Wie eingangs definiert, können Computer keine Entscheidungen treffen und daher keine Filmsubjekte sein. Dennoch gibt es einen guten Grund für dieses Kapitel: Nämlich die Inszenierung von Computern, als könnten diese selbstbestimmt handeln. In Alien wird der Computer mit „Mother“ angesprochen, und Ripley verhält sich zu „ihr“, als würde der Computer ihr zum Trotz den Selbstzerstörungscountdown nicht abbrechen, beschimpft sie beispielsweise als „Bitch“. Neil Stephenson spricht in solchen Fällen davon, dass die Metapher der Nutzerschnittstelle dysfunktional ist. Denn eine Mutter beschützt üblicherweise das ihr Anvertraute. Doch „Mother“ ist nur ein Computer und daher ohne emotionale Involvierung in das Geschehen.
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In diesem Zusammenhang ist einmal mehr wichtig, Story und Präsentation eines Filmes zu unterscheiden. Denn – egal ob Androide, Cyborg, Roboter, Computerterminal – erst die Präsentation bewirkt emotionales Interesse; Materie und Story sind nur die Elemente, die präsentiert werden. Daher ist es für meine Untersuchung irrelevant, ob ein Protagonist als Androide, Cyborg, Roboter oder Computerschnittstelle präsentiert wird. Die Frage ist vielmehr, handelt es sich um einen Computer im eingangs definierten Sinne, und wie wirkt sich die Computerhaftigkeit auf den Film aus. Das Dilemma dieses Kapitels besteht darin, dass es einerseits subjekthafte Computer untersucht, die also entscheidungsfähig sind, und ich andererseits Computern Entscheidungskompetenz abgesprochen habe.
In der klassischen Star Trek-Serie besetzte der Vulkanier Mr. Spock die Rolle des streng logisch argumentierenden Protagonisten, der scheinbar ohne Emotionen und somit auch ohne Intuition agieren kann. In der Serie Star Trek – The Next Generation übernahm der Androide Data diese Funktion. Der Kontrast zwischen dem Draufgänger-Kapitän Kirk sowie den anderen Besatzungsmitgliedern und Spock war jedoch größer als der zwischen dem beherrschten Kapitän Picard und Data.
Androiden
Das Verständnis von Androiden fokussiert meist auf der Bedeutung, wie es das Große Wörterbuch der deutschen Sprache nahelegt, wobei die Abgrenzung zu Cyborgs filmisch nicht einheitlich ist; was auch daran liegen kann, dass „Androide“ älter ist als das moderne „Cyborg“:
An|dro|ide, der; -n, -n [zu griech. aner (Gen.: andrós) = Mann, Mensch u. -id; griech. -eides = -förmig, zu: eidos, Eidos]: (bes. in der futuristischen Literatur) menschenähnliche Maschine; künstlicher Mensch
Cy|borg, der; -s, -s [engl. cyborg, Kunstwort aus: cybernetic organism „kybernetisches Lebewesen“]: (in der Futurologie) Mensch, in dessen Körper technische Geräte als Ersatz od. zur Unterstützung nicht ausreichend leistungsfähiger Organe (z. B. für lange Raumflüge) integriert sind.
Ein wichtiger Aspekt bei Androiden ist das sogenannte „Uncanny Valley“. Dabei wird die Sympathie gemessen, die ein menschlicher Beobachter Robotern entgegenbringt. Wird ein (humanoider) Roboter als Maschine wahrgenommen, wird es als angenehm empfunden, wenn er menschliche Eigenschaften aufweist. Nimmt die Menschenähnlichkeit zu, werden die Defizite (in Bewegungsfähigkeit, Sprache, etc.) nach menschlichen Maßstäben beurteilt, und die Sympathie sinkt (das Uncanny Valley). Erst stark zunehmende Menschenähnlichkeit und wachsende Perfektion erhöhen die Sympathie wieder. Im Bereich hoher Menschenähnlichkeit spricht man von Androiden.
