Gerade zum ersten Mal seit Jahren eine Talkshow geschaut – bis zum unwürdigen Ende. Einig waren sich alle: Es wäre durchaus wünschenswert, wenn Christian Wulff die Größe hätte, als Bundespräsident zurückzutreten. Aber an dieser Sendung zeigt sich auch gut, wie eine gute Talkshow funktionieren kann, und warum ich solche Sendungen meist verabscheue.
Markus Lanz gab den Moderator. Halb gut … halb störend. Gut war er, wenn er Beispiele einforderte oder lange nicht beteiligte Gesprächsteilnehmer mit passenden Fragen integrierte. Gut war er auch, weil er meist alle ausreden und in kurze Dialoge treten ließ. Störend waren bemühte Fragenkonstrukte, die auf Teufel komm raus noch andere Aspekte thematisieren wollten oder der bemühte Wunsch, eine Kontroverse zu erzeugen … und seine Sprache. Die changiert seltsam zwischen eindringlich und kuschelig, will irgendwie beides zugleich. Der Inhalt einer Frage und deren Betonung passten selten zusammen; wenn er eine Bestätigung oder ein Beispiel möchte, braucht er keinen forschenden Unterton, sondern kann nett, höflich fragen. Ironischerweise erinnert mich sein Tonfall an die „Switch“-Parodie von Beckmann.
Gut war die Besetzung mit einem Lobbyisten, einem Politikberater, einem Kabarettisten, einer Politikerin und Heiner Lauterbach. Ich hoffe allerdings, dass Heide Simonis nicht nur die Frauenquote erfüllen musste. Schön war an der Sendung, dass es um ein Thema ging und dieses von möglichst verschiedenen Standpunkten beleuchtet wurde. Es ging nicht darum, eine Kontroverse oder ein Streitgespräch anzuzetteln. Und das war einfach angenehm. Denn einig waren sich alle: Wulff hat Mist gebaut.
Der Wirtschaftslobbyist Jürgen Abraham brachte es auf den Punkt: In jedem Unternehmen wäre das der Anlass für eine fristlose Kündigung. Auch sonst hatte er interessante Aspekte der Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft. Politikberater Michael Spreng analysierte die Beziehung zwischen Politik und Medien, Kabarettist Mathias Richling beschrieb die Beziehung zwischen der Bevölkerung und dem Bundespräsidenten und Heide Simonis setzte sich mit der Bedeutung des Bundespräsidenten innerhalb der Politik auseinander.
Lauterbach war offenbar nur aus zwei Gründen eingeladen. Erstens hatte er irgendwie mal gesagt, dass er es zu kleinkariert findet, wie mit Politikern umgegangen wird. Aber da er Wulffs Glaubwürdigkeit ebenfalls beschädigt sieht, ergab sich daraus keine Kontroverse (ätsch;-). Zweitens läuft am Donnerstag ein neuer Film mit ihm an, was der Sendung mit dem angeklebten Werbegespräch ein unwürdiges Ende verschaffte (auch wenn der Film einige interessante Fragen aufzuwerfen scheint).
