und so ist, dann bezeichnen wir das als Literatur“. Lässt sich für einen solchen missverständlichen Begriff – trotz der Einschränkung bleibt „Literatur“ ein solcher – überhaupt eine so schlichte und nüchterne Definition angeben? Wenn ja, wie lautet sie, wenn nein, warum nicht, und gibt es trotzdem irgendwelche Dinge, an denen man ziemlich sicher Literatur erkennen kann?
Terry Eagleton: Bestandsaufnahme
Im Jahre 1983 fasste der englische Literaturtheoretiker Terry Eagleton die Probleme der Bestimmung des Literaturbegriffes zusammen und versuchte, eine Antwort zu finden, ohne vom Erfolg dieses Ansinnens überzeugt zu sein. Schlussendlich steht bei ihm die Erkenntnis, dass Literatur ein künstliches Konstrukt ist, das verschiedenen Einflüssen unterworfen ist. Diese Schlussfolgerung will ich im folgenden nachvollziehbar machen und ihr einige Aspekte hinzufügen.
Wer sagt uns, dass „Hunde müssen getragen werden“ keine Literatur ist? Doch nur unsere gesellschaftliche Prägung, unsere Bildung, unser Vorwissen. Diesem Satz kann man fraglos die gleiche Aufmerksamkeit schenken wie einem literarischen Text, doch kaum jemand käme auf die Idee. Liegt dagegen Kafkas „Verwandlung“ auch ohne Angabe des Titels und des AutorsMit Autor ist der Verfasser/Urheber von Literatur gemeint. Zum Thema und Problemen des Autorbegriffs siehe weiter unten. vor uns, werden wir uns bereitwillig auf eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Text einlassen. An der Länge kann es nicht liegen (Wer macht sich freiwillig die Arbeit mit vielen Seiten Text, wenn er sich nur mit einer Zeile beschäftigen müsste?) Woran liegt es, dass wir den längeren der beiden Texte sofort in die engere Auswahl ziehen, während der kürzere vernachlässigt wird?
Eagleton versuchte, die wesentlichsten Merkmale eines als Literatur zu bezeichnenden Textes zusammenzufassen. Volker Wiemann führte viele angerissene Aspekte etwas weiter aus. Außer, dass Literatur nur das Konstrukt einer jeweiligen Zeit ist, haben die als Literatur eingestuften Texte auch spezielle Eigenschaften.
Was ist das Spezielle?
Nun reicht das Vorhandensein der folgenden speziellen Eigenschaften nicht aus, einen Text zur Literatur zu erheben, wenn die gesellschaftliche Anerkennung fehlt. Trotzdem sind sie hilfreiche Wegweiser auf der Suche nach dem Wesen der Literatur.
Begeben wir uns auf die Suche nach dem Speziellen in literarischen Texten, scheint mir eine Differenzierung nach formalen und inhaltlichen Gesichtspunkten sinnvoll.
Form
Als Form wird hier die materielle Seite des Textes bezeichnet: also die vielen kleinen Punkte auf dem Papier, die zusammen Buchstaben, Worte, Sätze, Texte ergeben, und die Schwingungen der Luft, die das Vorlesen des Textes verursachen würde. Kurz gesagt besteht die Form eines Textes aus grafischen und phonetischen Einheiten, die dem Text seine optische und lautliche Gestalt verleihen. Die Untersuchung des Lesevorgangs zeigt, dass der Text beim Lesen, also beim Betrachten, meist leise mitgelesen wird oder man ihn sich zumindest im Geiste lautlich vorstellt.Bei Kursen zum sogenannten „Improved Reading“ wird diese lautliche Vorstellung überwunden, wodurch die Lesegeschwindigkeit nicht mehr von der realen oder vorgestellten Geschwindigkeit des Mitsprechens abhängt. Daher sind wir als Leser sehr empfänglich für lautliche „Spielereien“ und Besonderheiten auch von schriftlicher Sprache.
Somit ist nicht verwunderlich, dass bei der Formfrage der hörbare Aspekt von Texten eine größere Bedeutung besitzt als der grafische, auch wenn Text an die grafische (und nicht die lautliche) Fixierung gebunden ist, und einige Autoren ihre Texte grafisch gestalten. Dichterlesungen oder Hörbücher wären ein vielschichtiger Untersuchungsgegenstand, hier ist jedoch gedruckte Literatur der Fokus. Das schließt auch Theaterinszenierungen aus, lediglich als „Textbuch“ wären sie in dem eingeengten Sinne Literatur. Ebenso wird – abgesehen von den Verslängen bei Gedichten – die konkrete Präsentation vernachlässigt. Ob ein Text mehrspaltig in klassischer Serifenschrift oder mit Illustrationen flankiert in moderner Schriftart gedruckt ist, wird vernachlässigt. Es zählen lediglich die Buchstaben und Zeichen, die in der korrekten Reihenfolge den Text ergeben.
Verfremdung
Ganz oben auf Wiemanns Skala der wichtigen formalen Kriterien von Literatur rangiert die Verfremdung, die bewusst wahrgenommene Abweichung von Konventionen; als Konvention z. B. gilt schon die allen geläufige Alltagssprache. D. h. man hat sowohl das Original (automatisierte Folie) wie auch das Neue (Novum) im Kopf. Dadurch erhält der Text eine weitere (Bedeutungs)Ebene. Das betrifft vor allem die Sprache. Egal wie original man die Alltags- oder Slangsprache in einem Text einfangen mag, sie wird nie die selbe sein wie in der realen Welt. Zum einen verliert sie ihre besondere lautliche Qualität, falls der Leser nicht erlebt hat, wie das Geschriebene gesprochen werden muss. Zum zweiten verliert die Sprache schon von der Übertragung der Schallwellen (eine schier unendliche Vielfalt von Lauten) in die Schriftsprache (begrenzt auf 26 Groß- und Kleinbuchstaben, Umlaute und Satz- sowie Sonderzeichen).Der Versuch, „Warummussichaufräumen?“ sinnvoll aufzuschreiben ohne den Leser zu verwirren und ohne das Besondere des Gehörten (Wer spricht schon alle Wortpausen mit und wer schreibt schon die Betonung mit?) zu verlieren, scheiterte. Zumal beim Lesen nicht ersichtlich ist, auf welches Wort der Sprecher nun besonderen Wert legte. Drittens kann die „Oralgrammatik und -ausdrucksweise“ nicht problemlos mitgeschrieben werden, da die Betonung als wichtiges Orientierungs- und Führungsinstrument beim Sprechen fehlt.