Androiden sind also nicht per se menschenähnliche Computerwesen,Bereits Mary Shelleys „Frankenstein“ basiert auf der Idee, dass durch die Zusammensetzung menschlicher Bestandteile und anschließender Wiederbelebung ein neuer Mensch geschaffen werden kann; der Roman thematisiert zwar das Scheitern dieser Idee, allerdings nicht durch eine Auseinandersetzung mit der „Maschine“-Zusammenbau-Philosphie, sondern durch die soziale Vernachlässigung des neuen Wesens. sondern nur „künstliche Menschen“, wobei die dahinterstehende Technologie oft diffus oder ungeklärt bleibt. Philosophisch ist das Konzept vom „Menschen als Maschine“ vielseitig untersucht worden; der Androide kann als kulturelle Ausprägung dieser Vorstellung gelten. Der Androide „Ash“ in Alien illustriert in seiner Nicht-Unterscheidbarkeit von der menschlichen Besatzung die Idee einer funktionsfähigen Menschmaschine.
Das Sprechen über Androiden ist mit Hinblick auf HAL in 2001 problematisch. Obwohl ohne menschlichen Körper wird der Computer HAL von den Astronauten wie ein sechstes Crewmitglied angesehen und behandelt, wie Poole im BBC-Interview (1:00) einräumt. Aus Sicht der Protagonisten handelt es sich um eine gelungene Mensch-Simulation, obwohl nicht die Körperlichkeit, sondern die KommunikationsfähigkeitDer spätere Computerskeptiker Joseph Weizenbaum hatte 1966 mit dem Computerprogramm „Eliza“ zu seiner eigenen Überraschung eine von zahlreichen Nutzern als menschlich wahrgenommene Kommunikationspartnerin geschaffen. Eliza formulierte im Wesentlichen die Aussagen des Nutzers in Fragen um oder reagierte auf Schlüsselworte mit Aufforderungen und schuf so die Simulation eines interessierten Gesprächspartners. Der technische Aufwand und die Wirkung stehen in einem signifikanten Missverhältnis. Das gilt auch für HAL, der als sechstes Crewmitglied wahrgenommen wird, obwohl er nichts anderes tut, als mit seinem neutralen Auge zu schauen und verbal zu kommunizieren. nachgeahmt wird. Der umgekehrte Fall tritt in S1m0ne ein, wo ein computergeneriertes Wesen perfekte Körperlichkeit erhält, aber unfähig zu eigenständigem Handeln ist. In beiden Filmen kann zwar von Androiden gesprochen werden, aber das Androidenkonzept gerät ins Wanken.
Den Ausweg aus diesem Dilemma bieten die Filme selbst. Weder in 2001 noch in S1m0ne wird von Androiden gesprochen, während in Alien und zahlreichen anderen Filmen wie der Star Trek-Reihe „Androide“ als Beschreibung für künstlich geschaffene Menschen verwendet wird. Der Begriff Androide ist daher nicht als schlüssiges theoretisch geschlossenes Konzept zu verstehen, sondern als Beschreibungsmöglichkeit, die in Konkurrenz zu dem ebenfalls problematischen Cyborg-Konzept (beispielsweise in The Terminator oder ebenfalls in der Star Trek-Reihe) tritt. Der de-facto-Unterschied besteht darin, dass Cyborgs Roboterwesen sind, während Androiden so menschenähnlich sind, dass eine Verwechslung möglich ist. Doch sowohl der Terminator als auch Ash werden für Menschen gehalten. Die Figuren-Konzepte überlagern einander in großen Bereichen, und die nachträgliche Zuschreibung eines der beiden Begriffe bleibt streitbar.
Die Aussage eines Werkes gilt in diesem Zusammenhang als bestimmend, denn diese gibt die Deutung vor. Cyborg betont die Herstellung, eben als Roboter, während Androide eher die Wirkung auf andere (Menschen) beschreibt. Ob Olimpia in E.T.A. Hoffmanns „Der Sandmann“ aus heutiger Sicht Androide oder Cyborg ist, lässt sich nicht entscheiden. Aus Nathanaels Perspektive handelt es sich um einen Androiden, während andere eher den Cyborg sehen. Ein oft diskutierter Roman zur Androiden-Philosophie ist Philip K. Dicks „Do Androids Dream of Electric Sheep“, auch dieser nähert sich – wie Asimows „Bicentennial Man“ – dem Androiden-Phänomen theoretisch, vernachlässigt also die technisch-kybernetische Dimension und ist daher für meine Untersuchung irrelevant.