Freundschaften zwischen Politik, Medien und Wirtschaft sind offenbar gar nicht Wulffs Problem, denn diese gehören zum Alltag und sind auch lebensnotwendig für alle. Problematisch sind gewährte oder beanspruchte Vorteile, wenn Freundschaften von einem Bereich auf den anderen übergreifen oder der Verdacht entsteht, dass dies geschehen könnte. Wenn Christian Wulff einen privaten Freund (Geerkens) mit auf eine Reise nimmt, dann muss er dafür einen anderen potenziellen Mitreisekandidaten zu Hause lassen – dieser hätte aber für den Reisezweck (wirtschaftliche oder politische Ziele) einen Vorteil bringen können. Damit bewirkt ein privater Vorteil einen Schaden für alle anderen, und zwar unabhängig davon, ob der mitreisende private Freund seine Kosten selbst trägt. Dann wäre die ganze Affäre keine, denn private Angelegenheiten kann man erklären, und damit hat es sich. Die Tatsache, wie Christian Wulff sich und sein Tun erklärt, lässt aber vermuten, dass es sich nicht mehr um private Angelegenheiten handelt, sondern dass der private Bereich mit dem politischen und wirtschaftlichen verbandelt sind. Wenn nämlich Christian Wulff einen befreundeten Manager (also keinen rein privaten Freund) mit auf eine solche Reise nimmt, dann sind die Grenzen ganz sicher mehr als verschwommen, wenn ihm ein solcher Mitreisender später ein Privatdarlehen gewährt. Unabhängig davon, ob die Frau als Strohmann hinhalten muss; bzw. dann hätte Wulff auch so klug sein können, seine Bettina ebenfalls als Strohmann hinzustellen, dann hätte er jetzt den tadelnd blickenden Ehemann geben können …
Doch wie Spreng analysierte, ist Christian Wulff nicht nur unfähig, die verschiedenen Freundschaftsbereiche (privat und dienstlich: Politik und Wirtschaft) auseinanderzuhalten, sondern verwechselte nun auch noch Freunde und Zweckfreundschaften. Die Bild-„Zeitung“ (bzw. deren Redakteure und Herausgeber) sind sicherlich nicht Wulffs persönliche Freunde, auch wenn sie einander freundlich begegnen. Die Bild-„Zeitung“ lässt lieber einen Freund fallen als eine gute Geschichte. Diese Dämlichkeit, wie sie sich in den Telefonanrufen äußerte, lässt keinen anderen Schluss zu als dass Christian Wulff nicht die nötige Reife für das Amt besitzt. Zumal er die beste Option, nämlich die Flucht nach vorn zu Anfang der Affäre, nicht mal im Ansatz nutzte und scheinbar ein noch schlechteres Krisenmanagement hat als ein gewisser Freiherr von Guttenberg (der überraschenderweise nur in einem Nebensatz Erwähnung fand). Spreng setzte noch eins drauf: Seiner Beobachtung nach sind die meisten Politiker nicht über Affären oder Krisen gestolpert, sondern über ihr eigenes Krisenmanagement.
Heide Simonis betonte die Bedeutung des Bundespräsidenten für die Politik, die Verantwortung, die notwendige Würde und den gebotenen Respekt. Sie ist auf eine menschlich-politische Weise enttäuscht vom jetzigen Amtsinhaber.
Es war jedenfalls sehr schön, wie mehr als eine Stunde lang Argumente und Aspekte besprochen und von mehreren Seiten beleuchtet wurden. Eben weil es nicht darum ging, einen Konsens zu erzeugen, ein Streitgespräch zu führen oder Meinungsfloskeln aufeinanderzujagen. Es gab auch keine nervigen Einspielfilme, die abgearbeitet werden mussten. Im Prinzip ging es nicht um Meinungskollision, sondern um Argumenteaustausch und Einschätzungen. Herrlich unaufgeregt.
Ich befürchte nur, in ihrer Meinung über Christian Wulff sind sich die meisten so einig, dass die Talkshows ganz schnell wieder kontroverse Themen besprechen und Meinungsbrocken gegeneinanderprallen lassen müssen. Andererseits waren sich die Talkshowgäste auch so einig, dass Wulff das jetzt aussitzen will (und wird), dass wir wohl noch dreieinhalb Jahre lang diesen Blindflieger ertragen müssen.
Meine persönliche Meinung, dass Christian Wulff gern zurücktreten darf (ich hätte sowieso um Längen lieber Norbert Lammert als Bundespräsident gehabt), wurde durch die Sendung um ein paar Argumente erweitert:
- Während alle anderen Politiker Fehler mit Entscheidungen (oder Taten) wieder ausgleichen können, kann der Bundespräsident eigentlich nur mit seiner Glaubwürdigkeit arbeiten – fehlt ihm diese, kann er sein Amt nicht würdig (und richtig) ausfüllen.
- Der Bundespräsident ist das oberste Amt im Staat und hat eine Kontrollfunktion über alle anderen (verkürzt!). Alles, was er künftig sagt und tut, wird mit diesem Kontext der Affäre aufgeladen sein. Echte Unabhängigkeit, wie sie geboten ist, sieht anders aus.
- Merkel hat, indem sie Wulff als potenziellen Kanzlerkandidaten ausschaltete, das Amt nachhaltig geschädigt, denn der Schatten von Wulffs Amtszeit wird über seinen Nachfolgern schweben. Mit ihrer Machterhaltungs- und Personalpolitik beschädigt Merkel langfristig die gesamte Regierung bzw. deren Ansehen in der Bevölkerung.