Also bewirkt jede schriftliche Fixierung von Sprache eine Verfremdung der Realität (die immer als real oder imaginiert bzw. faktisch oder fiktional aufzufassen ist), die wir jedoch fähig sind, in Ansätzen im Text wiederzuerkennen. Jede geschriebene Sprache unterscheidet sich von der gesprochenen.Die Alltagssprache des Zeitraumes („Epoche“ ist mir in diesem Zusammenhang zu vorbelastet) ist somit die erste automatisierte Folie, der beim Schreiben das Novum aufgeprägt wird. Der Leser wird beim Lesen z. B. eines Dialoges also sofort die Schriftsprache in die von ihm gewohnte Alltagssprache „übersetzen“. Am Autor liegt es nun, ob er dem Leser das Übersetzen erleichtert, erschwert oder sich gar nicht um den Leser schert. Auch ist der Versuch von Autoren, sich im schriftlichen Bereich voneinander zu unterscheiden, nicht selten; der Expressionismus (1910 – 1925) in Deutschland ist ein gutes Beispiel für die bewusste Sprachverfremdung.
Verfremdung bedeutet, dass der Leser wahrnehmen muss, dass er eine „automatisierte Folie“, der ein „Novum“ aufgeprägt wurde, vor sich hat. Somit ist also jedes Lesen eine bewusste „Flucht“ in eine Sprachwelt, die es in der Realität nicht geben kann. Jeder übersetzt die Buchstabenwelt in seinem eigenen Gehirn, und somit wird auch ein und dieselbe Verfremdung bei jedem Leser anders verarbeitet (Diesmal ohne Beispiel; es wäre interessant zu sehen, welche Art von Text einem Leser bei den folgenden verschiedenen fiktiven Beschreibungen einer einzigen Verfremdung im Kopf entsteht): Dem einen erscheint sie attraktiv, da sie „genau die richtigen Worte findet“, dem anderen ist sie „zu schwülstig und effektheischerisch“, wieder ein anderer empfindet sie als „an die niedrigsten Instinkte appellierend“ usw.
Selbstverständlich kann jedes Novum seinerseits erneut zu einer automatisierten Folie werden. Das bekannte Bild „Der Schrei“ (bei Artsy.net aufrufen) von Edvard Munch (1893) – seinerseits Verfremdung der zur Entstehungszeit etablierten Malkonventionen – findet eine optische Entsprechung in der Maske des Killers in den drei „Scream“-Filmen (1997, 1998, 1999).
So sieht man beim Betrachten dieser Maske auch sozusagen „im Hintergrund; im Unbewussten“ Munchs „Schrei“ nachhallen. Man nimmt also parallel zum Novum auch das Ausgangsmaterial wahr, vorausgesetzt man hat den „Schrei“ in seinem Gedächtnis gespeichert. So wurde im Expressionismus weniger die aktuelle Alltagssprache als der etablierte literarische Ausdruck, welcher bereits eine Verfremdung der Alltagssprache darstellt, als Verfremdungsbasis genommen, gegen die man sich auflehnt, sie also bewusst einer erneuten Verfremdung zuführt.
Autofunktionalität
Der Begriff suggeriert eine vom Inhalt unabhängige Form, das träfe höchstens auf verschiedene dadaistische Werke zu, da diese nicht beabsichtigen, einen Inhalt zu transportieren und es nach meiner Erfahrung auch nicht tun. Sie bieten ein interessantes formales Erlebnis, funktionieren also inhaltsunabhängig aus sich selbst heraus. Doch scheint nur dieses extreme Beispiel das Wort „Autofunktionalität“ voll zu treffen.
Geht eine Verfremdung so weit, dass der Inhalt von der Form dominiert zu werden scheint, spricht man von Autofunktionalität. Ein gutes Beispiel ist der Liedtitel „Zwei alte Tanten tanzen Tango“ von Georg Kreisler. D. h. Die Form drängt sich beim Lesen (lautlich vorstellen) in den Vordergrund der Wahrnehmung, während die Tatsache, dass sich da ein Paar betagte weibliche Personen rhythmisch zu Tango genannter Musik bewegen, weniger deutlich ins Bewusstsein dringt.Der Refrain zur Veranschaulichung (man achte auf die zahlreichen Binnenreime und absurden Wortspiele): Zwei alte Tanten tanzen Tango / mitten in der Nacht. / Gleich zwei Schimären, so als wären sie / aus Spinnweben gemacht. / Wie die sich wiegen, sich verbiegen / und schmiegen Bein an Bein: / Jeder Schritt muss bei dem Rhythmus / ein Vergnügen sein! / Und Sterne blitzen, Wolken schwitzen / und der Nebel färbt sich rot. / Eine Eintagsfliege träumt vom Siege, / ehe sie erwacht. / In den Spelunken wird getrunken / und der Bäcker backt das Brot; / Zwei alte Tanten tanzen Tango / mitten in der Nacht.
Ein Selbstversuch kann das vielleicht verdeutlichen: Wie wäre es mit „Und spuckt den Ozean ein Lotse an“? Dieser dreisilbige Reim verliert ebenso wie die Zeile „Es kriegt der Araber sein eigenes Dromedar, aber wozu“ in der Schriftfassung im Vergleich zum mündlichen Vortrag deutlich an Reiz, da beide Binnenreime nicht durch Versgestaltung den Gleichklang wiedergeben, sondern dieser sich erst beim lautlichen Vorstellen zu erkennen gibt.
Jede sprachliche Besonderheit, wie Reim, Anapher, Alliteration etc, ist per se dazu geeignet, den Leser für den ersten Moment des Lesens auf die Form zu konzentrieren, da sie von der Alltagssprache abweicht (also schon eine Verfremdung darstellt, die stärker ausgeprägt wird), worauf dieser ob der formalen Besonderheit des Textes den Inhalt mit besonderer Intensität wahrnimmt.Nicht umsonst machen Schlagzeilen, Wahlkampf sowie Werbung allgemein regen Gebrauch von sprachlichen Mitteln.
