Kritik an Homo-Ehe vermischt Ehe und Familie

In Deutschland gibt es die „eingetragene Partnerschaft“, in einigen Ländern eine der herkömmlichen Ehe gleichwertige Homo-Ehe, in den USA wird weiter gestritten. Doch selbst in aufgeklärtesten Kreisen bleibt man nicht von Schwachsinnsargumenten verschont. Das größte Missverständnis basiert auf einer Vermischung der Begriffe „Ehe“ und „Familie“.

Viele Gegner der Homo-Ehe argumentieren mit Familienbildern. Dabei sind diese beiden Bereiche überhaupt nicht deckungsgleich.

Was ist die Ehe?

Eine Ehe ist das öffentliche Bekunden der Zusammengehörigkeit zweier Personen im Rahmen eines Rituals. Dabei wird ein Vertrag geschlossen, der beide Partner als Gemeinschaft definiert, die füreinander einsteht, „in guten wie in schlechten Zeiten“.

Wird einer der beiden Partner arbeitslos, so leiten wir aus dem Ehebund die Verpflichtung des anderen ab, diesen wirtschaftlich zu unterstützen. Überhaupt werden aus der Ehe zahlreiche Rechte und Pflichten abgeleitet:

  • automatische Begünstigung bei Versicherungs- und anderen Leistungen, Witwen-/Witweransprüche
  • gesundheitliche und rechtliche Verantwortung (Ehepartner erhalten ebenso wie Blutsangehörige Auskunft über gesundheitliche Aspekte oder sind in Rechtsdingen der juristischen Person des Partners mitunter noch nähergestellt als Blutsverwandte)
  • Ehepartner dürfen vor dem Finanzamt bestimmte Rechte geltend machen, da sie als wirtschaftlich verbundene Einheiten auftreten (z.B. Steuerklasse)

Wieso sollte dies ausschließlich für die Verbindung zweier Menschen (!) gelten, von denen einer männlichen und einer weiblichen Geschlechts ist? Was ist mit Hermaphroditen und anderen Sonderfällen? Bei keinem anderen freiwillig zu schließenden Vertrag gibt es eine solche Einschränkung, dass der Vertragspartner eines Mannes eine Frau und der Partner einer Frau ein Mann sein muss. Das nenne ich sexistisch und diskriminierend.

Sicher ist es schön, wenn diese Personen sich lieben. Aber wer weiß schon, was Liebe ist. Juristisch gibt es doch keinen treffenderen Beweis für eine Liebe als das Eingehen einer Ehe (mit allen Rechten und Pflichten), die beide Partner voneinander abhängig macht und als juristische Einheit definiert.

In einem säkularen Staat wie Deutschland wird eine Ehe nicht vor Gott geschlossen, sondern als rechtliche Institution im Standesamt. Wer seine Ehe vor Gott bekräftigen will, kann dies zusätzlich tun, jedoch sind nur Ehen rechtsverbindlich, die auch „vor dem Staat“ geschlossen wurden. Vor dem Recht sind alle gleich, heißt es. Es heißt auch, vor Gott seien alle gleich, aber dafür gibt es keine Garantie ;-)

Es gibt keinen sachlichen Grund, warum nicht irgendein Mensch mit irgendeinem anderen die Ehe eingehen (als Rechtsbündnis) sollte. Alle Argumente, die man immer wieder hört, zielen entweder auf religiöse Begründungen (die aber in Bezug auf eine säkulare Ehe irrelevant sind) oder behaupten, dass die Institution der Ehe gefährdet sei. Mit einer solchen Gefährdung ist in einer cleveren Definitionsverdrehung aber die Institution der Familie gemeint – und selbst das trifft nicht zu.

Nur so am Rande: Bibelargumentierer lernen Englisch und lesen diesen Beitrag hier, bevor Sie ihre Meinung zum Thema kundtun.

Was ist die Familie?

