Die Bild-»Zeitung« penetriert mit ihrer Plakatwerbung die Hauptstadt, und man kommt nicht umhin, sie wahrzunehmen. Irgendwelche Prominente – die Auswahl ist erlesen beliebig, Hauptsache prominent – erklären, warum sie Bild fürchten.
Auf den ersten Blick scheint eine solche Kampagne irgendwie mutig und selbstbewusst. Aber schon mit Philip Lahm im Kinospot, der erklärte, dass Bild eine »wichtige Zeitung« sei, »weil ich sie jeden Morgen lese« entlarvte sich der Nullgehalt der Aussagekraft. Zwar waren zwischen Lahms beide Aussagen andere VIP-Statements geschnitten, sodass der Zirkelbezug nicht so sehr auffiel, aber alle lobten einerseits die Bild-»Zeitung«, äußerten aber auch eine ängstlichen Respekt vor ihrer Macht oder behaupteten Plattitüden wie »Bild rockt« (irgendeine Sängerin).
Auf den zweiten Blick geschieht aber etwas ganz anderes. Jedem Betrachter, der nicht von einer Ziegelladung oder einem herabstürzenden Klavier getroffen wurde, ist die Inszenierung bewusst. So wie jeder weiß, dass im Spielfilm niemand wirklich stirbt, so erkennt jeder, dass all die Sprüche mindestens ein bisschen auf den Effekt hin inszeniert sind. Welcher Effekt tritt – meiner Einschätzung nach – durch die Sprüche ein? Welche Wirkungen versucht die Kampagne zu erreichen?
Bild ist hip (viele Prominente, die auch Jüngere ansprechen).
Bild bietet jedem etwas (Prominente für alle Altersklassen).
Bild hat keinen Respekt vor Prominenz und vor niemandem.
Bild schreibt, was andere sich nicht trauen.
»Man kann nicht mit ihr – aber es geht auch nicht ohne sie« (behauptet Carmen Nebel), »es ist ein Pakt mit dem Teufel« (eine andere Prominente, deren Namen mir immer entfällt). Die Frage ist aber: Wieso sollte Carmen Nebel weder ohne noch mit Bild irgendetwas können (bzw. was?). Wer schließt den Pakt mit dem Teufel?
Bild präsentiert sich als Brachialversion von Bunte und Gala. Weder politische noch gesellschaftlich relevante Themen werden auch nur ansatzweise angesprochen. Nur die Machart und die Unverfrorenheit. Ich persönlich halte Promi-Skandale für Pseudo-Nachrichten. Aber echte Nachrichten lesen immer mehr Menschen im Internet; die Zeitung (und zwar jede!) verliert an Relevanz für die Alltagsinformation. Die Kampagne begleitet offenbar einen Imagewandel.
Denn das Bizarre ist doch, dass Promis die Bild-»Zeitung« einerseits fürchten, sich andererseits aber auch auf sie einlassen (außer Judith Holofernes von »Wir sind Helden«; ihren letzten zwei Absätzen schließe ich mich vorbehaltlos an). Auf der einen Seite gibt sich Bild gegenüber den Prominenten also kuschelig (»Sagt, was ihr wollt«), auf der anderen Seite beschäftigen sie mehrere Juristen, deren einzige Aufgabe es ist, die potenziellen Schäden überschaubar zu halten.
Diese mediale Zweckgemeinschaft (der Promi, der ein Publikum braucht, um prominent zu sein; die »Zeitung«, die Promis braucht, um über jemanden schreiben zu können) wird mit der Kampagne vor das Auge der Öffentlichkeit gezerrt und unterstreicht die Grenze: Wir (Promis und Bild) hier – und ihr (Leser) dort. Diese Grenze ist nicht übertretbar. Die mediale Wirklichkeit koppelt sich von der realen ab.
In der Kampagne inszeniert sich das Medium selbst, und die Message ist nicht irgendeine Nachricht oder etwas journalistisch Relevantes, sondern nur eine Aussage über die Macht des Mediums Bild-»Zeitung«. Wenn eine Institution (als neutraler Begriff) wie die Bild-»Zeitung«, deren eigentliches Geschäft ja das Informieren ist, keine andere Botschaft hat, als über Promi-Testimonials ihre Macht in irrelevanten Bereichen herauszustreichen, dann sagt das erstens viel über ihre inhaltliche Relevanz und zweitens über ihr Selbstverständnis aus. Die Bild-»Zeitung« WILL gefürchtet und gehasst und verachtet werden – Hauptsache, sie wird beachtet (= gekauft). Dazu sind ihr alle Mittel recht.
Mir wird schlecht.
Ich tröste mich weiterhin mit dem Gedanken, dass nur vier Millionen Menschen diese »Zeitung« kaufen – das bedeutet, dass es 76 Millionen nicht tun.