Eine besondere Form der Autofunktionalität, stellt laut Wiemann in jüngerer Zeit die Intertextualität dar, also der Bezug auf einen anderen Text bzw. andere Texte. Intertextualität kann sich auf den Inhalt oder die Form anderer Texte beziehen.Ein kleines Beispiel liefert die Eingangsszene aus dem Film „Shadows and Fog“ (1992), deren Bilder und Motive an Bilder aus der Zeit des Expressionismus erinnern, und das auf Woody Allens Stück „Tod“ basiert, das ebenso wie der Film stets als „kafkaesk“ bezeichnet wird. Aus Platzmangel möchte ich hier nicht näher auf die expressionistischen, kafkaesken Qualitäten der beiden Werke eingehen. Die automatisierte Folie (Eindrücke aus den 10er und 20er Jahren; Film und Literatur) und das Novum (veränderte Nutzung in neuem Zusammenhang) sind zweifellos erkennbar. Also neben einer deutlichen Intertextualität zeigen diese Beispiele auch die Verfremdung von bekannten Expressionismus-„Bildern“. Der Film ist auch daher interessant, dass er sich von der Atmosphäre her dem Expressionismus verschrieben hat, und das 1992 in den USA! Konstatiert in einer Liebesgeschichte der Held zu seiner Angebeteten „Es gibt mehr zwischen Himmel und Erde als Deine Schulweisheit sich träumen lässt, Hildegard“, so wird uns als Leser dieser Ausspruch möglicherweise stutzen lassen. Er mag die Situation der Geschichte gut zusammenfassen, darüber hinaus erinnern wir uns, dass Hamlet den selben Satz zu Horatio sagte, was uns möglicherweise in der Interpretation, dem Verständnis der Geschichte von Nutzen sein kann. Es wird hier ein deutlicher Bezug zu einem anderen anerkannten literarischen Text hergestellt. Intertextualität erfordert immer Vorbildung, d. h. wir müssen in diesem Fall Shakespeares „Hamlet“ kennen, um den Bezug zu erkennen.
Natürlich sind Zitate nicht die einzigen Möglichkeiten der Intertextualität, sie hinterlassen noch dazu meist einen plumpen Eindruck.Ein treffendes Beispiel sind „Die neuen Leiden des jungen Werther“ (1973) von Ulrich Plenzdorf, der die aktuelle Geschichte eines jungen Mannes erzählt, der Goethes Werther liest. Häufig beziehen sich Autoren auf Motive, Figuren, Sujets etc. anderer Werke.
Zum Beispiel ist es eine Auswirkung der Intertextualität, dass fast jede Liebesgeschichte mit Happy End ausgeht. Unsere Erwartungshaltung, die ja über Texte gebildet wurde, würde sonst enttäuscht.In dem Moment, wo einem Text ein Siegel (wie Liebesgeschichte) verpasst werden kann (entweder direkt als „Label“ oder indirekt als Leseeindruck), muss der Autor sich vergegenwärtigen, dass mit diesem Siegel bestimmte Erwartungen verbunden sind, die der Leser aus seinen bisherigen Leseerfahrungen gewonnen hat. Verschiedene Textgattungen oder Genres haben unterschiedliche „Standards“ ausgebildet, die vom Publikum erwartet werden: beispielsweise (transzendiertes) Happy End bei Liebesgeschichten, Sieg des Guten im Märchen, Rettung der fokalisierten Hauptfigur im Horrorroman. Welcher Autor will seine Leser enttäuschen? Wobei Intertextualität nicht mit Imitation und Plagiierung verwechselt werden darf. Zumal ein Autor ein eigenständiges Werk schaffen möchte.
Besonders „beliebt“ sind Motive aus der Bibel oder Verweise auf sie. Auch die zahlreichen verschiedenen Mythen der Menschheitsgeschichte sind gern genutzte „Intertexte“. In beiden Fällen sind die Folien so populär, dass das Vorwissen bei einem großen Teil der Leserschaft vorausgesetzt werden kann. Auf der anderen Seite sind diese Motive so weit verbreitet, dass der Autor sie möglicherweise unbewusst aufgreift, und der Leser einen Bezug herstellt, wo keiner angelegt war.
Fühlt sich der Leser beispielsweise an biblische Motive erinnert, die der Autor nicht bewusst einsetzte, stellt sich die Frage, wie er damit umgeht. Sucht er nach der Autorenintention, so wird er die Motive vernachlässigen müssen. Dennoch sind sie im Text enthalten und tragen möglicherweise zu einem prägenden Leseeindruck bei. Dieses kurze Gedankenspiel lässt die Suche nach der oft zitierten „Intention des Autors“ überflüssig erscheinen.Es wäre auch armselig, wenn sich heutige Leser nur darauf beschränkten, das in einem Text zu erkennen, was der Autor hineingelegt hat. Als einziger Beweis für eine Autorenintention können persönliche Äußerungen des Autors gelten, die jedoch oft nicht verfügbar sind. Zugespitzt formuliert: „Was aus einem Text nicht herauslesbar ist, ist auch nicht enthalten“ – egal was der Autor meint.
Konnotation
Von der Autofunktionalität führt der Weg schnell zu Inhaltsdebatten, wir arbeiten uns von Aspekten der reinen Form zu denen der inhaltsreichen Form vor. Konnotation ist eine assoziierte zusätzliche Wortbedeutung, im Sinne von Mehrdeutigkeit. Seit der Popularität der Fernsehserie „Eine schrecklich nette Familie“ wird eine als blond beschriebene Frau häufig mit naiv, frivol, dumm assoziiert, was verschiedene Autoren bewusst nutzen, andere (un)bewusst ignorieren. So nutzen Autoren nicht nur Klischees und Stereotypen wie Farben (z. B. Weiß für Unschuld, Rot für die Liebe und das Feuer also für Leidenschaft und Zerstörung), sondern greifen gezielt zu vielen Tricks, um den Text seiner Eindeutigkeit zu berauben. Umberto Eco wird von Wiemann zitiert: „Wenn ich einen Roman geschrieben habe, war es meine Aufgabe, Unbestimmtheiten zu inszenieren.“ Autoren produzieren also bewusst Mehrdeutigkeiten, oder auch unbewusst – ohne das Thema des „literarischen Genies“ hier weiter auszuführen.
Michail Bachtin verweist in seinen Theorien auf die unvermeidliche Intertextualität; jedes Werk tritt – bewusst oder unbewusst – in Dialog mit bestehenden Werken. Jedes Wort, jede Phrase trägt ihre einstigen Verwendungen als Konnotation in sich. Einige einstigen Verwendungen sind sehr stark (z. B. die von den Nazis propagierte „Endlösung“) und können daher nicht mehr unbefangen verwendet werden. Bei anderen hat sich die Bedeutung verschoben. „Arbeit“ bedeutete bis ins frühe 16. Jahrhundert „Müh, Drangsal, Not“, erst nach Luther erhielt es seine positive Bedeutung.
Nicht umsonst sagt man (und Eagleton in seinem Essay auch), dass jede Generation Literatur auf ihre eigene Weise wahrnimmt. Wie ginge das, wenn nicht potenziell mehr Bedeutungen in den Texten steckten, als jede Generation für sich entdeckte. Es gibt also kein richtig oder falsch in der Literatur, sondern alle Deutungen sind erlaubt, die sich nachweisen lassen. Da Konnotationen immer gesellschaftlich determiniert und nicht einfach willkürlich festgelegt sind, lassen auch sie sich belegen.
Inhalt
Neben der Form muss sich ein Autor auch mit dem Inhalt beschäftigen. Seine Aufgabe ist es, für einen Inhalt die Form zu finden, die diesen Inhalt am besten transportieren kann. Was immer man unter „am besten“ verstehen mag, hier ist wohl die Entscheidung des Autors ausschlaggebend. Was kann an dem Transportgut Inhalt so literarisch sein?
