Das jedenfalls behauptet ein Telepolis-Artikel. Der Text präsentiert nach seltsamem Blabla eine nicht-repräsentative Umfrage und kommt zu einer völlig falschen Bewertung des Umfrageergebnisses. Aber der Reihe nach.
Wenn von „die Freiheit des Internet[s]“ gesprochen wird, bin ich irritiert, denn ich kenne niemanden, der ein freieres Internet kennt als jenes, das auf einem iPhone oder iPad zu erleben ist. Wenn ein Autor nicht klarstellt, was er mit „Internet“ meint, dann kann jeder selbst entscheiden. SSH-, Telnet- oder FTP-Dienste laufen auf dem iPhone natürlich nicht (es ist ja kein Computer). Aber das im vulgären Gebrauch unter Internet zusammengefasste Erlebnis des Surfens oder Browsens sowie der eMail-Kommunikation funktioniert. Uneingeschränkt. Genauso wie auf einem PC oder Android-Gerät.
„Dazu wollte man die Nutzer zwingen, aus dem Internet auszuscheren und in ein Intranet einzutreten, das vollständig von Apple kontrolliert wird“, heißt es im Beitrag. Was, bitte, ist das Internet? Ist das Internet nicht genau der Bereich der standardisierten Dateien (HTML, CSS), die Safari anzeigt? Jaja, zum Internet gehören auch eMail- und Chat- Protokolle und meinetwegen auch Dateiübertragungsprotokolle wie FTP. Aber im Allgemeinen sind mit „dem Internet“ die durch einen Browser nutzbaren Inhalte gemeint. Oder behauptet der Autor in einer schrägen Verwirrung der Begriffe Internet und Apps, dass Apple durch seinen Store für zweiteres ersteres zensiere?
Gibt es ein anderes Smartphone oder Tablet, das einen besseren Zugang bietet? Eigentlich nicht. Denn wenn man von proprietären Lösungen (wie Flash!!) absieht, ist das Internet auf allen Geräten gleichermaßen verfügbar. FTP bringt keinen Sinn, weil iOS-Geräte (wie iPad und iPhone) für den Nutzer keine Navigation in Dateihierarchien vorsehen (es ist eben ein anderes Gerät als ein Laptop).
„Aber es gab auch Menschen, die sich nicht in die Applewelt einsperren lassen und die die Freiheit des Internet beibehalten wollten, sich Betriebssysteme und Programme frei auswählen zu können.“ Aha, es gibt Menschen, die tatsächlich ein anderes Betriebssystem auf ihrem Android-Mobiltelefon installieren wollen? Welches? Es soll ja auch Menschen geben, die auf ihrem PC ein anderes System als Windows installieren können wollen. Tun aber nur die echten Profis (weniger als zwei Prozent).
„die sich nicht nur wegen der Kosten, sondern auch aufgrund der Freiheit gegen iPhone entschieden haben“. Nur mal so am Rande: Der offenste (im Sinne der Lizenz) Bestandteil eines Android-Systems ist WebKit. Wer hat Webkit vorangetrieben? Achja, stimmt ja. Nur noch mal wegen der Ironie: Der freieste Bestandteil des gesamten Android-Systems stammt (direkt/indirekt) von Apple. Seltsam. Auch Android-Systeme enthalten proprietäre Software (von Google), sind also weit davon entfernt frei zu sein. Die Probleme der Fragmentierung für Entwickler, Kunden und Netzbetreiber wurden von anderen Kommentaren mehr als ausführlich gewürdigt.
„Das zeigt, die Strategie von Apple, die User in die Apple-Welt einzuschließen und entsprechend Daten und Einnahmen zu erzielen, wird langfristig nicht tragen. Das Internet will frei und keine gated community sein.“ Wer wird eingeschlossen? iPhone und iPad verwenden wo immer möglich Datei-Standards.
„iPhone […], das neben dem iPad derzeit die Haupteinnahmequelle von Apple darstellt“, wird weiter behauptet. 4,7 Millionen iPads (mit Preisen zwischen 500 und 800 Dollar/Euro) sollen dem Unternehmen mehr Umsatz bzw. Einnahmen bescheren als 3,7 Millionen Macintosh-Computer (700 bis 3.000 Dollar/Euro)? 9 Millionen iPods, von denen mehr als die Hälfte das Top-Modell iPod touch sind, fallen mindestens ebenso unter Haupteinnahmequellen. Wenn sogar der iTunes Store mehr als eine Milliarde Dollar umsetzt (alle Zahlen stammen aus der letzten Quartalsbilanz), stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien der Begriff „Haupteinnahmequelle“ verwendet wird. Wenn der Autor schon kompetent tut, dann bitte korrekt: iOS-Geräte stellen eine Haupteinnahmequelle von Apple dar (eben neben den weiteren Einnahmebereichen Computer und iTunes/App-Store). Falls jemand argumentieren will, dass man „Haupteinnahmequelle“ nicht so eng auslegen dürfe, schließlich sei „eine wichtige Einnahmequelle“ gemeint, dann kann ich nur sagen: Journalisten leben davon, dass sie korrekt mit Worten umgehen können. Ansonsten sollen sie sich an den Stammtisch stellen oder setzen.