- Dass sich die Parteien mit Rücktrittsforderungen zurückhalten, ist eher taktisch begründet.
- Wenn Wulff nach anderthalb Jahren noch nicht die persönliche Integrität besitzt, das Amt würdig auszufüllen, dann hat er dort nichts zu suchen. Ein Politiker sollte nicht nur wissen, was er kann – sondern auch, was er nicht kann. Es gibt keine „Lehrzeit“ für Bundespräsidenten!
- Das Peter-Prinzip sollte nicht unbedingt auch in diesem Amt gelten.
- Die oft zitierte Jahresrente für ehemalige Bundespräsidenten bezeugt die Würde und Bedeutung des Amtes: Es soll für ehemalige Bundespräsidenten nicht nötig sein, nach ihrer Amtszeit eine Karriere anzustreben; denn Bundespräsident ist das höchste Amt, das es in Deutschland gibt – danach kommt nichts mehr. Die Jahresrente ist dem Amt und der Funktion angemessen, aber nicht dem jetzigen Amtsinhaber.
- Es gibt so viele Beispiele, wie Christian Wulff Forderungen formulierte, die er jetzt selbst missachtet; das aktuellste ist die im TV-Interview angekündigte Offenlegung aller Aspekte, die dann von seinen Anwälten in einer zusammenfassenden Darstellung erledigt wurde.
Offenbar ist Christian Wulff einfach nicht bewusst, was es bedeutet, Bundespräsident zu sein. Im Gegensatz zum US-Präsidenten hat ein deutscher Bundespräsident nun mal nicht so viel zu tun. Dafür ist er moralische Instanz, politisches Korrektiv, Mahner, oberster Repräsentant und Staatsoberhaupt. Niemand möchte einen Täuscher, Parvenü, Taschenspieler, Selbstnutz, Machtgenießer, Narziss und unreifen, uneinsichtigen Lehrling als Repräsentanten haben … also jedenfalls niemand, den ich kenne. Das einzig blöde ist, dass man ihn nicht loswird, sondern auf seine Einsicht hoffen muss. Doch diese Hoffnung ist wohl vergeblich, denn dafür ist Christian Wulff viel zu gern Bundespräsident.
Am 9. Januar trat der Chef der Schweizerischen Notenbank zurück: „Es besteht nun die Gefahr, dass ich als Folge dieser bedauerlichen Angelegenheit möglicherweise für eine gewisse Zeit nicht mehr in der Lage sein könnte, schwierige Entscheide zu treffen und sie kraftvoll und erfolgreich umzusetzen, so wie das in der Vergangenheit der Fall war. Im Bewusstsein der aktuellen Schwierigkeiten, denen wir als Land gegenüber stehen, und angesichts meiner Verantwortung für das Amt und für die Institution Schweizerische Nationalbank habe ich mich entschlossen, mein Amt per sofort zur Verfügung zu stellen.“
Man bräuchte nur wenige Worte zu ändern …
Meta-Überlegung
So wie meine Blogtexte eigentlich immer darunter leiden, dass ich zu viele verschiedene Gedanken in einen halbwegs kohärenten Text kippen will, so leiden die meisten Talkshows darunter, dass sie ein Thema möglichst allumfassend erschlagen wollen. Ich könnte ja einfach meine Texte besser planen und sauberer strukturieren und nicht jeder Versuchung zu einer Abschweifung – wie sie ja auch Hildegunst von Mythenmetz teilweise zur Unzeit und zur völligen Entnervung seiner Leser betreibt – oder zu einer Relativierung – derer es ja oft gar nicht bedarf – nachgeben. (Ich mag solchen Meta-Humor! ;-) Aber ich bin ja nur ein einzelner Blog-Schreiber. An einer Talkshow arbeiten mindestens drei Leute mehr mit. Können die sich nicht im Vorfeld auf einen klaren Themenfokus einigen, die Gesprächsgäste gut aufeinander abstimmen und einfach mal Inhalte wichtiger sein lassen als den Krawallfaktor? Jedenfalls gehen mir solche Talkshows (mit denen das öffentlich-rechtliche Fernsehen – also das auch von mir bezahlte – zunehmend bestückt wird) dermaßen auf den Keks, dass ich eine halbwegs aushaltbare Talkshow-Sendung bereits als gelungen an/sehe.
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