Kontext
Inhalt bezieht sich immer auf Kontext. Kontext ist all das, was nicht direkt in der gerade gelesenen Textpassage steht, also zusätzlich zum Text existiert. Jeder Text bezieht sich auf die (wirkliche oder imaginierte oder „gefühlte“) Realität. Somit steht jeder Text in einem Kontext, also in einem Zusammenhang, der in seiner minimalen Ausprägung für das Textverständnis notwendig ist (Wenn wir nicht wissen, was ein Telefon ist, können wir eine Telefongesprächspassage in einem Roman schwerlich verstehen, oder wenn uns die Funktion eines Königs unbekannt ist, haben wir Probleme, verschiedenen Märchen zu folgen)Oder, um Jean Paul Sartre zu zitieren: „Angenommen, [wir hätten] kommentarlos die alltäglichen Gespräche eines Ehepaars […], wir würden nichts verstehen: es fehlt der Kontext, das heißt die gemeinsamen Erinnerungen und die gemeinsamen Wahrnehmungen, die Situation des Paars und seine Unternehmen, kurz, die Welt, wie sie nach dem Wissen jedes Gesprächspartners dem andren erscheint.“ („Was ist Literatur“, S.56f.) D. h. der Autor sollte sich über das Wissen seines Lesers in etwa im Klaren sein. Das bedeutet wiederum, dass ein Autor sich der Existenz von Lesern (mitunter wähnt er sich selbst als einzigen Leser, aber dieser Fall wird hier vernachlässigt) bewusst ist. So wie kein Text ohne Leser zu Literatur werden kann, so kann keine Literatur ohne das Wissen um die Existenz von Lesern entstehen., während andere Kontexte nur zusätzliche Informationen liefern, das Verständnis also nicht ermöglichen sondern bereichern (z. B. dass in einem Goethewerk ein Dialog genau so begann).
Die Realität, die sich außerhalb der Sprache (wie z. B. das Telefon) befindet, nennt man extratextuell. Dazu braucht es ein Gegenstück: innertextuell, also innerhalb eines Textes. Fiktives Beispiel: „Und wieder einmal werden sich die Ereignisse der vergangenen Woche auf Susis Leben auswirken, wie wir gesehen haben und sehen werden.“ Dieser Satz bezieht sich ausschließlich auf die Ereignisse, die in dem Text, dem er entnommen sein könnte, vorher beschrieben wurden und die noch folgen werden. Auch die bereits erwähnte Beziehung zwischen mehreren Texten (mindestens einer bezieht sich auf mindestens einen anderen) gehört zu den Kontexten, intertextuell genannt.
All diese Kontexte lassen sich (mehr oder weniger) in einem literarischen Text nachweisen. Wobei besonders der intertextuelle Kontext als literarisch angesehen wird, wenn er geschickt eingebaut wird und sich auf anerkannte Werke (wie z. B. von Goethe, Shakespeare oder die Bibel) bezieht.
Warum liest man?
Warum beschäftigen wir uns mit all dem? Weil wir etwas erfahren wollen. Nehmen wir als Beispiel, ich wollte mich nicht über die Literatur sondern über das Mittelalter informieren.
Unterhaltung
Nehmen wir weiter an, als erstes lese ich einen vor kurzem verfassten Roman, der im Mittelalter spielt. Der Autor hat alle Fakten, das Sujet, die Lebensumstände genau recherchiert und in eine Handlung, die mich interessieren soll, eingebaut.Jeder Mensch besitzt eine bestimmte Perspektive, die er nicht verleugnen kann. Ein heute lebender Autor wird nie ein Werk über das Mittelalter aus der Perspektive des Mittelalters schreiben können, was für einen Mittelaltermenschen kein Problem und selbstverständlich ist. Man kann es noch so sehr versuchen, seine Perspektive wird ein Autor nie völlig verschwinden lassen können.
Das einzige mir bekannte Beispiel für das scheinbar genaue Einfühlen in eine vergangene Zeit ist ein Film: „Barry Lyndon“ (Regie: Stanley Kubrick; USA/GB 1974), der ein exaktes, detailgetreues und lebensechtes Bild des Lebens in der Zeit vor der Französischen Revolution versucht zu zeichnen. Aus heutiger Sicht ist er „hochinteressant und sterbenslangweilig“ und war – wenig überraschend – ein gigantischer Misserfolg. Problem dieses Beispiels: Um 1800 wurden weder Filme gedreht noch Fotos geschossen; die behauptete Nicht-Distanz entsteht also ebenfalls aus der Distanz. Dennoch erfahre ich keine authentische Geschichte und wenn doch, dann unter einem aktuellen Blickwinkel; wie auch immer, es wird dem Autor nicht möglich sein, mir außer Unterhaltung und Fakten auch das Mittelalter wiederzugeben. „Zwischen den Zeilen“ ist der Text aktuell, nicht mittelalterlich (indem er z. B. Bezüge zur heutigen Welt, Gesellschaft, Wertesystem, Entwicklungen herstellt).
Information direkt
Als nächstes schlage ich in Nachschlagewerken, Enzyklopädien etc. nach, lese einige Aufsätze zum Mittelalter usw. Hier bekomme ich die knallharten Fakten, mitunter auch unterhaltsam dargeboten. Aber das Mittelalter habe ich immer noch nicht verstanden. Nun wollte der Autor solcher Schriften im Normalfall auch nichts anderes, als mir die Fakten so aufbereitet zu präsentieren, dass sie für mich leicht konsumier- und verwertbar sind.
Information indirekt
Also lese ich zu guter Letzt ein Werk aus dem Mittelalter. Da bekomme ich nicht die Fakten wie bei direkter Information und nicht so viel Spannung bzw. eine so tolle Story wie bei Unterhaltung aber ein direktes Lebensgefühl dieser Zeit. Allerdings muss ich mir alles selbst aus dem Text herausdestillieren. Das bedeutet, ich merke höchstwahrscheinlich erst nach dem Lesen, was ich alles aus dem Werk mitgenommen habe, habe mitnehmen können. Ich habe nämlich durch den Text mehr als nur eine Story und Fakten erfahren können. Ich habe das Herzblut, das Leben, die Gefühle dieser Zeit spüren können.