Familie kann auf zwei Grundlagen bestehen: Blutsverwandtschaft oder gegenseitige Zuneigung. Es gibt Blutsverwandte, die wir ums Verrecken nicht in unserer Gesellschaft wissen wollen. Es gibt Nicht-Verwandte, die wir zum engsten Familienkreis zählen. Doch im betrachteten Fall geht es um die „Mutter, Vater, Kind“-Familie.

Das Modell besagt, dass Mann und Frau Nachwuchs zeugen, diesen hegen und pflegen, in die Welt entlassen, sodass diese sich wieder als Mann und Frau zusammentun können, um weiteren Nachwuchs zu zeugen. Die weiter wachsende Weltbevölkerung zeigt, dass das Modell ganz gut funktioniert. Die Erfahrung sagt aber auch, dass nicht jede Mann-Frau-Konstellation das Zeugen und Aufziehen von Nachwuchs beinhaltet. Die Erfahrung lehrt ebenso, dass zum Zeugen und Aufziehen von Nachwuchs keine Ehe bestehen muss. Beide Bereiche haben originär nichts miteinander zu tun, es ist nur so, dass dies der gewünschte Idealfall ist: Nur ein verheiratetes Paar soll Nachwuchs zeugen und diesen aufziehen.

In der Idealvorstellung werden zwei Bereiche miteinander verbunden, die in der Realität keinerlei Verbindung aufweisen müssen. Natürlich ist es gut, sich an einem Ideal zu orientieren, aber dieses sollte niemals Grundlage für Verbote sein. Es galt einmal das Ideal, dass keine grünen Hemden zu blauer Hose getragen werden sollen. Es galt das Ideal, dass sich Menschen verschiedener „Rassen“ nicht paaren dürfen. Es galt das Ideal, dass man jeden Sonntag in die Kirche geht. Es galt das Ideal, dass man für sein Vaterland auch sterben wollen muss. Es galt das Ideal, einer Frau stets die Tür aufzuhalten. Es galt das Ideal der weißen reinen Haut, im Gegensatz der vom Sonnenlicht gebräunten. Es galt das Ideal, dass jeder im Laufe seines Lebens einen Baum pflanzen soll. Es galten im Laufe der Menschheitsgeschichte so viele Ideale, von denen wir bei den meisten anerkennen, dass sie nur die von bestimmten Personen gewünschten Idealzustände darstellen und keine universelle Gültigkeit für alle Menschen haben sollen oder dürfen.

Wir können keinem Mann vorschreiben, mit welcher Frau er Kinder zeugt: mit seiner Ehefrau, seiner Freundin, einer flüchtigen Bekannten, der Empfängerin einer Samenspende o.ä. Wir können auch keiner Frau vorschreiben, woher sie den Samen bekommt, der den Nachwuchs zeugt. Wir können nur das Übertreten von Grenzen (z.B. Vergewaltigung) bestrafen. In allen anderen Fällen gehen wir von verantwortungsbewussten Individuen aus, die einvernehmlich handeln.

Ehe und Familie

Familie entsteht – das ist ein weithin geteiltes Ideal – aus Eltern und Kindern. Eine Ehe besteht aus zwei Personen (üblicherweise den potenziellen Elternfiguren) und heranwachsenden Menschen. Wir erwarten, dass Eltern sich für ihre Kinder verantwortlich fühlen, beispielsweise genügend Geld verdienen, um sie zu ernähren. Wenn ein Elternteil dafür lange Zeit unterwegs ist (auf Montage, Auftrag in Übersee, etc.) und der andere als alleinerziehend zurückbleibt, nehmen wir das hin. Ebenso sind wir daran gewöhnt, dass manche Elternteile (zumeist Mütter) aus verschiedenen Gründen die Kinder allein aufziehen. Auch Pflege- oder Adoptionsfamilien gehören in unserer idealen Welt zu den begrüßenswerten Familienkonstruktionen.

