iPad als Verlagsplattform

Die Verlage schimpfen auf Apple und seine Beschränkungen in Abo-Modellen für iPad und iPhone. Doch würden sie etwas darüber nachdenken, würden sie erkennen, dass dadurch eine neue Ära eingeläutet wird: eine Ära, in der Leser für Produkte bezahlen und nicht für Anzeigenkonvolute.

Die Verleger sind auf Nutzerdaten und geringe Lieferkosten erpicht, um ihr bisheriges Rechenmodell aufrechtzuerhalten: Der Verlag finanziert sich aus Anzeigen, die Preise decken im Wesentlichen nur die Vertriebskosten. Apple dagegen motiviert zu einem anderen Denken oder Geschäftsmodell: Als Produkt sollte ein Kunde keinen Anzeigenträger, sondern Inhalt kaufen. Damit wird das Kundeninteresse (Geld für Inhalt ausgeben) de facto über das des Verlags (Anzeigen verkaufen) gestellt – aber zumindest theoretisch im beiderseitigen Vorteil.

Wer die Auswüchse der Zielgruppenspezifik im Werbemarkt kennt, von der jedes spannende, innovative nicht stromlinienförmige Produkt akut bedroht ist, erkennt die Vorteile. Verlage schneiden ihre Produkte/Hefttitel auf imaginäre Zielgruppen zu, an die sich die Werbeagenturen gewöhnt haben. Die Kunden haben kaum Alternativen zu diesen Standard-Heften. Will ein Verlag ein Produkt anbieten, das an Kundeninteressen orientiert ist, hat er Probleme, Anzeigenkunden zu gewinnen, die nach klaren Zielgruppen verlangen. Somit muss er mehr Kosten über den Vertrieb (= Verkaufspreis) erwirtschaften. Es wäre zwar das ehrlichere und „bessere“ und kundenfreundlichere bzw. für Kunden interessantere Produkt, aber es wäre eben auch teurer als all die anzeigenorientierten Produkte.

Mit Apples Strategie hätten solche Produkte eine reale Chance, da der teure Vertrieb in Papierform entfällt, was den Preis deutlich senkt und somit die Spanne zu den Standardangeboten verkleinert. Auf der anderen Seite können die Verlage weniger Anzeigen einwerben, da sie ja weniger Informationen über ihre Leserschaft/Kunden erhalten. Damit verlieren Anzeigenerlöse in der Kalkulation an Bedeutung. Beide Produktkategorien nähern sich somit preislich an. Der Kunde bezahlt somit nicht mehr für ein Heft, das ihn als Zielgruppe anspricht, sondern kann eines wählen, das ihn inhaltlich anspricht (und in der „alten“ Verlagswelt zu teuer gewesen wäre).

Im Büchermarkt gibt es kaum relevante Anzeigen. Alle Produkte müssen sich selbst finanzieren. Die Kunden entscheiden anhand des Covers, des Inhalts, von Empfehlungen oder anderen Kriterien, ob sie ein Buch kaufen (und lesen) oder nicht. Gleiches droht mit Apples Modell den Zeitschriftenverlagen. Plötzlich definiert sich eine Zeitschriften- oder Zeitungsmarke primär als Marke gegenüber dem Kunden – nicht unbedingt als Marke gegenüber Anzeigenkunden. Aus der bisherigen Dreiecksbeziehung Kunde/Leser – Verlag/Anzeigenverkäufer – Werbefirma wird eine einfache Zweierbeziehung: Leser – Verlag. Wie in allen Beziehungen ist es für alle Beteiligten leichter, wenn sie zu zweit sind statt zu dritt.

Daniel Eran Dilger fasst zusammen: „Essentially, Apple is siding with its customers to ensure the iTunes experience is both unique and satisfactory, because it is the users who will be paying to keep iTunes open.“ Und die Nutzer bezahlen nicht nur, um iTunes offenzuhalten, sondern sie bezahlen für Apps oder Lesestoff oder sonstiges, die für sie (!) nützlich sind. Eine Bekannte entrüstete sich voller Abscheu nach dem Kinobesuch in „Sex and the City 2“, dass sie sich erstmals als Zielgruppe gefühlt hätte. So fühlen sich viele Zeitschriftenleser auch, wenn es auch den wenigsten oft bewusst wird. Aber durchschnittlich jede fünfte bis dritte gekaufte Seite ist nicht mit Inhalt, sondern mit Anzeigen belegt. Es gibt Zeitschriften, da stört es weniger, aber in den meisten Fällen nervt es.

Welche Funktion nimmt Apple in dieser neuen Zweierbeziehung ein? Es unterstützt den Verlag beim Vertrieb (gegen die oft kritisierten, aber gerechtfertigten 30 Prozent Umsatzbeteiligung). Es bietet Werbefirmen eine attraktive Plattform. Ein Verlag – das sollte eigentlich irgendwie einsichtig sein – hat in der idealen Welt nicht die Aufgabe, als Anzeigenverkäufer aufzutreten. Seine Aufgabe ist es, den Kunden mit Inhalten oder anderen Produkten zu beliefern. Ebenso sollte eine Werbefirma keinen Einfluss auf die Inhalte eines Verlages haben – wäre doch toll, wenn das so wäre!

Somit erhalten wieder die Kunden die Entscheidungsgewalt zurück. Verlage müssen nicht mehr im vorauseilenden Gehorsam gegenüber den Anzeigenkunden ihre Produkte versimplifizieren. Achja, und Apples Werbeplattform ist ebenfalls für die Kunden interessanter als viele Alternativangebote: Sie drängt sich nicht auf und bietet einen Mehrwert, und Apple fordert Qualität ein (allein durch die vergleichsweise lange Planung und Produktionszeit von der Idee bis zur fertigen Kampagne). Kein Wunder, dass auch die Werbe-Industrie bislang positiv auf die Werbemöglichkeiten reagiert.

Somit gewinnen alle:

  • der Kunde erhält endlich tatsächlich „wertige“ Produkte, und die Werbung ist qualitativ überzeugend
  • Verlage dienen nur noch dem Kunden/Leser, sie können jenseits aller Zielgruppen Produkte für Kunden entwickeln
  • Werbekunden erhalten eine attraktive Plattform

Jeder Verlag, der dann wegen mangelnder Anzeigenerlöse eingehen muss, war in seinem Herzen sowieso schon lange kein echter Verlag mehr.

Achja,

Ich glaube zwar nicht, dass uns eine anzeigenfreie Zeitungs- und Zeitschriftenwelt bevorsteht. Aber ich glaube (und hoffe), dass Anzeigen an Bedeutung bei Verlagsentscheidungen verlieren – und allein das wäre schon ein gigantischer Schritt hin zu einer besseren Welt … *träum*

Alexander Florin: Alexander Florinein Kind der 70er • studierter Anglist/Amerikanist und Mediävist (M.A.) • wohnhaft in Berlin • Betreiber dieses Blogs zanjero.de • mehr über Alexanders Schaffen: www.axin.de ||  bei Facebook || auf Twitter folgen

2 Kommentare

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