Literatur kann nur in einem bestimmten Zusammenhang entstehen, nicht nachproduziert werden. Zur Entstehung des Expressionismus war eine ganz besondere Situation in der Gesellschaft notwendig.Ich höre schon den Einwand, dass man dieses „falsche“ expressionistische Werk wahrscheinlich nur an seiner Datierung erkennen kann. Ich vertrete jedoch die Auffassung, dass die Zeit in jedem Text „mitschwingt“. Der Satz „Mag er kommen“ kann z. B. als Aufforderung eines Königs direkt an jemanden näherzutreten (in einem älteren Text) verstanden werden. Heutzutage verstehen wir den Satz anders, etwa als Frage, ob jemand Lust hat zu kommen, der nicht direkt angesprochen wird. Es ist alles eine Frage der Perspektive. Verwendet heutzutage jemand diesen veralteten Sprachstil einen ganzen Text hindurch, wird er dennoch nicht die Aura der von ihm sprachlich evozierten Zeit einfangen können; er kann den Ausdruck in seinem eigenen Interesse nutzen, um sein Anliegen anschaulicher, ansprechender zu präsentieren, zu illustrieren. Auch das expressionistische Film-Beispiel „Shadows and Fog“ (1992) unterstreicht das. Nutzt er den expressionistischen Touch doch nur für seine eigenen Zwecke. Nicht vorher und nicht später gab es die Voraussetzungen (Kultur, Kunst, Literatur, Politik, Gesellschaft etc.) zur Bildung eines Expressionismus. Ein Autor kann heute diesen Stil imitieren, sich vom Expressionismus inspirieren lassen, trotzdem wird er kein expressionistisches Werk schreiben können, eben nur ein Imitat oder ein inspiriertes Werk. Das Herzblut, Lebensgefühl des Expressionismus fehlt ihm. Da „zwischen den Zeilen“ wesentlich mehr steht, als es sich der Autor (und häufig auch der Leser) bewusst ist oder gar bewusst sein kann, muss oder sollte Literatur stets abhängig von den Entstehungsumständen betrachtet werden.
Auch wenn Goethes „Faust“ oder Kafkas „Prozess“ zeitlose Themen haben, so konnten sie doch nur in ihrer jeweiligen spezifischen Situation so produziert werden, wie sie sich uns heute darstellen. Der „New Historicism“ setzte sich daher als Ziel, sämtliche (!) Umstände, die zur Entstehung eines Werkes beitrugen, zu erforschen. Hier genügt das Gedankenexperiment: Kafka hätte seine Komplexe um 1800 verarbeitet und Goethe seine Wissenschaftsphilosophie zwischen 1910 und 1920; was wären da wohl für Texte entstanden? Oder Goethe hätte den „Prozess“ und Kafka den „Faust“ geschrieben. Das sollte als Argument reichen, um die Abhängigkeit der Literatur von ihren jeweiligen Urhebern und Entstehungsumständen zu unterstreichen.
Das Mittelalterthema, mit Hilfe dessen wir uns durch die drei Idealfälle unterscheidbarer SchriftstückeWie Eagleton darlegt, sind Werke aus allen drei Bereichen im literarischen Kanon vertreten. Das sind also nicht ausschlaggebende Kriterien, aber wichtige Gedanken, die helfen sollen, einen Text und seinen Autor einordnen zu helfen. Zumal die meisten Werke mindestens eine weitere Kategorie streifen (Geschichtsschreibung sollte nicht nur informieren, sondern auch in gewissem Maße unterhalten, oder der bereits erwähnte Mittelalterroman wird nicht umhin kommen, Fakten aufzugreifen). – reine Unterhaltung [Schreiben für andere, für Leser], reine Information [Schreiben für andere und sich selbst, also für Informationssuchende], Herzblut-Texte [Schreiben für sich selbst, für die eigene Seele] – gehangelt haben, bringt uns zum nächsten Punkt.
Einzigartigkeit und Bedeutung
Wie viele Werke des Mittelalters sind uns noch erhalten? Nicht allzu viele. Daher gewinnt jedes einzelne Werk an besonderer Bedeutung, und wir werden es aufgrund dieser „äußeren Umstände“ als besonders wertvoll und wahrscheinlich sogar als literarisch erkennen. Nehmen wir den englischen „Beowulf“. Dies ist ein einzigartiges Literatur- und Kulturdenkmal des englischen Mittelalters, es ist das einzige größere Werk in altenglischer Sprache und dient daher ständig als Referenz (wie kein zweites Werk) in Sprach-, Kultur- und sonstigen Fragen. Eine ähnliche, aber nicht ganz so exponierte Stellung nimmt in der deutschen Literatur- und Kulturgeschichte das Nibelungenlied ein. Beiden Werken wird man aufgrund ihrer herausragenden Bedeutung, die sich eben in ihrem Status als Einzelwerke bestimmter Zeiträume äußert, schwerlich den Status „Literatur“ aberkennen können.
Das bedeutet, ich habe beim Lesen nicht so viel Spaß wie bei Unterhaltungsliteratur, nicht die klar aufbereiteten Fakten wie bei der Informationsliteratur, aber ich lese es trotzdem.Wenn auch mitunter nur, „weil man es gelesen haben muss“, eben wegen der Bedeutung, der Anerkennung, die diesem Text zuteil wurde; also nicht unbedingt wegen des Textes selber, sondern wegen äußerer Einflüsse. Denn jeder literarische Text (egal ob unterhaltend, informativ oder spürbar) spiegelt außer dem Geschilderten auch eine Menge Zeitkolorit, das Leben, das Herz dieser Zeit.
Nun gibt es zu jeder Zeit andere Ansichten darüber, welche Texte wertvoll, also literarisch sind, da spielt meine Betonung des Herzblutes keine Rolle. Wir lesen diese Werke häufig nicht vorrangig zur Unterhaltung oder um uns zu informieren, sondern meist aus Interesse, wir wollen sehen, was dieses bedeutende (sonst wäre es keine Literatur) Werk für uns sein kann. „Literatur ist, was zu einer bestimmten Zeit als angesehen gilt“, sagt Terry Eagleton (übersetzt und gekürzt von mir) und ergänzt, dass Literatur nur ein künstliches Konstrukt ist.
Wer legt das fest?
Wer legt nun fest, was angesehen ist, wer reguliert dieses künstliche Konstrukt? Folgen wir einmal fiktiv dem Werdegang von Kafkas „Der Prozess“ (erstmals erschienen 1925).