Jetzt mal ehrlich. Was ist uns wichtiger: Dass Kinder mit Liebe, Fürsorge und allen für ihre Entwicklung nötigen Ressourcen großgezogen werden? Oder dass Kinder geboren werden? Im ersten Fall ist die Ehe irrelevant, es genügt eine Person, die das genannte bietet. Im zweiten Fall ist die Ehe ebenso irrelevant, denn wie die Statistik zeigt, werden längst nicht alle Kinder ehelich geboren. Seltsamerweise werden uneheliche Kinder nur sehr selten von Homosexuellen geboren, sondern zumeist von heterosexuell agierenden Personen. Manche geben die Kinder dann zur Adoption frei, andere machen sich in verschiedenen Weisen an ihren Kindern schuldig, aber viele freuen sich auch über den Nachwuchs und lassen ihn zum wichtigen Bestandteil ihres Lebens werden.

Es ist argumentativ einfach unverschämt, Ehe und Familie ständig miteinander zu kombinieren und synonym zu gebrauchen. Denn das eine sagt nichts über das andere aus.  Männer, die ihre Frauen schlagen, können liebevolle Väter sein. Frauen, die liebevolle Ehefrauen abgeben, können ihre Kinder psychisch oder physisch krankmachen. Ist alles nicht nur in Einzelfällen vorgekommen. Ebenso wie die Begeisterung für beispielsweise Sadomasochismus nichts über die Fähigkeiten einer Person aussagt, ihren Beruf auszuüben.

Die Ehe konstituiert lediglich eine Zweierbeziehung von potenziellen Elternfiguren. Weder werden alle Ehepartner selbst zu biologischen Eltern noch erschöpft sich darin ihr Zweck. Adoptionsentscheidungen und Entscheidungen zur Unterbringung in einer Pflegefamilie werden individuell getroffen; aus der alleinigen Tatsache, dass eine Ehe existiert, resultiert noch keine Verantwortung für Kinder.

Und ganz nebenbei: Wer Nicht-Heterosexuelle mit sexuellen Straftätern auf eine Stufe stellt, sollte sein Weltbild dringend überdenken. Die meisten Sexualverbrechen gehen von Heterosexuellen aus, das mag durch ihre statistische Mehrheit begründet sein, genügt aber nicht als alleinige Erklärung. Vielmehr wird die Kluft zwischen tolerierter und akzeptierter Sexualität und wahrnehmbarer Sexualität größer. (Auch hier ein Linktipp zum Nachdenken: Telepolis-Artikel)

Um es einmal polemisch zuzuspitzen: Wer sich Sorgen um fremde Familien macht, wer sich mehr für das Ausleben fremder Sexualität als die eigene interessiert, wer ständig Fehler bei anderen sieht, wer die Welt nur in Schwarz-Weiß sehen kann, sollte überlegen, ob in der eigenen Familie alles wunschgemäß läuft, ob die eigene Sexualität erfüllend ist, ob man eigene Fehler zugeben und ausräumen kann, ob nicht doch ein paar Grautöne existieren.

Also

Es gibt keinen Grund, warum nicht einfach zwei Menschen die Ehe eingehen können, sondern sich stattdessen mit einer minderwertigen „eingetragenen Partnerschaft“ begnügen oder ein Verbot akzeptieren müssen. Es gibt keine notwendige Verbindung zwischen Ehe und Familie. Diese stellen lediglich zwei Möglichkeiten dar, das Zusammensein von Personen zu erklären, im einen Fall besiegeln zwei Personen ihre Zusammengehörigkeit durch das Ritual der Ehe, im zweiten Fall bilden mehrere Personen abhängig von Blutsverwandtschaft oder Zuneigung eine Gemeinschaft.

Wer (seine idealisierten) Familienwerte mit dem Anspruch auf Ehefähigkeit vermengt, kann auch fordern, dass alle Hundebesitzer ihren Führerschein abgeben müssen, dass keine Vegetarier zu Pferderennen gehen dürfen, dass alle Menschen mit Haarausfall Perücken tragen müssen, dass Menschen mit X-Beinen keine Fahrräder besitzen dürfen … usw. usf. Ich könnte jeden Fall mit dem selben Anspruch auf Plausibilität begründen wie Gegner der Homo-Ehe ihre Forderung.