BislangIch habe in den vergangenen Jahren einige der Aspekte ausführlich behandelt:Warten auf Flash: nach drei Jahren noch nicht serienreif.Wieder eine Illusion geplatzt: Google rückt Android-Quellcode erst später raus.Apple zensiert das Internet: Wer vom AppStore spricht, soll nicht Internet sagen. Besonders nicht, wenn es falsch ist.Was ist das Internet: Mehr als im Browser zu sehen ist.Das iPad ist kein Computer: Wird aber immer wieder für einen gehalten. wurde noch kein einziger Gedanke in dem Artikel geäußert, der einen klaren logischen Bezug zur dann präsentierten Umfrage liefert.
Wer über iPad, iPhone, Internet etc. schreibt, sollte etwas mehr Ahnung als nur eine unbegründet hämische Schreibhaltung besitzen. Auch wenn die Umfrage als solche vielleicht interessant ist, verliert sie durch den völlig absurden und inhaltlich falschen Text an Bedeutung. Vielmehr drängt sich der Verdacht auf, dass der Autor ähnlich viel Ahnung vom Thema hat wie Sabine Brendel oder einige Android-Enthusiasten oder andere interessengeleitete (um es diplomatisch zu formulieren) Autoren (stellvertretend für viele Analysen eine einzelne scheinbar sachlich korrekte Schlagzeile mal in der detaillierten Sezierung). Einen solchen Autor und eine solche Darstellungsweise hat das Thema nicht verdient und ist Telepolis’ eigentlich unwürdig.
Und hier die Pointe: iPhone-Nutzer würden zu Android wechseln, „wenn die Plattform entsprechend besser wäre“. Das ergab die Umfrage, die ja der Ausgangspunkt des Artikels gewesen sein soll. Ich würde als Golf-II-Fahrer sofort zu BMW wechseln, wenn deren Autos billiger wären. Meine Markentreue bei durchaus teureren Anschaffungen ist also noch geringer.
Offenbar überzeugt Apple, und das ist der ironische Umkehrschluss, nicht nur mit Marketing oder Realitätsverzerrung oder Markenbindung oder sonstwas, sondern mit einem überzeugenden Produkt. Denn „wenn die [andere] Plattform entsprechend besser wäre“, wären die iPhone-Nutzer ja schon gewechselt. Damit untermauert die Umfrage in aller Nicht-Repräsentativität nur das, was Nutzer von Apple-Produkten schon lange ahnen: Die Produkte sind tatsächlich besser.
Nebenbemerkung
Wieder einmal beschleicht mich der Verdacht, dass ein Autor nicht nur keine Ahnung hat, sondern auch von einem irrationalen Hass (Neid? Unverständnis) auf Apple und dessen Produkte geleitet ist (und das ist ein häufiges Phänomen). Kritik ist wichtig und gut. Aber Kritik setzt ein wenig Ahnung voraus.
Mit solchen Schlagzeilen (wie „Android-User hassen Apple“) kalkulieren die Schlagzeilenmacher auf ihr Publikum. Apple ist in den vergangenen Jahren wieder so rasant aufgestiegen, hat an Ruhm, Anerkennung, Marktanteilen, Geld und anderem mehr so viel verdient, dass es gar nicht mit rechten Dingen zugehen kann. Das wäre eine verkürzte indirekte Unterstellung, die in dem einen oder anderen Kopf durchaus besteht.
Journalisten sollten ihren Verlegern und Herausgebern keine albernen Schlagzeilen bescheren. Journalismus bedeutet immer auch die Gegenseite anzuhören. Journalismus bedeutet Verantwortung, denn es ist die Vierte Säule im Staat und soll den Bürgern (Lesern, Zuhörern, Zuschauern) die Informationen liefern, damit diese sich ein eigenes (!) Urteil bilden können. Steht irgendwie so ähnlich im Grundgesetz oder wenigstens im Pressekodex, glaub ich.
Wer also
- keine andere Informationsquelle als eine PR-Mitteilung mit der Info „Ich habe mal irgendwas über Apple gefragt – und es haben Leute geantwortet“ (was so viel wert ist wie „ich habe mal nach dem Wetter gefragt“) hat,
- nicht in der Lage ist, jede Meldung einerseits auf „Cui bono“ zu hinterfragen und andererseits die enthaltenen Fakten einmal testweise gegen die angebotene mitgelieferte Interpretation zu verstehen,
- die Unterschiede zwischen AppStore und Internet, frei und offen sowie Fakt und Meinung entweder nicht kennt oder bewusst missachtet,
der sollte überlegen,
- ob es gut für die eigenen Leserzahlen, Klickraten, etc ist, den Namen „Apple“ zu erwähnen,
- ob er über andere Firmen (Dell, HP, Microsoft, Siemens, Sony, VW, Daimler) ebenfalls eine solche Meldung bringen würde,
- ob er nicht lieber in die PR- oder Marketing-Abteilung wechseln sollte.