Der Autor
Franz Kafka fühlte sich durch einen inneren Antrieb dazu veranlasst, einen Text zu schreiben, seine Gedanken schriftlich festzuhalten. Das heißt also, er entschied sich, einen bestimmten Inhalt mit Hilfe einer bestimmten Form schriftlich festzuhalten. Er entscheidet als Autor, was wir als Leser möglicherweise später lesen können. Der Autor trifft also eine Auswahl.Das von James Monaco angeführte Gedicht in dem Kapitel über die Kunst (wobei man alles über die Kunst allgemein Gesagte auch auf die Literatur beziehen kann) seines Buches „Film verstehen“ halte ich für betrachtenswert in diesem Zusammenhang, da das Prinzip des Auswählens eine große Bedeutung hat: … Ich möchte dir etwas geben / das ich gemacht habe // einige Worte auf einer Seite – als ob /
ich sagte „Hier sind ein paar blaue Perlen“ // oder „ Hier ist ein leuchtendrotes Blatt, das ich auf der Straße
gefunden habe“ (denn // Finden ist Auswählen, und die Wahl wird getroffen … [aus Denise Levertov, „Here and Now“]. Kurz gesagt: Der von ihm ausgewählte Ausschnitt aus der Realität wird in sprachlicher Form fixiert. Bei der Fixierung spielen natürlich (unbewusst) die Methoden der Verfremdung sowie die anderen bereits genannten literarischen Verfahrensweisen (Autofunktionalität, Konnotation) eine große Rolle.
Der Verlag
Nachdem der Text geschrieben wurde, muss sich der Autor entscheiden, ob der Text anderen zugänglich gemacht werden soll. Seit Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks (Gutenberg-Bibel, gedruckt 1451) wird er sich an einen Verlag wenden.Davor kann man nicht von Verlagswesen sprechen, bedeutende Werke wurden bei Bedarf von Hand kopiert. Unabhängig von der dadurch bedingten geringen Verbreitung des Textes sollte der geringe Alphabetisierungsgrad der Bevölkerung bedacht werden. Das Problem der mündlichen im Unterschied zur schriftlichen Fixierung und Tradierung von Texten kann aus Platzgründen hier nicht weiter erörtert werden. Dieser entscheidet, ob der Text druckens-(also verbreitens-)wert ist. Er trifft dabei sowohl ökonomische Abschätzungen (z. B. Wird der Text voraussichtlich genügend Leser finden, um die Kosten der Produktion einzuspielen?) wie auch politische (z. B. Wem könnte dieser Text missfallen, könnte mir als Verlag die Veröffentlichung schaden?).Nicht immer und für alle Werke können diese Entscheidungen so schlicht begründet werden. Es gibt Verlage, die verschiedene Texte aus Überzeugung unabhängig von allen Erwägungen drucken: politische Einstellung; Klassiker, die zugänglich sein sollten etc.
Nachdem in einem Verlag (durch den Verleger, unterstützt von Lektoren) eine Entscheidung getroffen wurde, ob der Text veröffentlicht wird, steht die Frage der Auflage, die zumeist rein ökonomisch entschieden wird. Verlage entscheiden also, was in welchem Umfang verbreitet wird und sorgen für eine Verbreitung des Textes.
Im Jahre 1925, ein Jahr nach Kafkas Tod (der bereits zu Lebzeiten einige wenige Erzählungen veröffentlicht hatte), wurde „Der Prozess“ veröffentlicht, nachdem sich Max Brod gegen die in Kafkas Testament verfügte Zerstörung jedweden Manuskripts verweigert hatte. Was den Verleger bewogen hat, kann ich nicht sagen. Für viel wichtiger halte ich, dass Brod sich dem Autorwunsch der Textvernichtung widersetzte, also eine erneute Auswahl traf, in dem Glauben, dass dieser Text verbreitenswert ist.
Die Literaturkritik
Nicht jeder Leser kann alles lesen. Er wird eine Auswahl aus dem reichhaltigen Angebot treffen müssen. Unterstützt wird er bei dieser Entscheidung durch Marketingstrategien der Verlage sowie durch die Meinung anderer. Ein Personenkreis, der viele Leser erreicht und dessen Urteil in Literaturfragen als professionell bezeichnet werden kann, ist die Literaturkritik, zu finden in Zeitungen, Zeitschriften, Hörfunk, TV.Auf die Streitfrage über die Professionalität und Objektivität kann hier nicht weiter eingegangen werden.
Diese angesehene Meinungsbildung setzt sich mit dem Text auseinander, äußert sich dazu und spricht eventuell eine Empfehlung aus. Sie sorgt für Akzeptanz, Bekanntmachung des Textes. Natürlich haben sich die Kriterien bezüglich der Bewertung von (literarischen) Texten im Laufe der Geschichte mehrfach geändert. Die wesentlichsten Strömungen sollen hier kurz vorgestellt werden. Die Betonung der Form wird als nicht-pragmatischer Diskurs bezeichnet, während sich der pragmatische Diskurs auf den Inhalt bezieht, der Text z. B. konkrete Handlungsanweisungen oder Handlungsmuster enthält.
Inhaltzentral
Hierunter zähle ich die Bürgerliche Literaturkritik mit den verschiedenen Ansätzen: psychologisch, biografisch, soziologisch, politisch, etc. Sie war die vorherrschende Lesart bis zum Ende des 19. Jahrhunderts und sah den Autor als Repräsentant für Geistesgröße.Eine Parodie legt die Mechanismen und Manierismen offen. Ich zitiere den Anfang von „Die Metterling-Listen“ von Woody Allen: Der Verlag Feil und Söhne hat endlich den lang erwarteten ersten Band der Wäschelisten Metterlings (Die gesammelten Wäschelisten Hans Metterlings, Band I, 437 Seiten, XXXII Seiten Einleitung, Register, DM 39,50) mit dem fundierten Kommentar des bekannten Metterling-Schülers Günther Eisenbud veröffentlicht. Die Entscheidung, dieses Werk getrennt und vor Abschluss des gewaltigen vierbändigen Œuvres herauszubringen, ist so erfreulich wie vernünftig, wird doch dieses eigensinnige und schillernde Buch im Nu die ekelhaften Gerüchte aus der Welt schaffen, Feil und Söhne wollten, nachdem sie mit den Romanen, dem Theaterstück und den Notizen, Tagebüchern und Briefen Metterlings guten Gewinn gemacht hätten, bloß versuchen, weiter Gold aus derselben Ader zu schlagen. Wie unrecht diese Intriganten hatten! Fürwahr, schon die erste Wäscheliste Metterlings // Liste Nr. 1 // 6 Unterhosen / 4 Unterhemden / 6 Paar blaue Socken / 4 blaue Oberhemden / 2 weiße Oberhemden / 6 Taschentücher / Bitte nicht stärken! // macht uns auf vollkommene, geradezu totale Weise mit diesem geplagten Genie bekannt, das seinen Zeitgenossen als der „Irre von Prag“ ein Begriff war. Die Liste wurde lose skizziert, als Metterling an den Bekenntnissen eines monströsen Käses schrieb, jenem Werk von überwältigender philosophischer Bedeutung, in dem er nicht nur nachwies, dass Kant sich über das Universum geirrt hatte, sondern dass er sich im Restaurant auch immer um die Rechnung drückte. […] Sie betrachtete Texte im Zusammenhang mit dem Autor und der Entstehung.