Nachtrag (thanks to Cynthia Nixon)

Ein Hauptargument gegen eine gleichwertige Homo-Ehe ist, dass Schwule und Lesben die Ehe neu definieren, verändern oder abwerten würden.

Als Frauen das Wahlrecht erhielten – hat das das Wahlrecht neu definiert, verändert oder abgewertet?

Als Schwarze in den USA gleichberechtigt neben Weißen an der Bar sitzen durften – wurde dadurch das Ausgehen neu definiert, verändert oder abgewertet?

Nachtrag (06/2015)

Natürlich stellt sich bei solch absurder Argumentationsführung, warum die Homo-Ehe nicht gleichberechtigt sein soll, die Frage nach dem „cui bono“ – wem nutzt es?

Konservative können ihren Konservatismus belegen und damit ihrer konservativen Wählerschaft Linientreue demonstrieren. Dass die Unterschiede zwischen den Konzepten von Familie und Ehe nicht erkannt werden können, mag ich mir bei unseren Politikern intellektuell nicht vorstellen (denn wenn es so wäre, hätten wir noch viele weitere Probleme). Die Bestätigung von Ablehnung und Klischees und die rhetorische Preisung von „Familienwerten“ findet einigen Widerhall bei den Ewig-Gestrigen. Damit scheint die Verweigerung der gleichwertigen Homo-Ehe und die stete Wiederholung der selben Nicht-Argumente ein klassischer Fall von Echo-Kammer zu sein. Die Vorurteile und Nicht-Argumente werden wiederholt, weil sie wiederholt werden, weil sie wiederholt werden, weil sie wiederholt werden … das macht sie zwar nicht wahrer, aber sie bestätigen sich in diesem ewigen Zirkel beständig selbst.

Auch werden vermutlich mal wieder Ursache und Wirkung verwechselt. Wir wollen ein christliches, gerechtes Land sein. Nun ist in Deutschland zwar die Trennung zwischen Kirche und Staat grundgesetzlich vorgegeben, aber dennoch wird allerorten die Abkehr vom guten christlichen Glauben beklagt. Die Ablehnung der Homo-Ehe aus vorgeblich christlichen Gründen könnte theoretisch das Christentum wieder stärker ins Volk bringen. Nein, wird es nicht. Stattdessen wird die allerorten erlebte Sturheit und Problematisierung von verliebten und heiratswilligen Menschen die Christentum-Müdigkeit weiter fördern.

Es ist schon erstaunlich: Etwa fünf Prozent der Bevölkerung (das ist eine seeehr hohe Schätzung zum Anteil der Homosexalität an der Bevölkerung) können die Ehen der übrigen 95 Prozent gefährden. Wenn die Institution der Ehe so leicht gefährdet werden kann, dann taugt sie sowieso nichts. Oder die Homo-Ehe ist quasi das Pendant eines terroristischen Angriffs auf die Bastion der Ehe, und als solcher muss er konsequent abgewehrt werden. Mit gesundem Menschenverstand ist das alles jedenfalls nicht mehr zu erklären.

Herrje, wenn sogar ein Land wie Irland per Volksentscheid ein klares Bekenntnis zur Gleichstellung abgibt, dann kann man sich wirklich nicht mehr mit Volkswillen o.ä. herausreden. Dann bleiben als Erklärungsmomente nur noch Sturheit, Borniertheit und der Befund, dass die Entscheider (= Politiker) sich so weit von ihrem Wahlvolk entfernt haben, dass jede demokratische Legitimation fragwürdig wird.

Alexander Florin: Alexander Florinein Kind der 70er • studierter Anglist/Amerikanist und Mediävist (M.A.) • wohnhaft in Berlin • Betreiber dieses Blogs zanjero.de • mehr über Alexanders Schaffen: www.axin.de ||  bei Facebook || auf Twitter folgen

Ein Kommentar

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