Das „Uncanny Valley“ lässt sich an Silent Running, 2001 und Alien gut nachvollziehen. Die kleinen Hilfsroboter in Silent Running sind die Publikumslieblinge, obwohl ihre Gestalt unförmig und ihre Kommunikationsfähigkeit sehr begrenzt ist. Dennoch wird ihrem „Sterben“ mehr emotionale Aufmerksamkeit geschenktDieser Effekt ließ sich mehrfach beim Anschauen des Filmes in der Gruppe beobachten. als dem Tun des menschlichen Protagonisten. In 2001 ist zumindest die Simulation einer menschlichen Kommunikation gelungen, und sowohl Protagonisten als auch das Publikum sehen und behandeln HAL als sechstes Crewmitglied. Ash in seiner perfekten Mensch-Simulation wird erst im letzten Viertel als Androide enttarnt, konnte also durch perfekte Nachbildung ebenfalls das „Uncanny Valley“ überwinden. Der Computer „Mother“ hingegen ist so menschenunähnlich, abgesehen von den eindeutigen Computerkomponenten nur eine Stimme, dass sie noch unterhalb des „Uncanny Valley“ eingeordnet werden kann.
Stephan Walter stellte im Rahmen seiner Untersuchungen zu 2001 fest und verweist dabei sowohl auf die Terminator-Filme als auch auf Data aus Star Trek:
In der Filmgeschichte imitieren Computer häufig menschliche Gefühle, um ihre Interessen durchzusetzen, ohne selbst aber menschliche Gefühle zu begreifen oder gar zu empfinden.
Zugespitzt lässt sich feststellen, dass Androiden und Cyborgs in Filmen meist durch menschliche Protagonisten hätten ersetzt werden können. Die filmische Behauptung, es handele sich um künstliche Menschen, erhöht „nur“ den Erlebnisraum, wie die Morphing-Sequenz in Terminator 2 oder Ashs sprechender Kopf in Alien oder die gesteigerte Unverletzbarkeit des Robocop. Eine Hierarchie zwischen Kunstwesen und menschlichen Protagonisten – Computer sind immer die Werkzeuge der Protagonisten und diesen damit untergeordnet – scheint kaum noch zu bestehen. Die menschliche Erscheinungsform integriert die Kunstwesen in die menschlichen Hierarchien und sozialen Systeme.
Populäre Filme mit behaupteten subjektiven Computern sind Short Circuit und Weird Science. Während ersterer „Nummer 5“ bewusst als Roboter präsentiert und aus dessen Verhalten komödiantisches Potenzial schöpft, kombiniert letzterer das Genre der Teenie-Komödie mit einer Frankenstein-Variante. Beide sind in Bezug auf die Antriebskräfte der künstlichen Wesen phantastisch und daher trotz der prominenten Inszenierung von figürlichen Computern wenig aussagekräftig für mein Untersuchungsziel.Anthropomorphe Computer
Wie erwähnt, werden Computer mitunter anthropomorph dargestellt.Auf diesen Effekt und die Behandlung von Geräten als „Quasi-Akteure“ weist Simone Dietz in ihrer Untersuchung zur Technisierung des Alltags hin: „Hier verkehrt sich das Mittel zum Zweck – aber genaugenommen nicht deshalb, weil unsere Lebenswelt technisisert würde, sondern umgekehrt, weil wir die Technik auf eine falsche Weise ,verlebensweltlichen‘.“ Bewirkt eine anthropomorphe Darstellung schon Subjekthaftigkeit des Computers? Der WOPR in Wargames besitzt eine synthetische Sprachausgabe, und das Programm „Joshua“ wird von den Protagonisten wie eine entscheidungskompetente Instanz behandelt: „Joshua, what are you doing“ (Dr. Falken, 1:35, direkt an die Monitorwand gewandt). Was David überrascht, dass Joshua das Spiel nicht beendet, ist jedoch keine Entscheidung des Computers, sondern nur deshalb überraschend, weil David das Programm und dessen Ziel noch nicht kennt. Abgesehen von der strukturellen Unstimmigkeit – woher hat der WOPR die Kontrolle über das Kontrollzentrum – basieren sämtliche Konflikte oder Probleme darauf, dass die Protagonisten nicht sämtliche Eingabedaten kennen.