So legte sie z. B. Kafkas Komplexe (z. B. der Vaterkomplex), die schon früh in seinem Leben erahnbar waren,Die Erzieherin seiner drei Schwestern, Anna Pouzarovà, schilderte 1963 ihre Eindrücke vom jungen Kafka, die 1995 in Deutschland veröffentlicht wurden. anhand seiner Texte und seiner Biografie dar. So wie Kafkas Werk unter dem Blick des psychologisch geschulten Lesers/Literaturkritikers stets eine faszinierende Fallstudie darstellt. Grundsätzlich ist jeder Leser auch ein Literaturkritiker, was ihn von den professionellen unterscheidet, ist seine Zurückhaltung, er tritt mit seinen Erkenntnissen nicht an die Öffentlichkeit. Dennoch wird auch er sich eine Meinung zu einem Text bilden, die von seiner Bildung und seinen Leseerfahrungen geprägt ist.
Die Grenzen dieser Literaturkritik sind erreicht, wenn der Autor unbekannt ist (Beowulf, Nibelungenlied), die Autorenfrage ungeklärt ist (Shakespeare) oder wir kaum etwas über ihn persönlich wissen, außer aus seinen Texten (zahlreiche antike Autoren). Die zahllosen Beispiele von wilden Spekulationen, von denen die Shakespeare-Biografien, die aus den Texten Rückschlüsse auf den Autor ziehen und aus diesen Rückschlüssen Schlussfolgerungen über die Texte anstellen, führen diese Art des Textverständnisses ad absurdum. Zur Lektüre empfohlen ist Mark Twains Versuch einer Skakespeare-Biografie, „Is Shakespeare Dead“ in „My Autobiogaphy“.
Formzentral
Geradezu revolutionär war die Bewegung, die sich in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts in Russland herausbildete, die man allgemein als Formalismus bezeichnet; ihre bedeutendsten Vertreter waren Viktor Sklovskij, Roman Jakobson und Jurij Tynjanov. Sie leugnete die Bedeutung des Inhaltes für den Text und sah ihn nur als Kombination aus Worten und Struktur. Terry Eagleton hat die extrem einseitige und daher nicht haltbare Position der Konzentration auf die Form bereits ausführlich demontiert. Dennoch lieferte sie wertvolle Anregungen und Inspirationen für die folgenden Generationen.Das zitierte Lied „Zwei alte Tanten tanzen Tango“ veranschaulicht die Betonung des Formalistischen durch das ausgeprägte Interesse an sprachlichen und klanglichen Spielen, denen sich der Inhalt unterordnet und daher schwer fassbar bleibt. Auch Kafkas Schaffen blieb von ihr nicht verschont und lieferte interessante Aspekte, die das Besondere und psychologisch Interessante in seinem Werk noch bestätigten.
Leserzentral
In den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts kam eine leserzentrale Kritikerbewegung auf. Ihrer Meinung nach lag die Entscheidung, ob etwas Literatur sei oder nicht, ausschließlich beim Leser. Diese Position kulminierte im Poststrukturalismus, der forderte, dass ein Text ohne jegliche Kontextinformationen (also ohne Kenntnis des Autors, der Entstehungszeit, der Entstehungsumstände etc.) gelesen werden sollte.
Das bedeutete, dass jeder „Prozess“-Leser selbst bestimmt, ob dieser Text wertvoll ist oder nicht. Die Existenz des vorhandenen gesellschaftlichen Konsens wurde ignoriert. Auch wurden der Leser und sein Leseverhalten, seine Reaktionen auf Texte zum Studienobjekt.
Umfeldzentral
Die sozialistische Literaturkritik sah einen Text nur eingebettet in sozialen Kontext, also in seiner Bedeutung für die Gesellschaft. Jeder Text sollte von der Gesellschaft und für die Gesellschaft sein. In der DDR wurde beispielsweise der „schreibende Arbeiter“ proklamiert, die Werke waren häufig im Arbeiteralltag angesiedelt. Kafkas Judentum und seine daraus resultierende Ausgrenzung sowie sein Nicht-Klarkommen mit der Gesellschaft sind für die sozialistische Literaturwissenschaft wesentlich. Der „New Historicism“ (begründet von Stephen Greenblatt) geht sogar noch weiter und will sämtliche Aspekte, die ein Werk in seiner Entstehung beeinflusst haben, berücksichtigen.
Der Ansatz, Texte nur in ihrer Bedeutung für die Gesellschaft zu betrachten, wird heutzutage kaum noch verfolgt. Vielmehr sehen wir uns mit einer Mischung aus den drei zuvor genannten konfrontiert. Doch wie bereits erwähnt, unterliegt die Einschätzung von Literatur einem steten Wandel, was heute nicht gilt, kann morgen schon Normalität sein. Literatur und Literaturbewertungen sind nur, was in konkreten Umständen als angesehen gilt.Ein drastisches Beispiel für die radikale und kurzfristige Neubewertung von Literatur stellt die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland dar: Eine große Menge an literarischen Texten wurde vernichtet, da sie nicht den Vorstellungen der Machtinhaber von Literatur entsprachen. Hier hatte die Politik eine unmittelbare und spürbare Auswirkung auf die literarische Landschaft.
Anfangs beinahe ignoriert, wurde Kafkas Werk in den 1950er Jahren (mit Zentrum USA) und dann ab den 1970ern zunehmend von der Literaturkritik gewürdigt. Erst lange nach seinem Tod, erhielt sein Werk die Beachtung, die es (auch meiner Meinung nach) verdient. Noch längst ist nicht alles dazu gesagt worden. Veränderte Literaturkritiken führten hier zu starken Schwankungen in der Bedeutung.
textbezogen | autorbezogen | gesellschaftsbezogen |
---|---|---|
Genre | Geschlecht | Philosophie |
Leser | Sexualität | Wissenschaft |
Kritik | Religion, Glaube | Medien |
Feedback | Ausbildung | Markt |
Kanon | Erziehung | Vertrieb |
Konventionen | Klasse | Tabus/Zensur |
Sprache | Ruf/Ruhm | Rituale |
Druck(möglichkeiten) | Moral | Religion |
Die Auswahl ist nicht sortiert und veranschaulicht lediglich die Vielzahl an Gebieten, die bei einer Analyse gemäß dem „New Historicism“ zu berücksichtigen wäre. Auch ist die Einteilung in die drei Kategorien nur als Denkhilfe gedacht. Im Zentrum dieses Begriffsfeldes würden „Text“ und „Autor“ stehen, um die sich die Begriffe je nach Einflussstärke näher oder weiter anordnen.