In ihrer Funktion als Kommunikationsmittel (Chats in The Net, eMails in You’ve Got Mail, Dialoge mit HAL in 2001) werden Computer bzw. deren Bildschirm (bzw. das Auge HALs) wie der abwesende Kommunikationspartner präsentiert.In Wargames hat Dr. Falken das Programm nach seinem verstorbenen Sohn Joshua benannt und bringt ihm (seinem geistigen Kind) daher für das Publikum emotional nachvollziehbar eine ähnliche Gefühlsintensität entgegen.
Kubrick vermeidet die sogenannten Über-die-Schulter-Aufnahmen, sondern nimmt die Sprechenden meist frontal auf, was im Rahmen der 180-Grad-Regel legitim ist.Als Stellvertreter für den abwesenden Gesprächspartner erhalten sie anthropomorphe Züge, da die Protagonisten auf sie die Emotionen projizieren, die für die abwesende Person bestimmt sind. In 2001 übernimmt HAL gar die Funktion eines eigenständigen Gesprächspartners – Weizenbaums „Eliza“-Programm nicht unähnlich –, und Kubrick inszeniert die Schuss-Gegenschuss-Dialoge wie Gespräche zwischen Personen. Computer werden also nur stellvertretend mit Emotionen bedacht, oder es findet die „übliche“ Personalisierung der Technik statt.
Stimmausgabe und Bezeichnung bzw. Name eines Computers bestimmen zumeist die Geschlechtlichkeit eines Computers. Das unterstellte Geschlecht hat jedoch kaum Auswirkungen auf die Story. Wie bei „Mother“ in Alien erhalten die Filme lediglich einen Subtext, der für die Story keine nachhaltige Wirkung zeitigt. Daher werden Computer geschlechtsneutral behandelt und mit „you“ angesprochen, das referenzielle „he/she“ bezieht sich auf die geschlechtlichen Zeichen und nicht auf eine unterstellte Geschlechtlichkeit.
Bei menschlich wirkenden Androiden wird jedoch die von dem Androiden verkörperte Geschlechtlichkeit unterstellt. Bei Computern wird allenfalls ein für die Story unerheblicher Subtext geschaffen.2001 – A Space Odyssey: Der grüne Helm
2001 gehört zu den am meisten analysierten und besprochenen Filmen, was mit seinem Enigmatismus – er wirft mehr Fragen auf, als er Antwortansätze liefert – begründet werden kann. Es ist schwer möglich, sich dem Film unbefangen zu nähern; jeder Aspekt wurde in verschiedene Richtungen ausgedeutet, dabei haben zahlreiche Autoren die Filmhintergründe, -entstehung, -technik und das Verhältnis zu und innerhalb Kubricks Œvre eingehend dargestellt. Ich beschränke mich auf wenige Quellen, die wichtige Aspekte herausarbeiten oder unterstreichen.
Viel wurde über Kubricks Leidenschaft für Schach und HALs Fähigkeiten geschrieben, z. B. von Seeßlen oder Kirchmann . Clay Waldrop erklärt in – ausgehend vom Schachspiel – HALs Verhalten, das auf dessen logischem und analytischem Vorgehen basiert.Folgt man Kubricks Anspruch, einen dokumentarischen Einblick in das Leben an Bord eines Raumschiffs zu geben, und fokussiert auf die mittlere Episode des Films, ist ein Computer zu erleben, der das Leben der ihm anvertrauten Menschen nicht nur bedroht, sondern auslöscht. Oft wird in diesem Zusammenhang spekuliert, dass HAL wahnsinnig geworden sein könnte. Diese Erklärung ist jedoch wenig befriedigend, und daher schließe ich mich Clay Waldrops Argumentation an, die für HALs Aussagen und Verhaltensweisen plausible Gründe aus Andeutungen oder Kontexten herleitet.
Rolf Thissens Erklärung, die unter Verweis auf Einblick in das Originaldrehbuch diagnostiziert: „ein neurotischer Konflikt, der aus seinem truth programming, seiner Wahrheits-Programmierung entsteht und aus der Instruktion, über das wahre Ziel der Jupiter-Mission zu lügen“ , steht dazu nicht im Widerspruch. Tertium non datur. Die Computerlogik erlaubt nur wahr oder falsch. HAL kann per se (wegen seiner Computernatur) nicht lügen, darf aber auch nicht die Wahrheit sagen.