Die Politik
Lehrpläne, Lehrer, Kommissionen, Bibliotheken – die wichtigsten Pfeiler für die Tradierung von Literatur. Wer kennt Werke von Kafka? Weit über 50 Prozent der Deutschen dürfte keine unrealistische Schätzung sein. Wer würde sie kennen, wenn sein Name, seine Werke aus dem Schulunterricht verschwinden würden? Bildung ist in Deutschland Staatsmonopol; durch die Ausbildung der LehrerAuch die Universität hat als Ausbildungsstätte künftiger Meinungsbildender für Literatur (Lehrer, Dozent, Lektor, Kritiker etc.) eine wichtige Aufgabe bei der Vermittlung von Literatur, da die dort Ausgebildeten das Literaturbild der Zukunft wesentlich mitgestalten, mitbestimmen., die Aufstellung der Lehrpläne durch Kommissionen, die Wirkungsmöglichkeiten von Bibliotheken (ebenfalls Staatsmonopol) hat der Staat direkten Einfluss auf das Bild von Literatur, das den Menschen, das der nächsten Generation vermittelt wird.
Literatur entsteht also durch Auswahl. Der Autor wählt einen Ausschnitt aus der Realität. Der Verlag wählt aus den Texten von Autoren. Die Literaturkritik wählt aus dem Angebot, das die Verlage offerieren. Der Leser wählt aus den Empfehlungen der Literaturkritik sowie dem Angebot der Verlage. Und die Politik wählt aus, was sie will (in Berücksichtigung der Einschätzung von Literaturkritikern und Lesern).Dass hierbei mitunter literaturferne Kriterien wie Wohlgesonnenheit der Person des Autors eine Rolle spielen, braucht nicht weiter erläutert zu werden.
Der kommerzielle Einfluss ist für den wahren Literaturfreund schmerzlich, er darf aber nicht außer Acht gelassen werden, wenn man sich dem Phänomen der Literatur nähern möchte. Denn gerade aus früheren Zeiten sind oft nur die erfolgreichen Texte erhalten, da diese mehr vervielfältigt wurden und somit höhere Chancen hatten, für uns erhalten zu werden. Somit kann der Erfolg eines „mittelmäßigen“ Textes zur Aufnahme in den Kanon führen.Nur was jeweils als bedeutend, wichtig, anerkennenswert angesehen wird, wird ausgewählt. Oder: was kommerziellen Erfolg verspricht.
Literatur ist ein Konstrukt: Kanon
Doch woher weiß man nun, was Literatur ist, nachdem die ganzen Faktoren, die zu ihrer Bildung beitragen, (zumindest ansatzweise) beleuchtet wurden? Man sieht im Kanon nach. Mit dieser Einrichtung hat es sich die Menschheit, die leidige Frage nach der Literatur zu beantworten, leicht gemacht, denn alle wichtigen oder bedeutenden Werke sind darin verzeichnet, oder wie es die Brockhaus Enzyklopädie sagt, ist er „eine Liste der für den Literaturunterricht als mustergültig angesehenen Werke“. Dieser Kanon ist nicht nur ständigen Schwankungen unterworfen; keiner kann sagen, ob Kafka in 200 Jahren noch die gleiche Bedeutung beigemessen wird wie heute. Er ist auch das einzig Verbindliche zur Literatur auf dem weiten Feld der vorhandenen Texte. Wobei das „Verbindliche“ auch ständigen Neubewertungen und Änderungen unterworfen ist.
Letztendlich …
… lassen sich drei wichtige Faktoren für die Literatur erkennen:
Der Inhalt kann sich auf extra-, inter-, innertextuelle Kontexte beziehen, er ist ganz der Auswahl des Autors unterworfen.
Die Form benötigt der Autor, um seinen Inhalt zu (ver)klei\-den. Er greift u. a. auf die literarischen Verfahrensweisen (Verfremdung, Autofunktionalität, Konnotation) zurück; in jedem Fall fixiert er einen Ausschnitt (Inhalt) aus der Wirklichkeit in schriftlicher Form.
Die Anerkennung erfährt ein Text aufgrund seiner besonderen Beschaffenheit (Form), seiner Aussagen (Inhalt) und einer angemessenen Verbindung der beiden Elemente. Die Kriterien, was anerkennenswert ist, haben sich vielfach in der Geschichte geändert und werden es auch in Zukunft.Eine Bemerkung zur Zeit: Auch wenn ein Text und sein Autor angesehen sind, so werden sie vorerst nur in den Kanon „der als bedeutend angesehenen Dinge“ aufgenommen. Nach mindestens einer Generation (wenn persönliche Interessen an der Person des Autors kaum mehr eine Rolle spielen) kann der Text in den Kanon „der Literatur“ aufgenommen werden, also erst, wenn er es geschafft hat, ohne seinen Schöpfer aus sich selbst heraus „zu überleben“. Der Faktor Zeit ist bei der Abschätzung der Bedeutung eines jeden Kulturguts, und ein solches ist Literatur, ein wichtiges Element, betrachtet man doch dann alles „im Rückblick“, also „aus einer anderen Perspektive“, ist also eher befähigt, das Besondere und die Bedeutung zu erkennen.
Somit existiert „Literatur“ nur als künstliches Konstrukt, man könnte sagen „als Denkhilfe“ und wird in der Literaturwissenschaft als synonym für die in den Kanon aufgenommenen Texte verwendet.
Quellen
Kafka, Franz, Sämtliche Werke, Frankfurt am Main, 1970
Kafka, Franz, Der Prozeß, Frankfurt am Main, 1994
Pouzarovà, Anna, Als Kafka mir entgegenkam, Auszug als „Franz auf dem Strohsack. Die Erzieherin Anna Pouzarovà erinnert sich an den Schriftsteller Kafka und seine Familie“, in Der Spiegel, 42/1995, S. 248-250
Eagleton, Terry, Introduction: What is Literature, aus „Literary Theory. An Introduction“, Oxford, 1983, S. 1-16
Monaco, James, Film verstehen. Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Films und der Medien. Mit einer Einführung in Multimedia, Reinbek bei Hamburg, 1995
Sartre, Jean-Paul, Was ist Literatur?, Hamburg, 1981
Schmitt, W. Christian, Vor dem Ende der Lesekultur, Basel, 1990
Seesslen, Georg und Fernand Jung, Stanley Kubrick und seine Filme, Marburg, 1999
Wiemann, Volker, Einige Grundbegriffe der Textanalyse, aus Eicher / Wiemann „Arbeitsbuch Literaturwissenschaft“, Paderborn, 1996, S.13-28
Brockhaus Enzyklopädie in 24 Bänden, 1990
Großes Fremdwörterbuch, Leipzig, 1977, S. 444
Meyers Großes Handlexikon, Mannheim, 1996, S.537
Langenscheidts Taschenwörterbuch Lateinisch-Deutsch, Berchtesgaden, 1993, S.313
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