Als Bowman zurück an Bord der Discovery gelangt, trägt er ab (1:45) einen grünen Helm. Dieser Helm, oder ein Raumanzug in dieser Farbe – oder überhaupt diese Farbe – waren bislang in dem Film nicht aufgetaucht. Unklar ist, woher Bowman ihn hat; dass der Helm im Bereich der Schleuse deponiert war, ist auszuschließen. Dennoch trägt Bowman einen grünen Helm. In einer früheren Auseinandersetzung mit dem Film setzte ich Unsicherheiten und Schuldgefühle HALs voraus und betonte die symbolische Bruchstelle des Films durch das Auftauchen des grünen Helms. Den ersten Bestandteil kann ich mit Waldrop negieren. Die symbolische Bruchstelle bleibt.
So wie der grüne Helm scheinbar aus dem Nichts, offenbar an unvermuteter Stelle, auftaucht, so unerwartet erscheint in (1:51) mit der Aufzeichnung von Dr. Floyds Ansprache, die Bowman im Speicherzentrum vorgespielt wird, der Schlüssel zur Erklärung für HALs Verhalten: HAL hatte Informationen vorliegen, die sonst niemand an Bord kannte, wahrscheinlich nicht einmal sein Zwillingscomputer auf der Erde. Es sind die bis dahin unbekannten Eingabedaten, die das Problem Wahrheitsver- und -gebot bewirken und damit zu unerwarteten Ausgaben führen.
HAL ist omnipräsent. Es gibt keine erkennbaren Lautsprecher, die Stimme könnte auch nicht-diegetischen Ursprungs sein. Erst die verbale Interaktion lässt ihn zum diegetischen Dialogpartner werden. Seine Augen sind überall, können alles sehen, doch betont 2001 nicht den Aspekt der Überwachung, sondern präsentiert jeweils ein einzelnes Auge als Dialogpartner. Wie bei Alien sind Raumschiff und Steuercomputer synonym – das eine könnte ohne das andere kaum funktionieren, wie das BBC-Interview verdeutlicht. Auch bleibt HAL diffus, ist eben kein konkretes Gerät wie der WOPR, sondern de facto überall.
Georg Seeßlen sieht in der Einäugigkeit nicht nur den Bezug zu Homers Polyphem in der Odyssee, sondern auch den strukturellen Hinweis auf die spiegelbildliche Anordnung . Die zwei Astronauten sind einander optisch enorm ähnlich, der eine ist Links-, der andere Rechtshänder, sie handeln kaum gemeinsam, der eine schläft, während der andere arbeitet. Auch strukturell werden zahlreiche Momente aus dem ersten Filmkapitel „Aufbruch der Menschheit“ spiegelbildlich wiederholt.
HAL beobachtet, wie Bowman in sein Innerstes eindringt, wo dieser gleich die Speicherbänke entfernen wird. Das Interieur ist blutrot gestaltet und erinnert wie der Computerraum in Alien an eine organische Metapher – hier das Herz oder Hirn, dort der schützende Mutterleib.Das Schauen, der Blick des Computers werden zu wichtigen Handlungsmustern, die sich wie die Essensaufnahme und Geburts-/Todesbilder durch den gesamten Film ziehen. Rolf Thissen betont die Parallele: „Das rotgelbe ,Auge‘ HALs ist in der ,Discovery‘ so allgegenwärtig wie der Computer allmächtig ist.“ Die Macht HALs äußert sich also nicht faktual, sondern in seiner allgegenwärtigen Beobachtung, besonders sinnfällig als er den Astronauten von den Lippen abliest (1:21f).
Mit HALs subjektivem Blick im Schuss-Gegenschuss-Verfahren mit den Anzeigen ist die Tötung der drei Astronauten im Hyperschlaf wie ein Dialog präsentiert. Die Anzeige der verlöschenden Lebensfunktionen im Wechsel mit HALs Auge lassen ihn als Urheber erkennen, ohne dass konkretes Handeln zu sehen ist. Diese Sequenz dauert etwa 110 Sekunden.HAL selbst ist – wie das MCP in Tron – nicht zu konkretem Handeln fähig. Er kann nur die Figuren veranlassen, etwas zu tun. Die einzige Tat, die wir HAL ausführen sehen, ist das Töten der Astronauten im Hyperschlaf. Während er Bowmans Pod die Rückkehr in die „Discovery“ durch Nicht-Öffnen der Luke verweigert, ist er unfähig, Bowman selbst aufzuhalten und schwankt zwischen rationaler Argumentation und Flehen.
Allein durch sein Sehen – wobei die Kamera diegetisch unmögliche Standpunkte einnimmt, sie blickt durch HALs Auge hindurch – und seine Stimme ist HAL als Protagonist erkennbar. Doch wie die Doomsday Machine trotz (filmischer) Abwesenheit von Protagonisten und Publikum ernstgenommen wurde, wird HAL in seiner Bedeutung für die Mission der „Discovery“ ernstgenommen. Die wiederholten Erwähnungen seiner Fähigkeiten (im BBC-Interview und mehrfach in Dialogen) bleiben unwidersprochen und unwiderlegt. Seine Meinung über die menschlichen Protagonisten kulminiert in dem Satz: „This mission is too important for me to allow you to jeopardize it.“ (1:37)
Ob das „for me“ sich auf ein eigenes Ziel oder das einprogrammierte Ziel (den Jupiter zu erreichen, aktiviert zu bleiben) bezieht, bleibt unklar. Auch sein Argument, die Astronauten planten seine Abschaltung, verfängt nicht, da diese es nur für den Fall seines Irrtums in Erwägung zogen. Setzt man als Annahme, dass HAL so selten wie irgend möglich lügt, ist also davon auszugehen, dass er mit seiner Abschaltung rechnen muss, da seine Vorhersage (Ausfall der AE-35-Einheit) nicht eintreffen würde.
Stephan Walter verweist auf die Herstellungsgeschichte des Films, die HAL in der – von Kubrick abgenommenen – deutschen Synchronfassung einen deutlich menschlicheren Tonfall inklusive einiger grober „Übersetzungsfehler“ (im Vergleich zum Original) gab, da zahlreiche Rezensenten den Computer in der englischen Originalfassung als die lebendigste, menschlichste Figur wahrnahmen.
Symbolisch kann HALs Einäuigkeit auch für eine einseitige Ausrichtung gesehen werden. Er ist nur auf einem Auge sehend, nach Alltagslogik also „auf einem Auge blind“. Das blinde Auge bleibt dabei unsichtbar, und verweist auf die Nicht-Rationalität, die ihm auch die Astronauten nicht zeigen können. Zu rational und pragmatisch folgen diese ihren Alltagsaufgaben, ohne jede emotionale Anteilnahme.
Fazit
Einige Filme mit Androiden, beispielsweise aus der Star Trek-Reihe, halten sich ebenfalls an die Computergesetze der Nicht-Entscheidungsfähigkeit. Die erwähnten Stichproben (Bicentennial Man, Short Circuit, Weird Science, The Terminator) folgten nicht der Computerlogik, und somit war eine eingehende Untersuchung unnötig.
Die anthropomorphe Wirkung von Computern ist zumeist der Projektion des Publikums zuzuschreiben, die durch die Art der Präsentation befördert wird, wie beim WOPR geschehen, dessen Gestalt zwar sehr technisch wirkt, beim Schauen des Filmes aber die quasimenschliche Wirkung auslöst. Subjektivität ist in den untersuchten Computern nicht nachweisbar, denn Entscheidungen können sie nicht treffen. Es ist ihnen lediglich möglich, für die Protagonisten und das Publikum unvorhergesehene Optionen nach unbekannten Parametern zu auszuwählen. Selbst 2001 liefert durch die Aufnahme mit Dr. Floyds Ansprache eine rückwirkende Erklärung für HALs Verhalten, ebenso wie Dr. Falkens Erklärungen für das des WOPR. Durch die Präsentation kann ihnen nur eine begrenzte Subjekthaftigkeit zugeschrieben werden, die jedoch – abgesehen von der Kommunikation – zumeist konsequenzlos bleibt.
Überblick über „Computer im Kino“:
1. Einleitung
2. Theoretischer Hintergrund
3. Computer als Objekt
4. Computer als Setting
5. Computer als Subjekt
6. Fazit
Anhang: Glossar
Anhang: Filmverzeichnis
Anhang: Literaturverzeichnis(PDF)